Datum: 8. Oktober 2015
Ort: KiFF – Aarau
Bands: New Model Army / Spencer
Da steh ich nun, etwas verloren zwischen unzähligen Menschen in Bandshirts. Zwischen freudiger Erwartung und Unwissenheit, und versuche mich auf mein erstes Konzert einer Kultband vorzubereiten. Wie oft ich schon Geschichten gehört habe, über ihre Botschaft, ihre Konzerte und den gesunden Fanatismus gewisser Fans. Doch ich musste fast 30 Jahre alt werden, um endlich selber den letzten Schritt zu wagen. Und es tat überhaupt nicht weh.
Bei der Vorband Spencer aus Baden (AG) kamen Zweifel. Zwar sind die Mannen um den charismatischen Sänger Leo extrem talentiert und wissen, wie man Lieder schreibt und präsentiert, fehlten mir die Ecken und Kanten. Die Musik, gestohlen in den frühen Neunzigern und in die Gegenwart entführt, ist gefällig und hat Druck, würde aber im Radio nicht auffallen.
Leo fasziniert sehr mit seinem perfekten Englisch, das klanglich an Herr Smith der Editors erinnert. Zuckerguss aber macht mir die Zähne kaputt, egal wie viel Hall und Echo die Musik untermalen. Dann plötzlich ein Wechsel: Beats von Roli unterlegen die Gitarren, Darkwave hält Einzug. Innert weniger Sekunden brechen Spencer aus und bringen das KiFF in Aarau zum Tanzen und Jubeln. Da steh ich nun, klatsche erfreut und begrüsse die Wahl der Vorband.
Für viele hatte dies wohl keine Relevanz, denn mit New Model Army besucht eine wahre Kultband die Bühne in der ehemaligen Futterfabrik. Seit ihrer Gründung 1980 bespielen die Engländer die gesamte Welt mit ihrer ureigenen Mischung aus Rock, Punk und Folk. Dass ihre Musik immer mehr war als reine Unterhaltung ist bis heute klar.
In den Texten werden Missstände angesprochen und Justin Sullivan nimmt kein Blatt vor den Mund. Egal ob die Englische Politik, der Menschliche Umgang mit der Erde, die Herrschaftsstellung der USA oder Religion – was unfair ist wird wütend besungen und mit schneidenden Gitarren zerfetzt. Dass Justin dabei Messias ist und alle Zuschauer die Jünger, dies wurde auch mir bereits beim ersten Lied bewusst.
New Model Army packen die Leute im Herzen und im Kopf, schupsen die Beine an und animieren zum Mitsingen. Da macht es auch nichts, dass die Gruppe zuerst vor allem neuere Songs spielte und sich erst gegen Ende des erstaunlich knappen Auftritts an die Klassiker wagte. Wer ein solches Konzert besucht kennt schliesslich alle Texte und umgibt sich mit gleich schreienden Menschen.
Als dann Justin bei „Another Imperial Day“ die Mitmusiker ruhen liess und nur mit seinem Sprechgesang vor die Besucher stellte, bekam so mancher Gänsehaut. Zustimmung, gestreckte Fäuste, Emotion. Das Konzert wurde immer intensiver und sogar einen Tag später verdichtet sich die Erinnerung noch.
Zu Recht sind New Model Army eine wichtige Band seit 35 Jahren (so lange benötigten sie auch, um im KiFF aufzutreten). Ihre intelligente Musik nimmt gefangen, berührt und lässt nicht mehr los. Zwei Mal kamen Marshall, Ceri, Dean, Michael und Justin bejubelt für Zugaben zurück, und hätten gerne für immer bleiben können.
Da steh ich nun, glücklich und gut aufgehoben zwischen unzähligen Freunden, zwischen tränenverschmierten Wangen und verschwitzten Rücken und gelobe meine Zukunft mit der Band zu teilen. Lasst uns unser Leben besser gestalten. „I Love The World!“
Setlist:
Disappeared
Heroes
March In September
No Greater Love
Devils Bargain
Guessing
Orange Tree Roads
No Mirror, No Shadow
One Of The Chosen
Another Imperial Day
Stormclouds
States Radio
Between Dog And Wolf
Angry Planet
Family
Wonderful Way To Go
I Love The World
Text: Michael Bohli
Bilder: Thomas Lang