15. Februar 2020
Oxil – Zofingen
Bands: Cold Reading / She Danced Slowly
Wir nehmen sie linear wahr, sehr wahrscheinlich aber ist die Zeit ein viel abstrakteres Gebilde und konstant. Manchmal spürt man diese versteckte Komplexität im Alltag, kann durch die Trennungen der Dimensionen blicken – wie beim Auftritt von Cold Reading in Zofingen. Die Band aus Luzern spielte im Aargau ihr letztes Konzert der kurzen Tour und stellte das neue Album „ZYT“ vor, eine emotionale und eindringliche Begegnung.
Mit dem Konzeptwerk über die Zeit, Fehler der Vergangenheit, Melancholie der Gegenwart und zukünftige Hoffnungen ist dem Quintett ein grosser Wurf gelungen. Alternative Rock mit Emo und Post-Hardcore, persönlich und offen zugleich. Was bereits ab Platte immer wieder mitriss, das wurde live zu einem Triumph. Sänger Michael Portmann fungierte als emotionales Zentrum der Band, als Verbindungspunkt zum Publikum. Voller Inbrunst sang und schrie er die Texte, flankiert von den bewegungsintensiv aufspielenden Mitmusikern.
Besonders Alain Schurter und Arthur Londeix schnitten mit ihren Saiten und Gesten die Minuten in Scheiben, ein Transfer der Energie von den Liedern in ihre Umwelt. Cold Reading zeigten sich in unglaublicher Form, mit Spielfreude und einer geschickt angewandten Wildheit. Synthesizer und Gitarren bildeten die Leitmotive, Schlagzeug und Bass verliehen den Songs die rohe Kraft. „Stay Here, Stay Now“, „Future Continuous“ oder „Present Tense“ erhielten eine neue Identität, jeder Takt war atmosphärisch dicht.
Ob nachdenklich verspielt oder ausrastend ohne Rücksicht, diese fünf Mannen zeugten von einer musikalischen Ehrlichkeit und schienen mit ihrem eigenen Material gewachsen zu sein. Das zementierten sie im Oxil mit einem mitreissenden Konzert, das mir noch lange im Herzen nachhallen wird. Auch ihre Begleiter aus Bremen, She Danced Slowly, konnten überzeugen. Ursprünglich als Soloprojekt angedacht, befanden sich in Zofingen drei Musiker auf der Bühne und gaben von der ersten Minute alles.
Zwar wurde einiges vom Genuss der wilden Songs durch die dumpfe Abmischung des Gesangs vermindert, wie sich die Mannen in die Mixtur aus Post-Hardcore und Rock lehnte, war aber mehr als unterhaltsam. Viele Gitarrenspielereien, ein Schlagzeuger, der sich sozusagen aus seinem Pullover spielte und eine kurze Verschnaufpause mit der Ukulele – vielfältig war der Auftritt. So durfte man den Valentinstag nachholen, die eigenen Sorgen wegspielen lassen und für einmal die Zeit vergessen.
Egal ob stetig oder linear, dieser Abend vereinnahmte mich komplett und liess die Stunden zugleich viel zu kurz und wundervoll ewig erscheinen.
Text: Michael Bohli