16. November 2018
Im Gespräch mit: Anna Calvi (Gesang und Gitarre).
Mit ihrem neusten und dritten Album „Hunter“ bezieht Anna Calvi aus England Stellung. Gegen Ungleichheit, Unterdrückung der Geschlechter und für die LGBT-Freiheit. Das ist nicht nur wichtig, sondern leider auch wieder nötig geworden. Gut also, bietet uns die Künstlerin intelligente Texte und mitreissende Musik, die sich zwischen Indie und Alternative Rock positioniert. Dabei ist das Album nicht wütend, sondern direkt, verständnisvoll und emotional – mit nötiger Auflösung am Schluss und einer angenehmen Portion Dunkelheit.
Live darf man diese Botschaften am Sonntag 18. November 2018 im Plaza Club in Zürich erleben.
Michael: „Not all those who wander are lost.“ Dein Album zeigt das deutlich und heisst „Hunter“. Ist dein Lebensweg frei?
Anna: Ich weiss, was ich will, viel mehr als damals in meiner Jugend. Aber man kann sich nie ganz sicher sein, was das Leben für einen bereithält.
Deine Musik greift die komplexen Themen Geschlecht und Sexualität auf. Wie kann das heute noch ein solch grosses Thema in unserer „entwickelten“ Gesellschaft sein?
Ich stelle mir diese Frage sehr oft. Es gibt immer noch Menschen, die von der Unterwerfung anderer profitieren, und deshalb widersetzen sie sich dem Wandel. Unsere gesamte Zivilisation ist auf einem patriarchalischen System aufgebaut und es bleibt noch viel zu tun, um dies zu ändern.
Mit Songs wie „Chain“ oder „Indies Or Paradise“ hast du eine beeindruckende Möglichkeit gefunden, eine persönliche und akustische Geschichte zu erzählen. War es schwer, die richtigen Worte zu finden?
Ich wollte, dass der Text sehr direkt ist. Die Worte kamen ganz leicht. Es ist mir immer sehr wichtig, dass die Musik auch die Geschichte und den Text erzählt. Ich sehe meine Lieder sehr visuell, wie Minifilme. Ich wollte, dass sich diese Platte viszeral und wild anfühlt.
Das Album ist schnell und offen, aber auch dunkel und grüblerisch. Wo fühlst du dich am wohlsten?
Ich denke, ich werde immer ein Element der Dunkelheit und Hoffnung in meiner Musik haben. Ich werde immer zwischen diese beiden Extreme gezogen.
Mainstream-Popmusik sieht immer noch oft wie eine männliche Fantasie aus. Warum fallen Mädchen und Jungen auf diese gefälschten Götzen herein?
Wenn man ihnen mehr Optionen gibt, fallen sie nicht nur auf die männliche Fantasie herein. Christine and the Queens ist ein Beispiel dafür, wie eine Popsängerin die Form des männlichen, zentrischen Sängers durchbricht.
Du bist aus England. Ist es für die LGBT-Rechte mit all den Brexit-Gesprächen und dem Wandel in der Politik schwieriger geworden?
Seit der Abstimmung zum Brexit sind homophobe Angriffe angestiegen, was schrecklich ist. Es fühlt sich an, als müssten wir die Rechte erneut schützen, die wir in diesen dunklen Zeiten gewonnen haben.
Glaubst du, dass wir die Probleme wie wachsende Angst vor Fremden und Hass als Kultur überwinden können?
Meine Sorge ist, dass der Klimawandel diese Angst vor dem Anderen extremisieren wird, da die Ressourcen knapp werden und immer mehr Menschen von der Umweltkatastrophe betroffen sind, in der wir uns befinden. Ich sehe aber auch, dass es einen Dialog gibt, der durch Menschen stattfindet, die sich über Social Media verbinden, was wir noch nie zuvor erlebt haben. Bei sorgfältiger Behandlung kann dies eine Quelle für grossartige Kommunikation sein.
Sich in der Musik zu verlieren, ist wunderbar. Welche Platten und Künstler möchtest du den Leserinnen und Lesern von ARTNOIR empfehlen?
Ich liebe „No Shape“ von Perfume Genius, und meine Lieblingsplatte ist „Heaven Or Las Vegas“ von den Cocteau Twins.
Du hast auch schon Konzerte in der Schweiz gespielt und kommst zurück nach Zürich. Welche Verbindungen hast du zu diesem Land?
Meine Mutter wuchs in der Schweiz auf, so dass ich mich daran erinnere, Genf zu besuchen und zu sehen, wo meine Mutter lebte und zur Schule ging. Deshalb hatte ich immer das Gefühl, dass die Schweiz ein Teil meiner Geschichte war.
Vielen Dank für deine Zeit und Musik.
Interview: Michael Bohli