28. Oktober 2017
Dynamo – Zürich
Website: bergmal.ch
Ein Festival speziell für Experimental- und Post-Rock – das gibt es seit vergangenem Jahr mit dem Bergmal in Zürich. Auch die diesjährige zweite Ausgabe wartete erneut mit einem vollgepackten Programm auf: Gleich 13 Bands, die unterschiedlicher kaum sein könnten, beglückten an diesem langen Abend die zahlreich erschienenen Zuschauer. Dazu gab es leckeres Essen, lachende Gesichter und immer spannende Gespräche. Besser kann man die Liebe zur Musik nicht zelebrieren, während im Hintergrund die Fassade des Dynamo in Zürich mit hübschen Projektionen verziert wurde.
Cellar Stage: Gitarrenwände und Indie-Einflüsse
Und um den Bogen zur letztjährigen Ausgabe gleich als erste Band zu spannen, brachten die Italiener Valerian Swing wilde Musik in den Keller, die wie ein Kind von The Hirsch Effekt und 65daysofstatic klangen. Angereichert mit Synthie und Vocoder war es ein heftiger, aber toller Start, der die Tugenden des Festivals unterstrich. Irgendwo zwischen Post-Rock, Post-Metal und Progressive bewegten sich anschliessend When The Light Dies. Die langen, ausufernden Songs wurden mit Sprachsamples ergänzt und mündeten manchmal gar an der Grenze zum Stoner Rock. Sogar noch gnadenloser zeigten sich die Schweizer Rue Des Cascades: Ein erbarmungsloser Aufbau brachte ihre instrumentale Musik zum schleppenden Hardcore, inklusive Sänger und Growls. Sogar die gezeigten Visuals liessen keine Entspannung zu, waren dafür immer fesselnd und vereinnahmend.
Richtig laut wurde es mit Kokomo. Die fünf Musiker schufen mit drei Gitarren, Bass und Schlagzeug mächtige Soundwände, die kaum einen ruhigen Moment zuliessen – sowohl Band als auch Publikum steigerten sich immer mehr in die Musik rein. TTNG aus England suchten zum Abschluss auf der Cellar Stage den gegenteiligen Ansatz und schmückten ihren komplexen Math-Rock mit Indie-Gesang und einer gehörigen Portion Humor. Wenn extreme Gitarrenfiguren auf absurde Ansagen treffen, dann bleibt kein Post-Rocker ernst.
Experimental Stage: Immer anders, immer wichtig
Wer hätte jemals gedacht, dass man an einem Post-Rock-Festival eine einzelne Musikerin dabei beobachten kann, wie sie mit ihrer Gitarren und sehr düsteren Backtracks Lieder zelebriert, die von Gesang und Tanz leben? Hopes & Venom brachte nämlich zwei Tänzerinnen mit, die mit ihren Bewegungen die Emotionen der Songs verstärkten. Für genau solche Momente lieben wir das Bergmal. Maïak – benannt nach einer kerntechnischen Anlage im Uralgebirge, in der sich der bislang drittgrösste Nuklearunfall unserer Geschichte abspielte – hatten danach zunächst mit technischen Problemen zu kämpfen. Schlussendlich lieferten die Lausanner aber ein mitreissendes Konzert aus instrumentalem Rock, der gerne in die doomig-melancholischen Gefilde ausuferte.
Astralia dachten sich darum, den Besuchern eine Entspannungspause zu bieten und liessen alle in ihren langen und träumerischen Gitarrenechos zu versinken. So schnell verging die Zeit an diesem Abend wohl selten, so herrlich hypnotisch war sonst niemand. Den Abschluss auf der Experimental Stage machten zur Geisterstunde Lost In Kiev. Die vierköpfige Band spielte eher klassischen Post-Rock, der von Sprachsamples und elektronischen Einflüssen durchzogen wurde. Zusammen mit den Visuals wurde ein traumartiges Erlebnis geschaffen, das einen schwebend in die Nacht entliess.
Roof Stage: Von der Schweiz bis Sydney
Die grosse Hauptbühne unter dem Dach des Dynamo durften Amorph aus Basel eröffnen. Die mittlerweile sechsköpfige Band hat schon viele Phasen durchlebt, spielte Punk, instrumentale Musik und ist jetzt beim Alternative angelangt, der mit viel Synthie untermalt wird. Immer spannend, doch leider fehlte manchmal etwas der Mut zur Wucht. Dies konnte man The Ocean nicht vorwerfen. Das Kollektiv, das sich immer mehr von Berlin in die Schweiz verlagert, prügelte die Leute durch ein wildes Set voller Post-Metal, Prog und Hardcore. Mit einem waghalsigen Sprung des Sängers von der Galerie in die Leute und mitreissenden Passagen zeigte die Band, wie viel Spass solch harte Musik machen kann.
pg.lost sorgten an diesem Abend für die experimentell-technische Seite des Post-Rock: Mit Noise-Kulissen, wabernden Gitarren, treibendem Schlagzeug und Elektronik-Einsatz brachten sie das Publikum zum Tanzen. Diese Energie nutzten die Australier sleepmakeswaves, um für ihr letztes Konzert auf ihrer Europatournee noch einmal alles zu geben. Ihre extrem druckvollen Songs voller Groove drifteten fast in den Prog ab, blieben aber immer herrlich knackig und laut. Mit ihrem sympathischen Auftreten und dem mitreissenden Set wurden sie dem Headliner-Status mehr als gerecht.
Nebst dem grossen musikalischen Programm gab es ausserdem noch eine Lesung von Jeanette Leech zu geniessen. Sie stellte ihr kürzlich erschienenes Buch „Fearless: The Making of Post-Rock“ vor, für das sie verschiedenste Musiker getroffen und interviewt hat. Auszüge davon durfte man auch im Treppenhaus des Dynamos betrachten, was immer wieder zu interessanten Diskussionen und neuen Bekanntschaften führte.
Mit dem zweiten Bergmal Festival ist es den Organisatoren erneut gelungen, viele unterschiedliche Richtungen des Experimental- und Post-Rock zusammenzubringen und alle Musikliebhaber glücklich zu stimmen. Wir freuen uns bereits auf viele weitere Ausgaben – um zu feiern, zu entdecken und in Musik zu schwelgen. Liebe ist Walfisch.
Bands: sleepmakeswaves / The Ocean / pg.lost / TTNG / Kokomo / Lost In Kiev / Astralia / Valerian Swing / Hopes & Venom / Amorph / Rue Des Cascades / When The Light Dies / Maïak
Text: Cornelia Hüsser & Michael Bohli
Bilder: Kathrin Hirzel