11. März 2018
Mascotte – Zürich
Band: IAMX
Es war ein graues Wochenende. Und dass der düstere Dark Wave von IAMX den Tag nicht unbedingt in den strahlendsten, hellsten und wärmsten Sommertag verwandeln würde, lag auf der Hand.
Was am Sonntagabend im Mascotte auf das Publikum zukam war dunkel, melancholisch, manchmal grell, mal sanft, nur um brachial zu sein. In Dunkelheit gehüllt und nur spärlich beleuchtet betraten Chris Corner und seine Band die Bühne, um gleich mit dem Titeltrack seines aktuellen Albums „Alive In New Light“ loszulegen. Auch darauffolgende Songs wie „Break the Chain“ und „Happiness“ zeigten, wohin das führen würde – niemandem wurde etwas vorgegaukelt und dem Publikum von Anfang an klar gezeigt, worum es ging: Selbstzermarterung, Selbstzweifel, Emotionen, aber zumindest bei einigen der Titel auch um die Befreiung aus diesen Tiefen der Seele heraus.
Bei aller Dunkelheit der Lyrics, so stocktiefe Nacht war es dann doch nicht, obwohl es im Mascotte selten hell wurde. IAMXs Musik lebt sicher von der tragenden, nach oben schwingenden und zur Traurigkeit neigenden Stimme von Chris Corner. Aber die Musik hat noch viel mehr zu bieten. Synthgruften, die Spalten aufklaffen lassen, um dann zu Schluchten anzuwachsen. Alles wurde getragen von wummernden Bässen, die keinen ruhig in seiner Ecke stehen liessen. Endlos scheinende Wiederholungen, die gar nicht so endlos waren. Im Gegenteil, genau in dem Augenblick, in dem sie verschwanden, vermisste man sie schon. Wieso schon jetzt? Dazu das Drum, der Beat technoid und hämmernd, aber der Sound nie clean und steril, sondern scheppernd und roh. Man wurde richtiggehend in einen Sog hineingezogen, ein endloser Fall in die Leere, ohne jemals aufzuschlagen, ohne Aussicht auf Befreiung.
Überhaupt driften die Songs von IAMX nie ins Groteske oder Disharmonische ab, sind selten schwierig. Sie bleiben bei aller Schwere, bei aller Brachialität, bei aller Melancholie und bei all dem Schwarzen, das sich in ihnen verbirgt, immer harmonisch. Es eckt an, aber nicht im Unterbewusstsein, nicht im Gehör. Und das ist genau das, was an einem Konzert von IAMX jedem Zuhörer genau die richtige Menge Luft lässt, sich in seinen eigenen Film hinein zu versetzen. Man kann loslassen. Sich hingeben. Die gruseligen und durchaus verstörenden Visuals, gepaart mit der grossartigen Lichtshow, die erstaunlicherweise gänzlich ohne Stroboskope und ohne Nebel auskam, trugen ihren Teil dazu bei.
Grossartig war der Anblick der ersten paar Reihen, wie sie vor der Bühne abgingen. Es wurde getanzt, gestampft, mitgesungen, und mitgelitten, was auch von der Band und allen voran von der Bassistin mit ihrem Steinberg-Headless-Bass (gibt es eine andere Band als IAMX, bei der das absolut in Ordnung geht? Hmm …) richtiggehend gefeiert wurde und so eine unglaubliche Ausgelassenheit entstand. Persönliche Höhepunkte waren „Spit It Out“ mit dröhnenden Synths sowie vor allem „Kiss And Swallow“, die zweite Zugabe. Niemand konnte mehr stillstehen, und der Basssynth wuchtete wie ein Vorschlaghammer drauflos, als müsste der Club noch innerhalb dieses einen Liedes dem Erdboden gleichgemacht werden.
IAMX ist und bleibt schwere Kost, nicht immer einfach, aber wahnsinnig einnehmend. Es ist unglaublich, wie viel IAMX erlaubt. Sich der Traurigkeit hinzugeben, sich wütend machen zu lassen, alles rauszulassen, zu schreien, zu weinen, sich auszutoben, mitzufeiern oder mitzutrauern. Dem Innersten freien Lauf zu lassen. Oder auch dem Äussersten.
Der Sonntag war grauer Tag. Aber IAMX half. Grau ist eine schöne Farbe!
Text: Mischa Castiglioni