Nick Cave & The Bad Seeds + Emilie Zoé
Auditorium Stravinski – Montreux
Samstag, 2. Juli 2022
Text: Michael Bohli
Viel ist passiert, seit Nick Cave & The Bad Seeds das letzte Mal in Montreux live zu sehen waren. Schöne Dinge, Tragödie, globale Krisen. Dass diese Ereignisse seit 2018 nicht spurlos an uns allen vorübergegangen sind, liegt auf der eventuell roten Hand. Dass der legendäre Musiker das Auditorium Stravinski allerdings mit einer extremen Wucht und fast spürbar aggressiven Stimmung entern würde, hatte wohl niemand erwartet.
«Get Ready for Love» war die Eröffnung, brachial und laut, Nick wurde mit diesem Lied seinem Ruf als Messias schon fast zu gerecht. Die Leute jubelten, die grosse Band spielte sich laut polternd durch das Stück, keine Zeit für Luft blieb mit «There She Goes, My Beautiful World». Nick Cave & The Bad Seeds liessen das Montreux Jazz Festival beben, mit dem sehr früh in der Setlist platzierten «Jubilee Street» begann der Meister seine Spielereien mit Wortwiederholungen und lang ausgedehnten Zwischenteilen. Warren Ellis und die Bad Seeds waren seiner Laune ausgeliefert, die vordersten Reihen noch mehr. Herr Cave lehnte sich in die Zuschauer:innen, griff nach Händen und konterte Jubelrufe mit kalter Schulter oder sarkastischen Kommentaren.
Die Hitze im Auditorium stieg an, der Platz wurde gefühlt mit jedem Lied weniger. Was hier präsentiert wurde, war ein Ringen um die Seele, im Kollektiv, in gegenseitiger Verstärkung. Wut, Verzweiflung, Trauer und Katharsis – Nick Cave & The Bad Seeds liessen alte Stücke wie «The Ship Song» und «Tupelo» auf die aktuellen Scheiben «Carnage» und «Ghosteen» prallen. Wie ein Gewitter entluden sich die Gitarren-, Geigen- und Keyboardklänge. Und immer wieder flog das Mikrofon durch die Luft, das Piano wurde ungeduldig bespielt. Nicht nur «Higgs Boson Blues» dauerte lange, das Konzert selbst wurde zu einer eigenen Zeitrechnung.
Dass in all dieser Hitze doch eine Läuterung passierte, war der Genialität von Nick Cave & The Bad Seeds zu verdanken. Stücke wie «White Elephant» oder «O Children» ordneten die Welt neu, dazwischen gab es Erschütterungen und Kontakt. Es blieb ein Abend der gemischten Gefühle, der klanglichen Krönung und der geschüttelten Herzen.
Nicht weniger eindrücklich startete der Samstagabend mit Emilie Zoé. Die Musikerin hat sich innert weniger Jahren einen grossen Ruf erarbeitet, den sie mit einem wuchtigen und mitreissenden Set in Montreux bestätigte. Es war gross und laut, was die Künstlerin mit dem begleitenden Schlagzeuger ablieferte – und klang nicht selten nach einer viel grösseren Besetzung. Die Ehrung, an diesem Festival auftreten zu dürfen, brachte nichts durcheinander, sondern viel Energie.
Das Album «Hello Future Me» wurde zelebriert, mit Botschaften von vergangenen Konzerten und vorzüglichen Darbietungen. Emilie Zoé machte an dem Samstag alles richtig und konnte das gesamte Publikum bekehren.
Setlist [Quelle: Setlist.fm]
1. Get Ready for Love
2. There She Goes, My Beautiful World
3. From Her to Eternity
4. O Children
5. Jubilee Street
6. Bright Horses
7. I Need You
8. Waiting for You
9. Carnage
10. Tupelo
11. Red Right Hand
12. The Mercy Seat
13. The Ship Song
14. Higgs Boson Blues
15. City of Refuge
16. White Elephant
Zugabe
17. Into My Arms
18. Vortex
19. Ghosteen Speaks