19. Januar 2018
Dachstock – Bern
Bands: Gisbert zu Knyphausen / Wolfgang Müller
Die Voraussetzungen schweben zwischen Tristesse und Hoffnung an diesem Abend im Berner Dachstock. Sie könnten also besser kaum sein. Draussen regnet es eiskalte Bindfäden vom finsteren Himmel, peitschen jenen unerbittlich ins Gesicht, die es wagen hochzusehen. In den zitternden Pfützen spiegelt sich das warme Licht von drinnen. Im Gewölbe sammeln sich die Menschen. Nicht zu viele, gar nicht zu wenige, genau richtig, die gute Mischung macht’s. Es herrscht Geselligkeit auf dem Parkett, welcher die Vorband still und leise zum Opfer fällt. So auch mir, ich senke beschämt mein Haupt. So ist es eben, alle warten auf den Hauptdarsteller.
Als Gisbert zu Knyphausen die Bühne betritt, wird die Welt gleich kleiner, der Saal zu ihrem Zentrum. Alle rücken ein wenig näher. Auch ich finde mein Plätzchen unweit des deutschen Wortakrobaten. Längst schon hat sich der Musiker vom einsamen Bühnendasein verabschiedet, tritt auf mit Band, was dem Konzerterlebnis gut tut. Es ist gehaltvoller, als nur Gitarrenklänge zu hören, und obschon alle nur der gesungenen Wörter wegen gekommen sind, entsteht so eine bunte Mischung aus Klang und Gesang. Eine Vielfalt, die bereichert. Die Texte zeugen wie immer von tiefer Melancholie, der Schwere des Seins und sind dennoch von Leichtigkeit und der steten positiven Quintessenz geprägt, welche zu suchen sich gebietet. Das kann nur er – tief spüren und aus jeder anwesenden Seele sprechen, ganz wunderbar mit dem Lichtkonzept in Szene gesetzt.
Im wärmenden Orange dimmen Drumbecken auf und nieder, während sich Gisbert zu Knyphausen balladisch mäandernd den Liedern hingibt. Leise, aber immer bestimmt. Dann wieder, begleitet von gleissendem Strobolicht, übertönt das Schlagzeug die Trompeten und Posaunen. Aus dezenten Akkorden werden pfiffige Riffs. Mit verwegenen Haaren schreit er jetzt seine Weisheiten ins Publikum. Ein steter Wechsel, verbunden durch die klare Botschaft der Texte. Unendlich die Lieder, zu endlich die Zeit. Ob all der Variationen scheint sie viel zu schnell zu ziehen. Zweimal kehren die Musiker wieder, mit eben jener Vielfalt wie zuvor.
Am Ende kehrt Ruhe ein, die Halle leert sich zügig. Was bleibt ist ein wohliges Gefühl. Ich gönne mir ein letztes Bier und sinniere. Ob er allen gefallen hat, der neue Gisbert zu Knyphausen? Jener, der auch durchaus hart sein kann, der dazwischen die E-Gitarre zum Rauschen bringt und wild mit dem Kopf schwingt? Zugegeben, den englischen Titeln spreche ich jegliches Recht auf ihr Dasein ab und erachte sie als Zuwiderhandlung gegen Sitte und Ordnung. Für diese Missetaten gehört dem Musiker das adelige „zu“ im Namen abgesprochen. Alles andere aber ist reinste Fabel dieses Grossmeisters des deutschen Chansons, der, vielleicht gerade weil er sich in der Musik so aus dem Fenster lehnt, im Text ein weiser Mann geblieben ist.
Der letzte Schluck Hopfensaft schmeckt bitter. Gedankenverloren gehe ich vor die Tore, schaue durch den Regen. Ich lächle – es ist warm geworden. Ich schaue auf, ziehe mir die Kapuze ins Gesicht und laufe los, vorbei am wartenden Tram, diesem gewaltigen Tier mit Neonlichtaugen, durch den abflauenden Sturm nach Hause.
Setlist:
1. Niemand
2. Unter Dem Hellblauen Himmel
3. Stadt Land Flucht
4. Das Leichteste der Welt
5. Sonnige Grüße Aus Khao Lak, Thailand
6. Cigarettes & Citylights
7. Keine Zeit zu verlieren
8. Klischees
9. Dreh dich nicht um
10. Solo
11. Kommen und Gehen
12. Teheran Smiles
13. Hier bin ich
14. Neues Jahr
15. Kräne
16. Sommertag
17. So seltsam durch die Nacht
Zugaben:
18. Das Licht dieser Welt
19. Etwas Besseres Als Den Tod Finden Wir Überall
20. Erwischt
21. Seltsames Licht
22. Dich zu lieben ist einfach
23. Haus voller Lerchen
Text: Sebastian Leiggener