Muse + Patent Ochsner + Viagra Boys + Friedberg + Tones and I + Camilla Sparksss uvm.
OpenAir St. Gallen
Freitag, 1. Juli und Samstag, 2. Juli 2022
Text: Eliane Hofstetter / Bilder: Manuela Haltiner
Freitag
Der Zug am Freitagmittag in Richtung St. Gallen zeigte schon ab dem HB: die Zeichen standen auf Grossanlass. Der Platz war knapp und mir wurde bewusst, wie sehr ich die negativen Aspekte der Festivals vergessen habe. Aber nun denn, da müssen wir jetzt alle durch. Nach 1.5 Stunden anstehen, durchquetschen, hallo sagen, Bus fahren und mehr anstehen war ich auf dem Gelände, zum Glück hatte ich die Gummistiefel eingepackt. Der Schlamm gehört zum OpenAir St. Gallen wie das Schützengarten-Bier. Und der Regen sollte bald aufhören.
Das erste Konzert liess ich mir von meinen Freunden empfehlen: bei den Viagra Boys auf der Sternenbühne im Zelt roch es nach abgestandenem Schlamm, die Stimmung war gut, aber noch verhalten. Wie geht schon wieder Festival? Highlight der unterhaltsamen Show: der Saxophonspieler mit 90er-Sonnenbrille, Shorts und dem besten Hüftschwung seit Elvis. Das Saxophonsolo begeisterte die Massen, der bitz kaputte Punkrock ebenfalls. Willkommen zurück, Festivalgefühl. Auf das ein Bier.
Das „lustige Gegenstände im Publikum hochhalten“ ist auch typisch fürs OASG – ausser Dosen und Glasflaschen ist fast alles erlaubt auf dem Gelände. Eine unvollständige Auflistung der Gegenstände, die im Lauf des Festivals zu sehen sind: Poolnudeln, ein Staubwedel, ein Lichtschwert, Fahnen mit mehr oder weniger witzigen Beschriftungen, ein Plastikrabe, Sonnenschirme, Menschen auf Schultern, Leuchtballone und aufblasbare Einhörner. Ob davon alles wieder mit nach Hause genommen wurde, ist eine andere Frage.
Szenenwechsel zur Sitterbühne. Patent Ochsner sind gefühlt jedes Jahr da, und jedes Jahr füllt sich der Platz vor der Bühne und jedes Mal ist es ein Wahnsinnsmoment, wenn das ganze Sittertobel gemeinsam „W. Nuss vo Bümpliz“ und „Scharlachrot“ singt, begleitet von etwa 15 Musiker:innen rund um Büne Huber und seinen Strohhut. Der erste Gänsehautmoment des Openairs, viel mehr muss man dazu gar nicht schreiben.
Rüber zu Jeans For Jesus auf die Sternenbühne, es war noch ungewohnt hell, die Lichtspiele kamen noch nicht so richtig zur Geltung. Bei „Estavayer“ kam die Meute trotzdem in Fahrt, die Poolnudeln wackelten, es wurde gehüpft und Bier verschüttet, berndeutsche Songs für die Ewigkeit gesungen. Leider spielten Annie Taylor gleichzeitig, und wie so oft an einem Festival verpasste ich sie, genauso wie Soft Loft und andere Schweizer Bands, die auf der neuen Intro Stage gespielt haben. Was auffällt: die meisten dort gebuchten Acts sind inzwischen fast zu bekannt für die Intro Stage, die den Slogan “New Music” trägt, aber ich schiebe das auf die Tatsache, dass jetzt quasi das Lineup von vor 2 Jahren spielt – und wenn das OpenAir St. Gallen ruft, werden die wenigsten absagen.
Kurzes Ess- und Trink- und Sitzintermezzo. Das Foodangebot wird erfreulicherweise immer diverser, sogar frische Früchte und fancy Frühstücksmüesli gibt’s, in den Camps nehmen viele auch ihre Kohlegrills mit und bereiten sich ihr Essen bequem vor dem eigenen Zelt zu.
Und dann das Konzert des Freitag-Headliners. Annenmaykantereit verstärkten ihre Liveband mit Streich- und Blasinstrumenten (die überwiegend weiblich besetzt sind, Daumen hoch dafür). Das verlieh den Songs einen volleren Sound, machte mehr Spass und kaschierte teilweise die etwas plumpen Reime. Letzteres scheint die Menschen nicht gestört zu haben, es wurde mitgesungen, geschaukelt und Fahnen geschwungen. Die Stimmung war durchgehend friedlich, die Freude daran hier zu sein überall spürbar.
Direkt im Anschluss spielten Friedberg aus Österreich auf der Intro Stage. Die vier Frauen machen soliden Rock mit Pop-Einschlag. Der grosse Hit, der aus den anderen heraussticht, fehlt ihnen, aber sie vermochten das Publikum mitzureissen, haben Drive und die Musik ist tanzbar. Wobei, jetzt kurz vor Mitternacht machte es den Eindruck, als seien viele sehr müde (inkl. mir), darum glichen die Bewegungen eher einem Mitschunkeln als richtigem Tanzen, aber der Wille zählte.
Dann Auftritt Deichkind, die mit ihrer legendären Bühnenshow und kräftigem Bass alle Anwesenden nochmals zu wecken vermochten. Es wurde gehüpft, getanzt, auf Fässern gefahren, alle waren on fire, der Abriss komplett. Damit wurde dem Freitagabend die Krone aufgesetzt und die müden Glieder konnten ruhen.
