22. November 2018
Im Gespräch mit: Rio Wolta, Musiker aus Zürich.
Vom Singer-Songwriter-Gedanken zum vielseitigen Rock- und Folk-Album: Mit seinem zweiten Album „No More Intimate Music“ beweist der Zürcher Musiker Rio Wolta, dass ein Ausbrechen aus den Gewohnheiten sehr befreiend und aufregend sein kann.
Für die Livekonzerte zu der Platte wurden in Zusammenarbeit mit Piet Baumgartner die Kompositionen noch einmal neu angegangen und mit Dunkelheit umhüllt. Doch wie weit kann man als Künstler gehen, bis die Musik zerfällt? Wo beginnt die Intimität?
Michael: „No More Intimate Music“ – der Name macht es klar, das zweite Album ist lauter, wilder. Schreit der Zeitgeist nach Lautstärke?
Rio: Nein, ich glaube der schreit nach Ruhe. Ob das Album wirklich lauter ist, kann ich selber weniger einschätzen. Das erste Album wurde nicht mit einer Band eingespielt, somit fehlte dort der „Band-Sound“, darum wirkt das neue vielleicht etwas wuchtiger.
Es wäre also besser, wenn man wieder mehr in sich kehren würden?
Zumindest sollte man sich, glaube ich, nicht nervös machen lassen. Allerdings ist meine Herangehensweise an Musik nicht, aktuelle Geschehnisse in Zürich aufzugreifen. Musik funktioniert nicht mit dem Kopf, es ist eine Versuchsreihe.
Deine neuen Songs sind unterschiedlich, trotzdem ein Ganzes. Wie viel Intimität deiner Person steckt da drin?
Die Frage ist ja, wessen Intimität enthalten ist. Der naive Vorsatz meinerseits war es zu versuchen, mit diesem Album nichts von mir preiszugeben – so kam der Albumtitel zustande. Es handelt von intimen Gefühlen anderer, ich nahm die Beobachterrolle ein. Wobei es fraglich ist, ob Intimität in der Öffentlichkeit überhaupt existieren kann.
Musik ist aber trotzdem etwas Persönliches.
Klar, ich konnte mich nicht komplett enthalten. Es fühlte sich aber gut an zu sagen, ich beobachte jetzt, wie es zum Beispiel ein Schriftsteller tut. Und diese fragt man auch nicht, wie sie sich dabei fühlen. Er erzählt die Geschichten anderer, bei Musikern denken immer alle, es sei privat.
Wobei man bei Schriftstellern sagt, sie können nur über sich selber schreiben.
Ja, bei Romanfiguren existiert aber automatisch eine Distanz. Wir Musiker werden immer sofort gefragt, wie es uns geht. Wieso gehen immer alle davon aus, dass es sich um mich dreht?
Alleine hat man die komplette Kontrolle, als Band erreicht man schneller den „Endpunkt“. Wie war diese Erfahrung?
Es war mehr das Gefühl, wie auf einer Klassenfahrt zu sein. Wir fuhren für die Aufnahmen nach Frankreich und haben zwei abgelegene Häuser gemietet um dort aufzunehmen und zu schlafen. Beim ersten Album war es ein grösserer Kampf, da ich fast alles alleine einschätzte. Die Gefahr, alles schlecht zu reden und im Selbstzweifel zu versinken ist grösser. Mit einer Band kann dagegen sehr schnell die Meinung entstehen, dass etwas gut ist. Interessant ist aber beides, momentan denke ich, ich würde gerne zurück zum alleinigen Arbeiten.
Ist das Album denn für dich gelungen, oder würdest du doch gerne etwas ändern?
Nein, ändern würde ich nichts. Das Gefühl, dass man etwas am Album noch ändern möchte, ist immer da, das bringt man nicht weg.
Interessant ist, auch im Hinblick auf die heutige Darbietung, dass man Lieder sehr stark verändern kann und sie trotzdem erkennt. Was denkst du, wie weit kannst du Songs aufbrechen?
Erkennbar werden sie auf jeden Fall bleiben, der Unterschied zwischen Livedarbietung und Aufnahme ist aber immer gross. In meinen Augen ist „No More Intimate Music“ ein Album, das live gespielt werden sollte. Es funktioniert sehr gut in dieser Form und bleibt erkennbar, wenn man es erweitert. Ich selber mag es, Dinge in die Länge zu ziehen. Momentan würde ich gerne sehr lange Lieder machen, mit vielen Repetitionen. Dieser Drang, dass alles innert kürzester Zeit funktionieren muss, gefällt mir nicht.
