Ambulance Recordings / VÖ: 17. Januar 2020 / Electronica
casanorarte.com
Text: Michael Bohli
Identitätssuche und Experiment sollten das Wichtigste im persönlichen Kreativschaffen sein. Keine Rolle haben Konventionen und bekannte Formen zu spielen, Klänge, Tempi und Gefässe sind dehnbare Zustände. „Happiness Is Mostly Sold Out“ ist ein tolles Beispiel für diese Ansätze, die erste EP der Berner Künstlerin Casanora wagt sich in die Untiefen der elektronischen Musik, zwischen Burial-Dunkelheit und Camilla-Sparksss-Emanzipation. Fünf Tracks zwischen Laut und Song, fünf Verkörperungen.
Casanora beweist Mut indem sie gleich zu Beginn Ambient, Experiment und Atmosphäre mit Sprachsamples und scheinbar versteckten Takten und Melodien mischt. Immer hat man bei „Happiness Is Mostly Sold Out“ das Gefühl, gleich hinter die Kulissen blicken zu können, immer ändert die Musikerin in den Momenten die Gehrichtung. Schräge Beats und italienischer Gesang bei „Amber“, destruktive Gedankengänge und brutale Synthesizerspuren beim Highlight „Let the Psycho Go“ – die Musik wird zum Spiel mit der Identität, mit der Wahrnehmung.
Da ist „White Mint“ mit seinen süsslichen Anleihen an die Popmusik fast schon ordinär, wären nicht immer die Verfremdungen und davonflirrenden Töne – Casanora lässt sich nicht einsperren, lieber wird ein zärtlicher Gesang zu einem Björk-ähnlichen Ausrutscher. Dröhnende Perkussion zwischen die Harmonien, dann Rasiermesser-Beats und vertrackte Rhythmen bei „Learn How to Fly This Dragon“. Helligkeit gibt es hier nicht, wohl aber eine aufregende und künstlerisch integre Vision von elektronischer Musik.