3. August 2019
Schützi – Olten
Website: oltenair.ch
Bands: Long Distance Calling / Gurr / De Staat / Evelinn Trouble / Andrea Bignasca / Velvet Two Stripes / Freezes Deyna / Kaufmann / Miss Kryptonite
Das Wappenbild wurde eingelöst, die Reihe perfektioniert: Zum dritten Mal durfte man vor und in der Schützi das OltenAir feiern, ein kleines und stark regional eingestelltes Festival, welches die Umsteigestadt im Kanton Solothurn bunt und sympathisch färbte. Der Freitagabend widmete sich den urbanen Klängen und versuchte, im Regenfall nicht all zu nass zu werden, der Samstag wagte sich in die vielseitige Welt der Gitarrenmusik. Mit Sonnenschein, gut gelaunten Besucherinnen und Besuchern, und sogar gratis verteilten Keksen.
Direkt aus dem kosmischen Raum landeten Miss Kryptonite auf der Aussenbühne. Mitgebracht hatten sie neben viel Sternenstaub auch ordentlich krachende Gitarren, psychedelische Klänge und druckvolle Songs. Die Mixtur aus Alternative, Grunge, einer Prise Synthsizer und der weiblichen Frontstimme hat nicht nur das Konzertpublikum, sondern auch Zuschauer aus dem nebenan gelegenen Freibad angelockt – für uns ein perfekter Einstieg ins diesjährige OltenAir. Und es ist wunderbar zu sehen, dass diese junge Band mit jedem Konzert extrovertierter wird und uns auf ihren interstellaren Reisen mitreisst. Bald werden die irdischen Bühnen in Grund und Boden getanzt!
Bodenhaftung und Gründe verlor man danach in der ehemaligen Turnhalle vollends, denn aus Holland waren De Staat angereist. Die wohl grösste Überraschung des Festivals, mit einer klanglichen Mischung aus den Beastie Boys, Battles und Nuller-Indie-Britrock der Marke Maximo Park. Immer unberechenbar, immer anders und nach gewissen Minuten Verwunderung eine fröhliche Wonne. Strobo-Lichtshow, unvorhersehbar, überwältigend. Der Witchdoctor war angereist und hat uns alle gebannt.
Da kann es niemanden verübeln, wenn die nachfolgenden Auftritte dann eher flach erschienen – was bei der groovenden Truppe Velvet Two Stripes aus St.Gallen aber nicht an ihren Songs lag. Denn die Blues-Rockerinnen stürmten die Bühne im nachlassenden Sonnenschein voller Elan – und wurden von der Technik ausgebremst. Tapfer wurde die Sache zu Ende gespielt, noch lange auf dem Gelände mitgefeiert. Bei so viel Können verzeihte man den Damen und ihrem Schlagzeuger ein solches Pech natürlich sofort.
Das Glied, das Leben – doch die Masse blieb beim welterklärenden und erstaunlich lauten Konzert von Kaufmann draussen. Das tat den Liedern und ihrer Qualität keinen Abbruch, die Texte boten eine gute Festigkeit, am Schluss der Darbietung durfte man sogar einen musikalischen „Campari Soda“ trinken. Es braucht nicht immer ein grosses Publikum für die schönen Melodien, hier genossen es alle zwischen Dunkelheit und Scheinwerfer.
Weder aus dem Weltraum, noch aus Holland oder der Ostschweiz, sondern direkt aus den 90ern kamen Freezes Deyna angereist. Die fünfköpfige Band hat unsere langgepflogenen Annahmen über den Haufen geworfen und bewiesen, dass der Crossover offenbar doch noch nicht tot ist. Der Mix aus Metal, Rap und sogar ein paar Reggae-Elementen mag Geschmackssache sein, das Publikum hat ihn jedenfalls abgefeiert. Da verzieh man auch das vergessene Stromkabel, das den DJ zur vorzeitigen Kapitulation zwang.
Dass es bei Evelinn Trouble immer anders wird, das war klar. Doch wie grossartig war denn dieser Auftritt im Saal? Die Künstlerin und ihre drei Musikern nutzten Drones aus dem Saxophon, Synthesizerberge und wilde Schlagzeugtakte, um Lieder wie „Hope Music“ oder „Monstruous“ in karger, aber herzöffnender Weise zu spielen. Frau Trouble warf sich dazu nicht nur in die Menge, sondern erklomm Boxentürme und Bartheken. Alternative Popmusik für die Seele, für das Zusammensein, für alles andere. Wow.
Flatternd suchte man sich nach diesem Erlebnis einen Platz auf dem Asphalt und lauschte den Frauen aus Berlin, Gurr waren nach einem Sprung in die Aare in Olten angekommen. Extrovertiert vereinnahmend, mit versuchtem Gesang in Schweizerdeutsch und dem sanftesten Moshpit der Festivalgeschichte. Inklusive Cover von Nirvana und lustigen Geschichten über wilde Beeren war diese Begegnung viel zu schnell vorbei, wurde aber für immer im Freundschaftsbuch verewigt.
Wie eine Dampfwalze überfuhren einen zu fortgeschrittener Stunde Long Distance Calling. Die Post-Rocker klingen live einiges härter als auf Platte. Hier flogen uns hämmernde Gitarren und stampfende Rhythmen um die Ohren, die repetitiven Takte steigerten sich immer weiter bis zu wilden Ausbrüchen, das Publikum goutierte mit zahlreichen fliegenden Bieren (was man in der mittlerweile gut gewärmten Schützi schon fast angenehm finden konnte). Nach zwei Alben mit Gesang ist die Band mit ihrem letztjährigen Album „Boundless“ wieder zu instrumentaler Musik zurückgekehrt. Das tut ihnen gut, denn gerade mit den neuen Songs oder Klassikern wie „Black Paper Planes“ kann sich ihre Wucht voll entfalten; Freunde der postrocktypischen, sphärischen Gitarrenflächen dürften ebendiese allerdings etwas vermissen. Aber auch so waren Long Distance Calling ein Highlight des Festival-Samstags – und wer sich so herzlich über die Begeisterung des Publikums freut, den muss man einfach mögen.
Und ob Akkorde aus dem Tessin, voller Schweiss und Leidenschaft bei Andrea Bignasca oder doch der erschöpfte Nachhauseweg, das OltenAir 2019 ging für alle Anwesenden auf beste Weise zu Ende. Diese drei Tannen, die wuchsen über sich heraus.
Text: Michael Bohli und Cornelia Hüsser
Bilder: Gianluca Teofani