2. Februar 2017
Rote Fabrik – Zürich
Bands: The Notwist
Bei einem Konzert von The Notwist erhält man immer genau das Gleiche – und wird darum auch nie enttäuscht. Denn welche andere Band schafft es derzeit, jedes ihrer Konzerte in einen unberechenbaren Wirbelsturm an Interpretationen, Umformungen und Ergänzungen ausarten zu lassen? Umso erfreulicher, dass sich die Gruppe aus Weilheim in Oberbayern die Rote Fabrik als Startpunkt für ihre neuste Tour auswählte. Und im Gegensatz zu anderen Musikern mussten sich die Herren um Markus und Micha Acher nicht zuerst einspielen – hier wurde gleich wieder losgelegt, als ob es nichts anderes gäbe. Seit 1989 unterwegs und kein bisschen müde – Wollishofen wurde für einmal zum Mittelpunkt der Welt.
Obwohl The Notwist keine neue Platte im Gepäck haben, war die Aktionshalle des Kulturzentrums am Zürichsee packend gefüllt. Der Indie-Sound der deutschen Truppe gilt schon seit langem als vorzüglich und dies liess sich niemand entgehen. Bereits nach den ersten Songs war auch klar, dass man so einen Auftritt auf keinen Fall missen sollte – obwohl man sich teilweise fast nicht getraute, die Augen auf die Musiker zu richten. In unglaublicher Geschwindigkeit und Präzision wurden auf der geschmackvoll ausgeleuchteten Bühne nämlich Knöpfchen gedreht, Instrumente gewechselt, Platten geloopt und das Vibraphon bearbeitet. Langsam wuchsen aus den bekannten Liedern Wesen, vor denen sich auch Godzilla verneigt hätte.
Wenn man Stücke wie „Neon Golden“, „Gone Gone Gone“ oder „Kong“ nämlich ab Platte vernimmt, herrscht immer angenehmer Leerraum. The Notwist lassen ihren Indietronic aber live komplett neue Sphären erschliessen. Hier werden Kartenhäuser mit Betonblöcken gebaut, aus der Geburtstagstorte springt keine junge Dame, sondern ein kompletter Rave mit ausufernden Songs. „Pilot“ und Co. werden bis zur Unkenntlichkeit verbogen, laute und harte Ausbrüche enden in schier jazzartigen Ausfransungen.
Die Meute tobte und unterstützte die Gruppe mit Tanzeinlagen, Kopfnicken und lautem Jubel. Auch ich stand erneut fast ungläubig vor der Bühne und fragte mich, wie man zu sechst so perfekt und komplex Musik austricksen und neu erfinden kann. Wären einzelne Töne Legosteine, hätten The Notwist schon lange deren Aggregatzustand geändert und daraus fliessenden Stein gemacht.
Text: Michael Bohli