Ventil Verlag / ISBN: 978-3-95575-168-5
Text: Torsten Sarfert
L’Attentat, Planlos, Rosa Extra, Rosa Beton, Koks, Schleim-Keim, Betonromantik, Der Schwarze Kanal, Namenlos, Antitrott, Müllstation, Papierkrieg, Paranoia, Rotzjungen, Zwitschermaschine, Bandsalat, Einfach, 5 Wochen im Ballon, Kein Talent, The Leistungsleichen, Sendeschluss, Tapetenwechsel, Unerwünscht, Restbestand, Skunks, Zerfall und Wutanfall.
Dies sind nur die Namen der bekanntesten DDR-Punkbands, die von 1980 bis zum Mauerfall 1989 der bereits stark erodierenden Republik ordentlich den Stinkefinger zeigen sollten. Im Gegensatz zu den Gründerländern USA und Grossbritannien jedoch nur unter massivsten staatlichen Repressionen. Die Stasi (Ministerium für Staatssicherheit) „besetzte“ sogar zahlreiche Bands mit informellen Mitarbeitern – sogenannten „IM“ -, die nichts anderes als Spitzel für den Staat waren. Diese sorgten unter anderem dafür, dass Konzerte nicht selten Ziele für koordinierte und brutale Störaktionen des eigens rekrutierten Publikums wurden. Schlimmer noch, wurden viele der Bandmitglieder und Szenezugehörigen wegen „negativ-dekadenter“ Umtriebe verhaftet und mussten teilweise empfindliche Strafen in Jugendgefängnissen und anderen Institutionen absitzen. Die meisten waren nach abgesessener Haftzeit nicht mehr der- oder dieselbe, geschweige denn motiviert eine Punk-Karriere fortzusetzen.
Dies als kurzer Eindruck, was es bedeutete „Punk in der DDR“ zu sein. Im Spannungsfeld von eben dieser staatlichen Repression und jugendlichem Aufbegehren geben die Herausgeber:innen Anne Hahn und Frank Willmann in ihrem kurzweilig kuratierten Sammelband einen Einblick in das damalige Lebensgefühl und die Kompromisslosigkeit, mit der es gelebt wurde. Die Wut und Verzweiflung aber auch die schiere Lust am Leben zieht sich wie ein roter Faden durch sämtliche 48 Beiträge und macht das (Sach-)Buch zu einem spannenden Pageturner. Man ist hautnah dabei, wenn jemand wegen einer aus Versehen fallengelassenen Bierflasche abgeführt wird und nicht nur seine Lehrstelle verliert. Aber auch wenn eine Pogo tanzende Meute bei einem Konzert in einer Kirche förmlich das Dach abreisst, nur um danach von einer Horde Skinheads unter den Augen der Staatsmacht brutal verprügelt zu werden.
Alles in allem ist dieses Buch – welches sich als Zeitklammer für das versteht, „was für zehn Jahre in diesem anderen deutschen Staat zumindest für etwas Farbe und Esprit sorgte“ – keine leichte Kost für die unbeschwerte Bettlektüre. Es bietet jedoch einen liebevollen, trotzigen und niemals „ostalgischen“ Rück- und Ausblick auf die Kraft der Jugendkultur im Allgemeinen und des zivilen Ungehorsams im Besonderen. In Zeiten wie diesen leider aktueller denn je und nicht zuletzt deswegen ist „negativ-dekadent“ ein wichtiges und schlaues Buch. Und ausserdem erfährt man warum China ein Punkrockland ist. Aber das ist nur eine (andere) Geschichte.