3. Dezember 2019
X-TRA – Zürich
Bands: Devin Townsend / Haken
Unglaublich, da stand tatsächlich eine Strandbar auf der Bühne, hinter der Keyboarder Diego Tajeda Drinks mischte und diese dann, beobachtet von einem süssen Plüschwesen, an die einzeln auf die Bühne schreitenden Musiker*innen verteilte. Dazu tropische Klänge, leuchtende Palmen und Hawaiihemden. Was man theoretisch als Kommentar zum fortschreitenden Klimawandel sehen könnte, das war bei Devin Townsend das erste Bild der Show, weil es so perfekt zu einer Herbsttour passte, wie die güldene Faust aufs Auge. Der Prog-Teufel, der nicht für seine Zurückhaltung bekannt ist, macht es lieber mit Witz, Wahn und Virtuosität als politischer Genauigkeit. So auch am Dienstabend in Zürich.
Unter dem Stern des neuen Albums „Empath“ eroberte der kanadische Künstler das X-TRA mit seiner grossartigen Band, bei der unter anderen Che Aimee Dorval und Markus Reuter immer wieder grinsend die Instrumente führten. Zu verhindern war dies nicht, denn unter der Regie von Devin Townsend wird sogar der komplexe Progressive Metal zu einer Ode an das Leben – auf Tour zu sein, mit diesen Menschen zu spielen, diese Emotionen zu durchleben, das sei einfach fantastisch. Ebenfalls begeisterungsfähig zeigte sich das Publikum, welches nicht nur aus allen Richtungen angereist war, sondern laut über die Sprüche lachte, dem Meister Toblerone schenkte und jeden Song frenetisch bejubelte.
Eine gute Grundlage, um mit bunten Bildern, absurden Ansagen und klanglichem Kalauer Heavy Metal unterhaltsam zu gestalten. „Evermore“ liess zum ersten Mal die Dämme brechen, Basswellen schwappten über die Anwesenden, laute Gitarren füllten den Raum – und inmitten der Orgie die unglaubliche Stimme von Devin Townsend, der immer wieder zu Staunen versetzte. Wie perfekt er jegliche Tonlage traf, zwischen Geschrei und Flüstern wechselte, einzelne Silben unendlich lange hielt, phänomenal. Mit „Gato“ und „Heaven Send“ vom Projekt-Werk „Ki“ dann die Tourabsicht: Die Band gab sich frei, improvisationsfreudig und hielt sich an kein striktes Drehbuch.
Ob das nun Hard Rock, AOR mit LDS-Schwaden oder die Visionen eines Verrückten waren, Sängerinnen und Schlagzeuger versuchten neues, Devin Townsend liess allen ihren Raum. Der Abend in Zürich erhielt seine eigene Note, machte es für mich aber auch schwierig, die Stimmung zu geniessen. Ich vermisste teilweise die brachiale Bedienung, das ältere Material. Möglichkeiten, die bei „Deadhead“ angedeutet wurden, in Epen wie „Genesis“ dann durch Katzen und Pointen wieder bröckelten. Oder ich war überfordert, zwischen all den Objekten, Motiven und Ideen den Faden zu finden.
Mit der akustischen Darbietung von „Ih-ah!“ (nach Publikumswunsch) und „Spirits Will Collide“ kehrte Ruhe in den Abend, welche die Zugaben schnell wieder zu einem Fest aus Übermut und Mitteilungsfreude drängten. Was klar in den Felsen gemeisselt wurde: Devin Townsend ist ein Übermusiker, ein zappeliger Unterhalter mit gewaltigem Talent und einzigartiger Perspektive auf den Prog. Und viel Mut, bei jeder Tour wieder etwas komplett Neues auszuprobieren – egal, ob dies nun massentauglich ist oder nicht.
Eher im klassischen Bereich des modernen Prog waren Haken im Vorprogramm zu verordnen. Mal näher bei Spock’s Beard, dann wieder in den Regionen von Yes, hier wurde viel geackert, viel Wucht an den Tag gelegt. Mit „Vector“ im Gepäck, mussten die Mannen aus England zwar zu früh auf die Bühne, wurden aber von vielen, freudigen Gesichtern begrüsst. Mit Hits vom legendären Album „The Mountain“ und Reminiszenz-Hommagen wie „1985“ kämpften sie gegen die schlechte Soundmischung im X-TRA und für ein melodisches Metal-Bewusstsein. Diego Tajeda spielte sich hier übrigens sogar mit einer Keytar warm, eine Spur Wahn in der Stringenz.
Setlist [Quelle: Setlist.fm]
1. Borderlands
2. Evermore
3. War
4. Sprite
5. Coast
6. Gato
7. Heaven Send
8. Ain’t Never Gonna Win
9. Deadhead
10. Why?
11. Lucky Animals
12. Castaway
13. Genesis
14. Ih-Ah!
15. Spirits Will Collide
Zugabe
16. Disco Inferno (The Trammps Cover)
17. The Black Page #1 (Frank Zappa Cover)
18. Kingdom
Text: Michael Bohli
Bilder: Anna Wirz