5. November 2011
Bogen F – Zürich
Bands: Gurr / La Sabotage
Konzerte unter der Woche erst um neun Uhr abends beginnen zu lassen, das ist irgendwie schon etwas gemein. Da kann es schon mal etwas holpern an der Motivationsfront, wenn man bereits seit 15 Stunden auf den Beinen zu stehen hat, bis überhaupt irgendetwas auf der Bühne zu sehen ist. Trotzdem, der Bogen F hat ja doch auch seine Reize zu bieten und ist zum Glück in wenigen Gehminuten vom Bahnhof her zu erreichen, sodass man am besten einfach gar nicht erst zu lange nachdenkt sondern einfach hingeht.
Als ich mich dann aber zwischen Merch und Bar aufstellte, um der Österreicher Vorband La Sabotage zu lauschen, stellte ich meine Entscheidung doch gerade etwas in Frage. Zwar fand ich die Lichtshow ziemlich läss, allem anderen konnte ich jedoch irgendwie so gar keinen Reiz abgewinnen. Die Effekte wirkten auf mich überladen und extrem bassig. Und während die Sounds aus dem Laptop total overpowering waren, fehlte die Kraft überall sonst auf der Bühne. Der Gesang war teilweise kaum bis nicht verständlich, obwohl sich die Lippen der Sängerin, die sich leider viel zu oft hinter ihrem Laptop zu verstecken schien, fleissig bewegten. Fairer Weise muss man anfügen, dass die Show am folgenden Tag aufgrund von Krankheit der Sängerin abgesagt werden musste – vielleicht habe ich also einfach einen denkbar schlechten Abend erwischt, um mir ein erstes Bild des Frauentrios zu machen.
Wo es La Sabotage an Power und Ausstrahlung fehlte, konnte Gurr umso mehr auftrumpfen: Von den Outfits über die Frisur zur Attitüde und letztlich der Gesamtperformance lieferten die beiden Wahlberlinerinnen mit ihrer Bassistin und dem Drummer ein solides Gesamtpaket. Sie eröffneten ihr Set mit „She Says“, erschienen auf ihrer gleichnamigen EP. Diese ist im Frühling 2019 erschienen und heimste dem Duo haufenweise Lob ein, ebenso die bisherigen Konzerte der ebenso gleichnamigen Tour.
Von der Rückenverletzung, die Andreya sich im September auf der Bühne zugezogen hatte und zur Annullierung und Verschiebung mehrerer Konzerte geführt hatte, war nichts zu merken, die beiden schienen sich unter dem grossen Steinbogen pudelwohl zu fühlen. Zwischen den Songs liessen es sich die beiden auch nicht nehmen, Sprüche zu klopfen und lustige Anekdoten von bisherigen Schweiz-Besuchen hervor zu kramen. Das episodische Gedächtnis der beiden Frauen schien also ziemlich gut zu funktionieren, was vermuten lässt, dass den beiden doch jünger sind, als sie es in ihren – zumeist nicht ganz ernst gemeinten – Ansagen antönten. Dabei wirkte alles so spontan und authentisch, dass man gar nicht umher kam, mitzulachen. Grosser Vorteil von deutschsprachigen Bands: So ziemlich jede und jeder im Publikum versteht es. Was sicherlich dabei hilft, die Stimmung locker und spassig zu halten. Leider hatte die La Sabotage-Sängerin dies zwischenzeitlich vergessen und ihre Ansprachen in schüchternem Englisch gehalten – bis ihr dann vor dem letzten Song einfiel, dass wir Deutschschweizer ja doch auch Deutsch verstehen.
Apropos Deutsch und Englisch: Gurr singen beides. Wenn auch nur minderheitlich ersteres. Auf „Zu Spät“, ebenfalls auf der „She Says“-EP zu hören, beteiligte sich auch Bela B, wenn auch nicht mit Gesang wohl aber durch Präsenz im Musikvideo. Der Song hat übrigens, abgesehen vom Titel nichts mit dem gleichnamigen Track der Ärzte zu tun. Anders bei „Beetlebum“: Mit ihrem Cover, seit dem 1. November auf allen gängigen Streamingplattformen zu finden, beehrten Andreya Casablanca und Laura Lee Jenkins Blur, einer der liebsten musikalischen Lieblinge der beiden.
Aber gut, zurück zum Bogen F, Dienstagabend, inzwischen war es kurz vor Elf. Der Saal noch immer gut gefüllt, in Platznot kam aber wohl niemand. Über den Gitarrenschrummereien und den zusammenpassenden Stimmen, begleitet von eingängigen Bassläufen und solidem Drum, liess sich so herrlich die Zeit vergessen, dass ich mich urplötzlich in einer ziemlichen Zwickmühle wiederfand: Entweder überstürzter Aufbruch, verbunden mit dem Risiko, den Zug trotzdem zu verpassen, oder aber einige weitere Minuten Gurr-Genuss, mit dem Risiko verbunden, erst weit nach Mitternacht Nachhause zu gelangen und meinen morgigen Patienten mit Augenringen gegenüber zu treten.
Schweren Herzens entschied ich mich für die erste Option. Während ich, so schnell mich meine müden Beine noch tragen konnten, über den nassen Asphalt und an den Kultlokalen und Containern vorbei zum Bahnhof Hardbrücke sprintete, hallten mir die Texte noch im Ohr nach: „I don’t dive, I’m just tiptoeing through the night / I don’t dive, I’m ok as long as I’m alright.“
Text: Sarah Rutschmann