Heiliggeistkirche – Bern
Mittwoch, 1. Dezember 2021
Text: Michael Bohli
Rotes Licht, harte Schatten – die religiösen Verzierungen für einmal in den Hintergrund gedrängt, die Kirchenorgel im Fokus der Aufmerksamkeit. Was sich am ersten Dezembertag in der Heiliggeistkirche in Bern abgespielt hat, hätte nicht weiter von einer Adventsmesse entfernt sein können. Wobei, andächtig still war es im Zuschauerraum und Kirchenschiff während einer Stunde, Anna von Hausswolff nahm alle mit ihrer Darbietung gefangen.
Die schwedische Künstlerin hat mit ihrem letzten Studioalbum «All Thoughts Fly» die Pfeifenorgel zum Werkzeug der Drone-Musik gemacht, eine Platte voller wuchtiger Momente und betörenden Ideen. Angesiedelt im Spektrum zwischen sakraler Komposition und Weltuntergang, auf der heimischen Stereoanlage zwar beeindruckend, aber nie das Potential ausschöpfend. Darum die Europatournee, bei welcher Anna von Hausswolff das komplette Album in 17 Kirchen live aufführt. Ein nicht alltägliches Unterfangen, das glücklicherweise am Mittwochabend in Bern genossen werden konnte.
Von den ersten Klängen an war klar, dieses Konzert ist so monumental und andersartig, wie unvergesslich. Konzipiert für Orgel und zwölf Lautsprecher, wurde «All Thoughts Fly» in angedachter Form und mit dem Lautsprechersystem Akusmonium (1974 von François Bayle erfunden) in die Kirche übertragen. Dröhnende Basse, ineinanderfliessende Flächen, repetitive Melodienmuster und das Tor zur Ewigkeit. Die Zeit begann sich während den Liedern zu überlappen, Worte wie Raum, Kontinuität und Bindung verloren ihre Bedeutung. Der Albumtitel zeigte seine wahre Bedeutung, alle Gedanken lösten sich.
Die Schönheit, welche die Musik von Anna von Hausswolff mit sich brachte, lässt sich im Nachhinein kaum beschreiben. Elektronisch erweitert und von sechs Händen gespielt, war «All Thoughts Fly» in Bern nicht bloss ein Konzert, sondern ein Eintauchen in die ewigen Möglichkeiten des Kosmos. Weder störten die harten Bretter der Kirchenbänke noch die eher tiefe Temperatur im Gebäude. Man wurde eins mit der Musik, liess sich zu einem einzelnen Atom verwandeln und von der voluminösen Intensität zu Staub zermalmen.
Viel zu schnell verteilten sich die letzten Sounds von «Outside the Gate (for Bruna)» zwischen den Steinen und Körpern, die dissonanten Momente und dramatischen Passagen fanden ihr Ende. Wer bis an diesem Abend an der Karriere und Berühmtheit der Künstlerin gezweifelt hat, der wird ihr nun für immer verfallen sein.