Trocadero Music / VÖ: 31. März 2023 / Indie, Art-Rock
hendrikotremba.de
Text: David Spring
«Nicht, dass etwas mit seinem Gesicht passiert wäre. Etwas war mit der Welt geschehen. […] Glatt ist das Eis, das das Leben heißt. In der einen Hand die unsichtbare Waffe, in der anderen ein Blumenstrauss.» Unheilvoll, unsicher, zermürbend und geheimnisvoll, alles Ausdrücke, die dieses Zitat und damit das Schaffen des Hendrik Otrembas nicht unzutreffend beschreiben. «Riskantes Manöver» heisst das zerebrale und bald zelebrierte erste Solo-Oeuvre des Messer-Frontmanns, gute 12 Jahre war es in der Schaffe und nun endlich ist es hier.
Otremba schafft für sein Solo-Werk eine Kunstfigur namens Sechsundsechzig, die aus den Abgründen und Aschehaufen unserer Gesellschaft erzählt, mal als teilnehmender Akteur, meistens aber als aussenstehende, beobachtende und berichtende Instanz. Wie schon das bandagierte und verborgene Gesicht auf dem Plattencover andeutet, handelt es sich bei «Riskantes Manöver» nicht um eine aus Eitelkeit oder Mitteilungsdrang geschaffene Ansammlung autobiographischer Songs. Vielmehr ist es ein Gesamtkunstwerk eines so kreativen wie hoffnungslosen Künstlers, das furchtlos in tiefe Abgründe blickt, aufkratzt, wehtut, das anonym ist und doch unendlich intim wirkt.
Passend also, dass Hendrik Otremba nicht alleine werkelt, sondern einen Seiten-füllenden Katalog an Künstler:innen um sich schart, um seine Vision zum Leben zu erwecken. Entsprechend vielseitig, abwechslungsreich und unvorhersehbar die Stücke. Das allesumfassende Gefühl des Albums ist das alter, verstaubter und vergessener Kinosäle, andächtig, nostalgisch und von cineastischen Zitaten und Referenzen triefend. Doch so romantisch das klingt, so destruktiv und hoffnungslos ist Otrembas Blick auf das Geschehen.
So steht schlussendlich nicht eine zarte Streicher-Ballade wie «New York II» oder das wunderschöne Michael-Holm-Western-Cover «Smog In Frankfurt» im Zentrum, sondern das unbequeme, ja gar abstossende «Nektar Nektar». Mit verstörend chaotischen Saxophon-Klängen, Lindemann-artigen Wahnsinn in der Stimme und wahrhaft apokalyptischen lyrischen Gewalt. Dieses siebeneinhalbminütige Stück verlangt viel und hinterlässt einem in einem schmerzend und hoffnungslos. Hart, wüst und unnahbar, doch kommt man nicht umhin, vollends fasziniert zu sein.
Hendrik Otremba und Sechsundsechzig haben viel zu berichten. Es lohnt sich, aufmerksam hinzuhören, auch wenn es manchmal unangenehm ist. Ja, das Album ist ein «Riskantes Manöver», allen wird es nicht gefallen. Für alle jedoch, denen Musik mehr bedeutet, als nur eine Reihe von Songs, und für alle, denen das Format eines zusammenhängenden Albums eher entspricht, als eine aleatorische Playlist, die werden an Hendrik Otrembas eigenwilligen, riskanten und ultimativ äusserst gelungenen Werk viel Freude haben.