Cheptel Records / VÖ: 31. März 2023 / Indie, Chanson
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Text: David Spring
Ah, das französische Chanson. Herrlich nostalgisch, etwas staubig, aber irgendwie auch unkaputtbar und ach so charmant. Doch halt, wer jetzt schon verzweifelt nach der französischen Übersetzung für «Anachronismus» sucht, mache sich mal keine Sorge. Da gibt es nämlich zum Beispiel eine vorzügliche Gruppe aus Genf, die sich Barrio Colette nennt und die das chansonieren mit ihrer ersten Platte «Rouge Rose» unmittelbar in die heutige Zeit bringt.
Barrio Colette sind nämlich viel mehr, als nur eine Band, die in den Tiefen des Altvergangenen herumdümpelt. Ja, die so starke wie liebliche Stimme von Noémie Griess sorgt für viel Charme und Herz und erinnert freilich an französische Popmusik und Variété. Doch finden sich auf den 12 Songs auch schnittige Surf-Gitarren, wundervoll rumplige Grunge-Bässe, eine sympathisch punkige Herangehensweise und grossartigem Fingerspitzengefühl für Pop-Melodien, die sich sofort im Gehörgang festsetzen.
Abwechslungsreicher könnte ein Album kaum sein. Während «Nada juste toi» und der wundervolle Titeltrack noch die melancholische und eher nachdenkliche Seite vergangener Tage auf dem Ärmel tragen, sind «Beaux Jours» und das tanzbare «Je veux plus» einwandfreier Indie-Pop. Mein Favorit, das rockige «Souris Chérie» lehnt sich weit in Richtung Garage-Rock und beim glorreich vorwurfsvollen «Parfums» zeigen Barrio Colette sogar ihre punkige Seite. Zur Formvollendung beginnt das abschliessende «Barrio dans le sang» sympathisch mit Gesang und Akkustikgitarre, bevor ein schneller Beat, Hundegebell und ein Honkey-Tonk-Piano das Album glorreich beenden.
Auch inhaltlich bieten Barrio Colette mehr als nur altbackenes Schwadronieren über Tristesse und Amour. Viel mehr stehen Themen wie die Freundschaft, das Leben, Selbstliebe und -achtung und die Leichtigkeit des Seins im Vordergrund. Oh, und Transportmittel, auch darüber gibt es ein vorzügliches Lied, passenderweise mit dem Titel «Moyens de transport». Wie gesagt, es ist für alle etwas dabei.
«Rouge Rose» erinnert vordergründig an die besten Zeiten des Chanson française, doch das Album bietet viel mehr, am Ende des Tages vor allem wundervolle, kreative und abwechslungsreiche Musik, die das Herz berührt. Und weil unsere schöne Schweizer Szene ja bitteschön bilingue ist, dies zum Schluss: Barrio Colette, c’est de la musique pour tout le monde – magnifique, charmante, bruyante, amusante et extraordinaire. Pleine de cœur, de créativité et de qualité, vêtue de rose et de rouge, avec un grand sourire et un mégot de cigarette sagement posé à côté de l’ampli. Comme il se doit.