20. Oktober 2018
Dynamo – Zürich
Website: bergmal.ch
Es war eine Heimkehr, sich gemeinsam vor dem Dynamo zu treffen, die letzten Sonnenstrahlen zu geniessen und unter den umherfliegenden Walfischen ein Schwätzchen zu halten. Was natürlich nur eines bedeuten konnte: Das wundervolle und immer grossartig organisierte Festival für Experimental und Post-Rock hat seine Tore wieder geöffnet. Willkommen zurück, bergmal Festival, was haben wir dich während 364 Tagen vermisst. Denn obwohl die dritte Ausgabe um den Freitagabend erweitert wurde, das wirkliche Fest begann erst jetzt. Dreizehn Bands auf drei Bühnen, eine Nacht voller Gitarren und lauter Klangkaskaden.
Die Regel
Eröffnet wurde die dritte Ausgabe des bergmal Festivals von den Luzernern A River Crossing. Mit ihrem sphärischen, langsam aufbauenden Sound lockten sie bereits am späten Nachmittag zahlreiche Zuschauer vor die Bühne – und freuten sich sichtlich darüber. Über den dichten und vielschichtigen Liedern schwebte immer wieder dezenter Gesang, der sich wie ein weiteres Instrument einfügte. Man darf sagen: Ein durchweg gelungener Startschuss.
Ihrem Namen alle Ehre machten car crash weather, welche als erste Gruppe des Abends die grosse Bühne im Saal bespielten. Laut, mit krachendem Schlagzeugspiel und weit umherfliegenden blonden Haaren des Bassisten – das Wiedersehen mit dieser Band aus Zürich zerstörte den sonnigen Himmel des Spätsommers und läutete, nicht nur dank dem Song „The Fall“ (vom aktuellen Album „Secondary Drowning„), die düsteren Herbstzeiten ein.
Des einen Pech, des andren Glück – da Mutiny On The Bounty ihren Auftritt in Zürich leider absagen mussten, erhielten Astodan aus Brüssel die Gelegenheit, im Saal zu glänzen. Und zögerten zu keiner Sekunde, diese Möglichkeit wahrzunehmen. Das wurde nicht nur vom Publikum frenetisch bejubelt, sondern auch von der Band selber mit intensiven Liedern gefeiert, die immer wieder in Richtung Post-Metal abdriften wollten. Gitarrenkrach der feinsten Güte.
Es gab wohl kaum einen Ort und einen Zeitpunkt, an dem das Publikum so mucksmäuschenstill der Musik lauschte wie auf der Experimental Stage, als Her Name Is Calla aus Leeds musizierten. Es gab wohl auch keine andere Band an diesem Festival, welche so viel Schmerz verarbeiten musste und diesen in wahnsinnig innige, aber auch düstere Lieder umsetzte. Man konnte der Melancholie nicht entrinnen. Eine sinnliche und schöne Erfahrung zwischen Folk und Post-Rock, schade nur, dass die Töne der Geige in den harten Songs teilweise gar arg an der Grenze zu falsch waren, da sich die Geigerin schlecht hörte. Denn es war sie, welche den postapokalyptischen Sound in den Himmel, ins Paradies, in eine bessere Welt hinüberführte.
Die Ausnahme
Als es draussen noch hell war, durften auf der Cellar Stage die Winterthurer Psychedelic-Doom-Folker Soldat Hans ans Werk. Und wie! Schleppend und tonnenschwer sind wohl die passendsten Adjektive, um das zu beschreiben, was das Sextett auf die Bühne brachte. Schier unendlich bauten sich die Songs atmosphärisch auf, um schliesslich in zerschmetternde Doom-Metal-Walzen auszubrechen. Dazwischen blieb Raum für Hoffnungsschimmer und wunderschöne Melodien. So erinnerten Teile des Sets an Pink Floyd, bei anderen kam einem Amenra in den Sinn. Ein Mix, der die Anwesenden komplett in seinen Bann zog und trotz der frühen Stunde ein absolutes Highlight des diesjährigen bergmal Festivals darstellte – was leider zu viele verpassten.
Richtig laut und brachial wurde es bei Preamp Disaster. Hier stampften schwere, schleppende Rhythmen durch den kleinen Raum, Gitarre und Bass dröhnten in den Ohren, durchbrochen von markerschütternden Schreien. Das Post-Doom-Gebräu rollte sich wie ein dunkler Teppich über das Publikum hinweg; Stil- und Genreelemente fügten sich perfekt ineinander ein, da verzieh man auch die etwas unglückliche Abmischung.
Technisch, kalt und näher bei der Architektur als bei der Musik waren die Genfer H E X, welche mit ihren Songs des Debütalbums „H E X“ die Cellar Stage in Stahlgerippe hüllten, unsere Zukunft in eine Dystopie verwandelten und mit ihren Synthie-Gesang-Schlagzeug-Armeen die Realität in einen hypnotischen Tummelflug ummünzten. Das war einigen zu abstrakt, für viele aber auch ein klares und komplett andersartiges Highlight an diesem Festival.
