19. Oktober 2018
Mehrspur – Zürich
Bands: Ghost Lagoon / Marylane
Das Mehrspur und ich werden wohl nie richtige Freunde. Das Konzertlokal, seit vier Jahren fester Bestandteil des Toni-Areals, liegt so unscheinbar versteckt inmitten riesiger Bürokomplexe und Budgethotels, dass es für orientierungsschwache Menschen wie mich immer ein ziemlich langwieriger und unangenehm abenteuerlicher Weg dorthin darstellt. Davor befand sich das Lokal zehn Jahre im zentralen Kreis 1. Hätte ich mich damals vor drei Jahren entschieden, Soziale Arbeit zu studieren, würde ich den Weg in „das Naherholungsgebiet des Kunsthochschulcampus“ im Schlaf finden. Nun fiel meine Studienwahl aber anders aus und das Toni ist mir noch immer so fremd, dass mir auch das Mehrspur noch wie ein verborgenes Heckenloch erscheint, das nur durch aufmerksames Suchen mit weit aufgerissenen Augen – und viel Unterstützung von GoogleMaps – gefunden werden kann.
Die Bar ist gemütlich eingerichtet und man merkt schnell, dass man sich hier in Künstlerkreisen bewegt: Musikinstrumente und deren Koffer, kunstvoll gestaltete Flyer und das ZETT, das Campuseigene Magazin, liegen schön ausgebreitet im Foyer. Zwar finden im Mehrspur auch Anlässe losgelöst von der ZHdK statt – wie auch an diesem Abend, der den passend gewählten Titel „Foggy Pop Night“ trägt – für Aussenstehende ist jedoch unmittelbar zu erkennen, dass hier das Terrain der Kunststudenten und -studentinnen liegt. An der Bar können fancy Drinks bestellt werden: Apfelsprizz ohne Aperol, eine beachtliche Anzahl verschiedener Ginsorten, Zürcher Biere und Hipstergetränke ohne Alkohol. Die Preise lassen aber nicht erkennen, dass man sich gerade auf einem Hochschulcampus befindet. Tsüri halt.
Für die Studierenden der Pop- und Jazz-Studiengänge der ZHdK scheint das schmucke Konzertlokal erste Anlaufstelle zu sein. Ein Geheimtipp für Booker, Musiker auf der Suche nach Inspiration – oder um neue Bandmitglieder mit musikalischem Können anzuwerben. Denn die Musiker und Musikerinnen, die mit ihren Bands und Musikprojekten auf der mehrspurigen Bühne stehen, spielen scheinbar selten monogam und lassen sich von unterschiedlichen Projekten begeistern. Auch bei Ghost Lagoon, die den ruhigen Freitagabend einläuten, ist zu spüren, dass die Bandmitglieder bereits einen ganzen Rucksack von Banderfahrung in petto haben. Dass die drei Musiker alle das Studium vollends ausgenützt haben, ist am hohen Niveau zu erkennen, das sich auf musikalischer Ebene bei dem Trio zeigt. Was Anfang dieses Jahres als Bachelorprojekt begonnen hat, spielt sich nun durch die Schweizer Lokale: Das Salzhaus in Winterthur, das KAFF in Frauenfeld oder eben das Mehrspur. Bei der Produktion einer ersten EP versucht sich das Trio in Eigenregie.
Den Beginn des Konzertes habe ich verpasst, da ich – wie bereits zum Einstieg kurz erwähnt – das Mehrspur einfach nie auf Anhieb finde. Ein Gutes hat mein verspätetes Eintreffen aber auch: Ich muss nicht so lange der Hitze, die im Konzertsaal immer zu herrschen scheint, ausgeliefert sein. Als „Indie / Electronica“ bezeichnet die Band ihren Musikstil, gespielt mit Gitarre, Synthesizer, Drumpad, Schlagzeug und Bass. Dabei wird ein gutes Mittelmass zwischen analog und digital gewählt und meist werden diese zwei Pole gleichzeitig in Gebrauch genommen. Der Gesang, oftmals repetitiv, ist klar und deutlich zu verstehen und ergänzt die instrumentelle Arbeit an den richtigen Stellen. Der Name ist Programm, die Songs tragen Namen wie „Wildfire“, „Clouds“ oder „Cellophan Love“. Während Ghost Lagoon ihre Musik durchaus mit tanzbaren und sehr poppigen Elementen auskleiden, so fällt es einem als Zuhörer schwer, sich vollends von der Musik mitreissen zu lassen. Künstlerische Finessen, wie unerwartete Rhythmen und schnelle Wechsel regen zwar dazu an, den Musikern genau auf die Finger zu schauen, um zu verstehen, was gerade passiert, abschalten und geniessen kann man dabei aber nur begrenzt. Sollte einem im Konzertlokal des Vertrauens angehender Berufsmusiker aber auch nicht weiter erstaunen.
Anders bei Marylane, die zu viert auftreten. Einfacher und ruhiger scheint, was die Band rund um Sängerin Larissa Bretscher hervorbringen, Wärme ausstrahlend und besänftigend. Auch hier sind keine Fragen über das musikalische Können der Musiker zu stellen – obwohl das Publikum an einer Stelle dazu aufgefordert wird, mit Summen den Klavierpart zu übernehmen, angeblich, weil das Klavierspielen der Sängerin nicht sonderlich liege und sie deshalb auf Unterstützung von vor der Bühne angewiesen sei. Eine schöne Art, mit dem Publikum in Kontakt zu treten. Das Marylane aber ohnehin schon für sich gewonnen hat.
Mir persönlich ist das Ganze eine Spur zu soft, und das viel zu schnell gespielte Cover von „Where Is My Mind“ der Pixies fühlt sich ganz unangenehm in den Ohren an. Doch ich verstehe, was musikalisch andersartig Orientierten an Marylane gefällt. Die gesangliche Leistung ist wohl das auffälligste Attribut der Band, doch auch an den Instrumenten sitzen drei Männer, die wissen, was zu tun ist. Überladen wirken die Songs nie, mit Spezialeffekten wird ohne Übermut gespielt. Und die aufgestellte Art der Sängerin, die das Publikum mit Liebeserklärungen und Dankesreden überhäuft, zaubert den Zuhörern ein Lächeln aufs Gesicht.
Ein seltsames Gefühl, aus diesem musikalischen Naherholungsbiet zurück in den Betonwald zu treten, dunkel und Herbstkalt. Für mich bleibt das Mehrspur dieser komische, verborgene Ort, für den ich vielleicht einfach nicht pop genug bin. Einen Kurztrip dann und wann bleibt er aber trotzdem wert.
Text: Sarah Rutschmann