Samstag
Was ich definitiv nicht vermisst habe, ist das Schlafen im Zelt. Weil das Wetter mitspielte, war es wenigstens länger angenehm kühl, die nächtliche Geräuschbelastung und die eher beengten Platzverhältnisse machten das Schlaferlebnis aber nicht wirklich angenehm. Auf zum (für mich) zweiten Festivaltag. Bei Dachs kurz reingeschaut, als Lokalmatadoren lockten sie erstaunlich viele Menschen in die Sternenbühne – sie spielten um 12:45. Der Restschlamm ist geblieben, aber die Sonne schien, die Stimmung war gut, Sonnenschirme aufgespannt und die Campingstühle positioniert.
Perfekt zur Stimmung passten auch Steiner & Madlaina, die auf der grossen Sitterbühne eine beachtliche Menschenmenge anlockten. Am Abend sprang Madlainas Bruder Faber als Ersatz ein, Backstage dürfte das Openair einer Familenfeier geglichen haben.
Beim Streifzug durchs Gelände sind einige Änderungen aufgefallen: der schreckliche Bacardi Dome wurde abgeschafft, es scheint mehr überdachte Sitzmöglichkeiten zu geben, es gab mehr WCs und ein paar der Sponsoren haben gewechselt. Das OASG ist und bleibt ein grosses kommerzielles Festival und für viele einfach ein Partywochenende ohne Rücksicht auf Verluste, vieles wurde aber verbessert. Was jedoch bleibt: die unglaublichen Abfallberge vor den Bühnen und auf dem Gelände – trotz Depotsystem und vielen Abfallstationen ist und bleibt das ein Thema, das nicht ignoriert werden kann. Wie viele Zelte wohl dieses Jahr liegen geblieben sind?
Ansonsten zeigte sich: die Laune war gut. Die Abendsonne tauchte den Zeltplatz in goldenes Licht, Pavillons und Campingstühle mit biertrinkenden Menschen drauf und drunter, als wäre nie Pause gewesen. Dass die meisten etwas netter sind als sonst ist vielleicht Einbildung, aber es herrschte eine Glückseligkeit, dass wieder Openair ist, ob der Fokus jetzt auf der Musik oder dem Drumherum liegt.
Nach einer Pause ging es zu Muse. Der Auftritt startete mit maskierten Musikern und Feuershow, der zweite Song bereits ein Klassiker. Das Konzert war genauso, wie ich es mir vorgestellt hatte: musikalisch top, mit aufwendiger Kulisse – eine riesige, sich drehende Maske und Hände mit gelegentlichen Flammen und Lasern – und den bekannten Songs der Band, das Publikum stets zur Stelle mit Mitsingen (auch die Instrumentalparts). Muse gehören in Stadien und an grosse Festivals, alles andere passt nicht zum Bombast und den hymnischen Songs. Die neueren Lieder fielen etwas ab, aus der Fassung bringen liess sich die Band aber nicht. Sie servierten alle grossen Hits, von ganz alt („Plug in Baby“, „Hysteria“) zu mittelalt („Uprising“) und neues, vielversprechendes Material („Kill or be killed“), das die nicht ganz so-Hardcorefans begeisterten. Als als Zugabe „Knights of Cydonia“ gespielt wurde, war kein Halten mehr in der Menge. Halb heiser und voller Glücksgefühle standen wir nach dem Konzert ungläubig da.
Harter Cut: auf der kleinen Plaza-Bühne oberhalb der Ebene vor der Sitterbühne spielten Cheibe Balagan kurz vor Mitternacht Balkansounds zwischen Polka und österreichischem Klezmer, eine kurze Tanzeinlage und dann wieder runter zur Sternenbühne.
Dort warteten alle gespannt auf Kummer, es gab kein Durchkommen mehr im Zelt. Die Menge kochte, es wurde mitgegrölt, zwischendurch streute Felix Kummer noch ein paar Kraftklub-Hits ein. Bevors ins Bett ging, schaute ich noch bei Camilla Sparksss vorbei, deren Konzert um zwei Uhr morgens begonnen hatte. Im Intro Stage-Zelt tummelten sich vielleicht 50 Menschen, aber die Anwesenden tanzten und schüttelten und drehten sich wie im Rausch. Die Musik von Sparksss ist aber auch wie dafür gemacht: Beats, Schallplatten und ihre Stimme mit dem Strobo der Bühne vermischt, da werden die Tanzgeister geweckt. Als Bettmümpfeli servierte sie meinen persönlichen Favoriten „Are U Ok?“ und ich konnte sagen: ja, ich bin sehr ok. Sehr müde, aber sehr ok. Danke Camilla, danke Openair St. Gallen. Du bist zwar gross und kommerziell, aber irgendwie mag ich dich trotzdem, besonders wenn du wie dieses Mal weniger pöbelnde Betrunkene anlockst.
St. Gallen, du bist definitiv kein Festival, um neue Musik zu entdecken, dafür umso mehr, um Lieblinge live zu sehen, Schweizer Acts zu supporten und sich von der Stimmung berieseln und berauschen zu lassen.
Setlist Muse [Quelle: Setlist.fm]
1. Will of the People
2. Hysteria
3. Psycho
4. Pressure
5. Won’t Stand Down
6. Citizen Erased
7. The Gallery
8. Compliance
9. Thought Contagion
10. Time Is Running Out
11. Nishe
12. Madness
13. Supermassive Black Hole
14. Plug In Baby
15. Behold, the Glove
16. Uprising
17. Starlight
Zugabe:
18. Kill or Be Killed
19. Knights of Cydonia