Unique Records / VÖ: 7. April 2023 / Art-Rock, Indie
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Text: David Spring
Schaut man sich die Erde unter unseren Füssen mal genauer an, findet man Tod und Verwesung. Schaut man noch genauer hin, merkt man, dass in all dem Modder auch stetig neues Leben entsteht. Nicht unähnlich verhalten sich unsere Körper, ständig regenerierend und eigentlich unglaublich resilient braucht es nicht viel, dass alles auseinanderfällt. Solch erdige und schwierige Gedanken macht sich die südafrikanische Wahl-Berlinerin Lucy Kruger auf ihrem neusten Werk «Heaving».
Es überrascht also nicht, dass die Musik keine einfache ist. Wie so oft offenbaren Genres nur die halbe Wahrheit, denn was ist schon Art-Noise-Pop? Vorneweg: The Lost Boys sind ein bunter Riegen an Künstler:innen und Musiker:innen, die mit Instrumenten von der Gitarre bis hin zur Bratsche die Visionen von Lucy Kruger zum Leben erwecken. Und leben tun die zehn Songs auf jeden Fall. Der Titeltrack ist intim und zurückgehalten, ein luftiger Synth-Beat, eine sanfte Gitarre und Krugers eindringliche, verführerische Stimme, die beinahe flehend «I want to be hot and helpless, on our living room floor – heaving!» flüstert.
Lucy Kruger & The Lost Boys machen experimentelle, abwechslungsreiche Musik. «Howl» beginnt mit lässigem Drum’n’Bass-Beat und Synth-Basslauf, bevor Kruger in immer verstörender wirkende Schreie verfällt. Der Song geht unter die Haut und kratzt auf, das folgende «StereoScope», ein zurückgelehntes Indie-Pop-Stück mit schöner Melodie, wirkt dagegen beinahe heilend und besänftigend. «Burning Buildings» wiederum ist ein super-cooler Mid-Tempo-Rocker im Stil von Metric, «Feedback Hounds” erinnert mit den knackigen Gitarren und die dringliche Stimme an Grössen wie Laura Marling.
Die Musik auf «Heaving» soll anecken und etwas mit uns anstellen. Nachdenkliche Post-Rock-Elemente stossen auf intime Singer-Songwriter-Momente, traurige Emotionen auf verwirrtes Glück und entartete Verzweiflung. Obwohl die Musik vordergründig meistens simpel und aufs Nötigste reduziert wirkt, passiert erstaunlich viel. Der zu stetem Herzschlag pulsierende Beat, die intimen, ehrlichen Texte und vor allem die sehr weit vorne im Mix stehende, faszinierende Stimme Kurgers lassen die Songs zum Leben erwecken.
Der schummrig düstere Closer «Undress» lässt schliesslich alle Hüllen fallen. Wenn Lucy ängstlich flehend «Please don’t go, please don’t go» wiederholt, geht das unter die Haut. «Heaving» ist eine faszinierende und herausfordernde Platte, die uns die Emotionen des Lebens entgegenhält, so dunkel und gefährlich sie manchmal sein mögen. Am Schluss jedoch ist man mit sich im Reinen, denn Lucy Kruger & The Lost Boys verstehen uns, sie leiden und leben mit uns. Schön so.