Was ja auch eine Form der Intimität ist, sich mehr als wenige Sekunden auf etwas einzulassen.
Das ist natürlich für alle unterschiedlich. Mir persönlich bedeuten zeitliche Grenzen nichts, andere fühlen sich darin aber bestimmt wohl.
Sollte man für das volle Vergnügen bei den Auftritten dein Album kennen?
Das spielt keine Rolle, es kann beides gut oder schlecht sein.
Du wirst heute zusammen mit Piet Baumgartner die Form des Konzertes aufbrechen. Wie kam es dazu?
Mit dem Video zu „Through My Street“ vom ersten Album erreichten wir den Punkt, an dem wir beide sagten, dass wir diese Bilder nicht nur auf Youtube haben wollen, sondern in einem Raum. Piet kommt aus dem Film und wir drifteten mit den Ideen in Richtung Theater – ein begehbares Musikvideo. Diese, damals noch als einmalig angeschaute Sache gefiel uns sehr, weil man den Raum erfassen konnte. Für Musiker ist dies meist nicht möglich, da an Konzertorten vieles fix aufgeteilt ist. Das war eine schöne Befreiung.
Es ging dann weiter mit „Showroom“ in diesem Jahr, wobei für mich klar war, dass mit der Veröffentlichung des Albums der Liveauftritt dazukommen wird. Aber kein normales Konzert, da wusste ich auch gar nicht wo spielen.
Demnach ist es kein Zufall, dass ihr wieder hier spielt.
Genau. Es war immer eine gute Zusammenarbeit bei den vorangegangenen Projekten und heute kommen noch viele Leute dazu. Die Bühnenbildnerin Annina Geeser half beispielsweise bei der Raumgestaltung, was uns bei normalen Konzerten jeweils fehlt und eine weitere Ebene mit sich bringt.
Nicht nur der Raum ist heute Abend anders, sondern auch die Zeit. Die Besucher können jederzeit die Darbietung verlassen. Wird dies eine Unruhe mit sich bringen?
Wir haben dies gestern getestet und wir hatten eher das Problem, dass die Leute zu lange geblieben waren. Ich hoffe, dies wird keinen Stau beim Einlass verursachen.
Vielleicht haben die Besucher auch die Befürchtung, das beste Element zu verpassen.
Das könnte sein, wobei wir nicht drei Stunden lang Unterschiedliches spielen werden, es gibt Wiederholungen. Natürlich ist es live und darum kann immer alles passieren, was auch das Schöne gegenüber einer Platte ist.
Wie wichtig ist denn jetzt das Bild?
Dieses Mal arbeiten wir mit Dunkelheit, welche aber auch dazu da ist, um die Lichteffekte zu verstärken. Es geht um Intimität, auf die man sich in der Dunkelheit schneller und besser einlassen kann. Dazu kommt, dass man nur hört, nichts sieht. Man wird ein wenig im Stich gelassen.
Wie macht man nach einer solchen Erfahrung weiter? Gibt es bereits Pläne?
Ja, ich habe schon einige neue Ideen. Meist ist es so, dass man gedanklich bereits beim nächsten Projekt ist, davon kann ich aber noch nichts erzählen. Es ist aber klar, dass ich versuchen werde, Livemusik anders umzusetzen.
Es wird immer schwieriger, die Leute für neuartige Dinge zu begeistern. Konntest du ein Publikum finden, das sich gerne auf Experimente einlässt?
Hier ja, es hat sich bei diesen Produktionen in der Gessnerallee ein Publikum gefunden. Wobei ich mir über das Publikum weniger Gedanken mache, ich bin für den Inhalt verantwortlich und das Team bei der Zusammenarbeit sorgt sich um die weiteren Punkte.
Wobei ein Konzert wie dieses hier schon sehr stark mit der Wirkung auf die Leute zielt.
Das ist so. Begonnen hat es indem wir im Dunkeln gespielt haben, was auch für uns bewirkte, dass wir komplett in der Musik waren. Bei einem Konzert funktioniert vieles mit dem visuellen Austausch, nicht nur mit dem Gehör. Ohne Licht verändert sich dies und nach einigen Versuchen war klar, dass wir so spielen wollen. Beim Publikum stellte sich eher die logistische Frage, gerade weil es auch Personen gibt, die sich im Dunkeln unwohl fühlen. Denen musst du einen Ausweg ermöglichen.
Gerade bei diesem Projekt geht es aber auch darum, uns selber aus der Reserve zu locken. Dass wir nicht über alles die Kontrolle halten können – was auch wieder für die Zuhörer spannend ist.
Vielen Dank für dein Zeit und Musik.
Interview: Michael Bohli