God Unknown Records / VÖ: 8. März 2024 / Folk, Blues
johnjpresley.com
Text: Torsten Sarfert
John J. Presley, der eigenwillige Multi-Instrumentalist aus Brighton, lässt sich nur schwer einordnen. Am ehesten vielleicht in das Genre des Folk-Blues-Noir. Dazu zieht er allerdings auch gerne mächtige Post-Rock-Soundwände hoch und bleibt dabei immer noch ein klassischer Songwriter. Mit seinem neuen Album «Chaos & Calypso» legt Presley jedenfalls ein wuchtiges und äusserst spannendes Werk vor. Schon beim ersten Track «Silhouettes» stellt sich dieses schaurig-schöne Gefühl ein, für das man manisch anmutende Künstler wie Nick Cave, Tom Waits, Mark Lanegan und PJ Harvey so liebt: Düsterer, hypnotischer (Sprech-) Gesang, psychedelische Bluesriffs, unvermittelt hereinbrechende, dissonante Soundeffekte oder, wie im aktuellen Fall, eine vollkommen durchgeknallte Klarinette.
Der nächste Track «Sinnerman» trägt die sinistre Sünde schon im Namen und ist auch musikalisch die pure Katharsis. Presley erzeugt mit teils experimentell gespielter Gitarre, Bass und Pedal-Steel eine einzigartige, hypnotisch-bedrohliche Stimmung, die von seiner gebrochenen, kratzigen Stimme aber glücklicherweise und auf Albumlänge immer die letzte Ölung erhält. Keine leichte Kost fürwahr – aber was für ein Trip.
Während neun Tracks und knapp über 30 Minuten Spielzeit, behandelt Presley eine grosse Bandbreite an musikalischen und lyrischen Themen im Spannungsfeld von «Chaos & Calypso». In «Sea Of Deserters» wird die völlige Unzufriedenheit über das aktuelle politische Klima zum Ausdruck gebracht: «Die völlige Abscheu und Frustration über die Mächtigen. Die schiere Anspruchshaltung mancher Individuen und das Chaos, das viele für künftige Generationen hinterlassen haben. Egoistische, beispiellose, ungebildete Gier», erklärt Presley mit roher Frustration in seiner rauen Stimme. Verstärkt wird diese Wut akustisch noch durch dröhnende Bläser und ebenso rohe, mit maximalem Overdrive verzerrten Gitarren. Bei «Hold The Ties» folgte Presley anscheinend einem Bewusstseinsstrom, der spätnachts und in einem tranceähnlichen Zustand im Studio aufgenommen wurde. Klingen tut es in jedem Fall danach.
In «The Sequel» geht es um Heuchler und Presleys Verachtung derselben. Diese wird eindrucksvoll durch den verzerrtesten Sound ausgedrückt, den man mit einem Verstärker und einer Fuzzbox erzeugen kann. Da kann man schon fast Mitleid mit den Heuchlern bekommen. Das Album schliesst mit «Into The Fire», wobei Presley seiner Pedal-Steel einen geradezu orchestral-breitwandigen Fuzz-Sound verpasst und gleichzeitig dazu singt. «Ich liebe die Zweideutigkeit und Resonanz einer Pedal Steel, es ist ein ruhiges Instrument», sagt er. Davon merkt man bei seiner Spielweise zwar nicht allzu viel. Gerade deswegen sind aber der Sound und die Atmosphäre auf diesem Album das Aufregendste, was es seit langem in diesem Genre zu hören gab.