ANTI- Records / VÖ: 6. September 2024 / Indie-Rock
MJ Lenderman
Text: Torsten Sarfert
An der Indie-Rock-Front braut sich was zusammen. Und zwar in Gestalt eines blassen Mittzwanzigers aus North Carolina, der die Essenz des 90er Indie-Folk-Rocks quasi mit der Muttermilch aufsog. MJ Lenderman lässt die Fans von Pavement, Sparklehorse, Cracker, Lemonheads und ja, auch R.E.M. und Nirvana, geradezu frohlocken. Der introspektive, schräg-schöne Slacker Sound ist wieder da und klingt auf Lendermans drittem Album „Manning Fireworks“ so frisch, als wäre er nie weg gewesen. Oder als ob die Zeit 30 Jahre stillgestanden hätte. Schon die Anfangszeilen der ersten und gleichzeitig Lendermans „zukünftigen Lieblingssingle“ „She’s Leaving You“ sorgt für Freudentränen auf dem Flanellhemd:
„You can put your clothes back on / She’s leaving you / No time to apologize for the Things you do / Go rent a Ferrari / And sing the blues / Believe that Clapton was the second coming“.
Wie alt ist der Typ nochmal? Egal. Hier wird emotional einfach mal wieder vor der eigenen Tür gekehrt. Bei der zweiten Single „Joker Lips“ wird gleich nochmal nachgelegt: „And you know I love my TV / But all I really wanna see / Is see you need me“. Befindlichkeiten, für die man entweder selbst oder vielleicht noch das nähere Umfeld verantwortlich ist und die sich meist irgendwie klären lassen, ohne dass die Welt untergehen könnte. Wohltuend, bei aller Melancholie erfrischend und musikalisch in kantig Wilco-esken alt Country verpackt.
In „Rudolph“ unterlegt eine konsequent schräge Mischung aus Lap-Steel und verzerrter Sonic Youth Gitarre, Lendermans Frage nach „How many roads must a man walk down til he learns / he’s just a jerk?“ Unklar bleibt hier, wen er damit meint, eventuell gar sich selbst. Einigermassen klar ist jedoch die Dylan-Referenz. Lenderman verliert sich aber nicht in romantisch-verklärenden Reminiszenzen, was auch gleich im Song „Wristwatch“ deutlich wird. Hier thematisiert er erneut seine Vorliebe für zwischenmenschliche Beziehungen, für die er jedes Geld und jeden modernen unnützen Mist liegenlassen würde, wenn er einfach nur nicht mehr alleine wäre („ got a beach home up in Buffalo / and a wristwatch that’s a compass and a cell phone / I’d still take your Amazing Grace / I’d give all my money / and I’d still take your pretty face / and I’ve got a houseboat docked at the Himbo Dome and a wristwatch that tells me I’m on my own“).
Und die Folk Ballade „Rip Torn“ mit der verstimmten Country-Fiddle ist einfach nur ganz grosse zeitlose Poesie: „If you tap on the glass / the sharks might look at you / you’re damned if they don’t / and you’re damned if they do“. Das klärt sich dann vielleicht doch nicht ganz rückstandsfrei von selbst.
Da kann man nur hoffen, dass das flehentliche „SOS“ erhört wurde, das er im finalen „Bark At The Moon“ an die Liebste aussendet. Selbiges nach sehnsüchtigen Harmonien endend in einem Grande Finale mit einem sechsminütigen, die Dringlichkeit des Anliegens unterstützenden Distortion-Gewitter: „Don’t move to New York City, babe / SOS!“
Es wäre ja geradezu fatal, wenn wie im Titelsong „Manning Fireworks“, noch ein*e Idiot*in mit Feuerwerk zündeln und die Karriere eines des laut NME „vielversprechendsten jungen Stars der Indie-Rock-Szene“ im Keim ersticken sollte: „You once was a baby and now a jerk / standing close to the pyre manning fireworks“.