Jaga Jazzist waren einer der Headliner am bergmal. Diese Vorstellung schien im ersten Moment schwierig – klar, die Band aus Norwegen fiel aus dem Rahmen des Gewohnten, andererseits fanden sich dadurch auch Leute ein, die weniger dem Post-Experimental-Rock-Klientel zuzuordnen sind. Was Jaga Jazzist den Festivalgängern boten, war von einem anderen Stern. Jazz. Rock. Elektro. Prog Rock. Ja. Schon. Irgendwie. Aber auch nicht. Oder eben alles zusammen. Die Norweger sind kaum einem Genre zuzuordnen und experimentieren mit Instrumenten, Tönen, Rhythmen, Harmonien und loten durchaus musikalische Grenzen aus. Ein Experiment für die Zuhörer, das immer wieder mit neuen Klängen überrascht wurde. Es war ein Fest für die Ohren, es war grossartig, den Musikern zuzuschauen und es war noch grossartiger, ausgelassen zu Jaga Jazzist zu tanzen. Wild. Genau wie die Band. Bis zum bitteren Ende des Bassdrum-Fells!
Die Struktur
Von leise bis laut, geradeaus oder über Stock und Stein. Verträumt und knüppelhart. Die drei sympathischen Jungs von Duara mischten einen Cocktail aus Melancholie und Leichtigkeit, abgeschmeckt mit einer zünftigen Portion Brachialität. Rhythmische Finessen, scheppernde Gitarren, manchmal auch lieblich und hie und da mit dem Surfsound der 60er und 70er Jahre kokettierend. Vom wummernden Bass getragen und mit Syntheinwürfen vom Pad verfeinert. Grossartige Musik zum Abtauchen, und als Duara dann zu „Sleepy Joe“ ansetzten, ja, da klangen sie wie Motorpsycho zu ihren besten Zeiten. Wow! Unkonventionell, grossartig und wuchtig.
Das bergmal wurde im Vorfeld oft als Festival angepriesen, an welchem man seine neue Lieblingsband entdeckt. Das generierte bei gewissen Acts eine grosse Erwartung – eine dieser Bands waren Toundra aus Madrid. Als man den grossen Saal des Dynamos betrat, war sofort klar, was Sache ist: Schnörkelloser, geradliniger Post-Rock und -Metal. Wenn man Vergleiche ziehen müsste, dann mit Bands wie Long Distance Calling oder Russian Circles. Nullachtfünfzehn und ausgelutscht also? Weit gefehlt! Denn Toundra liessen eine unbändige Wand aus Sound auf die Menge los. Das war pure Energie, wovon sich das Publikum gerne anstecken liess. So wurden die Köpfe vor der Bühne frenetisch gebangt. Ob das nun eine neue Lieblingsband wird, bleibt abzuwarten. Was man aber sagen kann: Das diesjährige Album „Vortex“ dreht sich sicherlich noch einige Male auf dem Plattenteller.
Nicht weniger intensiv zeigten sich SPOIWO aus Polen. Mit einer Mischung aus Ambient, Post-Rock und elektronischen Elementen begaben sie sich auf eine Gratwanderung zwischen extrem leisen Momenten und wilden, lärmigen Ausbrüchen. Dem Sound haftete durchweg eine cinematische Atmosphäre an, die wie ein Film in ihren Bann zog und einen in den Melodien versinken liess.
Und wem sonst als Lokalmatadoren sollte der Abschluss an dieser dritten Auflage denn gehören? Genau, darum versammelten sich noch einmal viele Besucher um Mitternacht bei der Experimental Stage und liessen ihre nächtlichen Gedanken und Lüste von dem Zürcher Duo Egopusher transformieren. Geige und Schlagzeug tauchten, gemeinsam mit einer Spur Elektronik und viel Freude an der modernen Clubmusik, in die Neo-Klassik ein und liessen Jubel und Ausdruckstanz verschmelzen.
Was bleibt einem am Ende da noch mehr zu sagen als: Danke für diese Nacht, danke für diese Musik. Am Ende fühlte man sich zwar müde und ausgelaugt, aber um viele Begegnungen und Entdeckungen reicher. Möge dieser Wal noch lange durch unsere Gewässer ziehen, möge das bergmal noch viele Jahrzehnte als Leuchtfeuer der forschenden und wagemutigen Rockmusik bestehen.
Bands: Toundra / Jaga Jazzist / Astodan / Her Name Is Calla / Egopusher / SPOIWO / jeffk / H E X / Soldat Hans / A River Crossing / car crash weather / Duara / Preamp Disaster
Text: Cornelia Hüsser, Ivo Arztmann, Michael Bohli und Mischa Castiglioni
Bilder: Nicole Imhof und Anna Wirz