Tapete Records / VÖ: 10. Februar 2023 / Punk, Indie
schrottgrenze.de
Text: David Spring
«Stell dir vor, wir wachen auf und es wär der allerschönste Morgen, denn das Patriarchat wäre gestorben.» Mit diesen wundervollen Worten beginnt das neuste Album von Schrottgrenze. Bereits der Titel «Das Universum Ist Nicht Binär» gibt die Wegrichtung vor, die Platte reiht sich thematisch nahtlos in die eigene queere Trilogie der letzten beiden Alben «Glitzer Auf Beton» und «Alles Zerpflücken» ein.
Schrottgrenze 2023 ist nicht dieselbe Punk-Band, die 1994 in Peine gegründet wurde. Nicht mehr simple drei Akkorde und schnoddrig gespielte Instrumente stehen im Vordergrund, sondern Synthesizer, orchestrale Arrangements und gar klassische Chöre. Den Punk hat die Band um Sängerin* Saskia Lavaux aber freilich nicht verloren, sind ihre Texte in der immer noch von mehrheitlich weissen Cis-Hetero-Männern regierten Welt wohl wichtiger denn je.
Songs wie das unmissverständliche «Männerphantasien», die clevere Social Media-Kritik «Happyland» und das erfrischend wütende Highlight «Lieber Regen» zeigen wachsam auf, wo die Missstände unserer Gesellschaft liegen. Schrottgrenze wären nicht sie selber, wenn nicht auch eine versöhnliche Nachricht und eine gehörige Portion Humor mit dabei wären. Das locker punkige «Bürokratie» zaubert trotz unschönem Thema schnell ein Grinsen ins Gesicht. «Boomer Tränen» macht ebenfalls wütend, doch man kommt nicht umhin, ob dem grossartig besungenen «Leid» einiger ewiggestrig verknorksten Vertreter der Baby-Boomer-Generation zu lachen.
«Das Universum Ist Nicht Binär» ist ein Meisterwerk voller Herz, Wut, Traurigkeit, Freude und Liebe. Selbstbestimmung und -verwirklichung sind zentral, genauso wie der Kampf gegen die eingerosteten Strukturen unserer Gesellschaft. Viele der Lieder besingen ernsthafte und schwierige Themen, aber schlussendlich sind sie vor allem eins: mächtig empowernd. Die Musik ist dazu passend bombastisch und wundervoll melodiös. Mit einer modernen, druckvollen Produktion und einem bunten Sammelsurium an Stilrichtungen gefällt die Platte zu jeder Sekunde.
Schrottgrenze haben ihre Pöbelpunk-Zeiten lange hinter sich gelassen, um die Hymnen einer offenen, modernen und queeren neuen Generation zu schreiben. Die Zukunft muss bunt und vielfältig sein, doch der Kampf dafür ist lange nicht gewonnen. Darum zum Schluss Saskias Aufruf aus dem wichtigen Buch «Punk As F*ck»: «Zeigt euch gegenseitig Wege auf, die aus all den Hemmnissen, Zwängen und patriarchalen Strukturen herausführen. Gestaltet euer Leben so, wie ihr es für richtig haltet […]» Am Ende des Tages ist nämlich dies die wichtigste Botschaft überhaupt: du bist nicht allein, denn zusammen sind wir am stärksten, zusammen kriegen wir das hin.