Band: Calvin Love
Album: Lavender
Genre: Crooner-Pop, Indie-Folk
Label: Taxi Gauche Records
VÖ: 27. Mai 2021
Webseite: Facebook
Calvin Love steht dazu: Er ist ein Crooner. Der Begriff allerdings war in seiner goldenen Zeit, den 50er- und 60er-Jahren, für manchen damit bedachten Sänger ein Schimpfwort. Frank Sinatra, oftmals als Vater des intim-zärtlichen Singens betitelt, wehrte sich dagegen. Auch Jazzmusiker Bing Crosby oder Bariton Russ Columbo wollten nichts damit zu tun haben.
Doch „Crooner“ erwiesen sich stilistisch als variabel – Elvis Presley oder Roy Orbison wandten solcherlei Gesang in Rock’n’Roll-Balladen an und halfen ihm damit bis tief in die 70er hinüber. Dort begann eine neue Generation, die Kraft der Samtstimme zu kultivieren und in bislang ungewohnte Kontexte einzubauen. Bryan Ferry etwa „croonte“ Roxy Musics Art-Rock auf eine neue Ebene. Chris Isaak landete mit „Wicked Games“ in den 80ern dann den ultimativen „Crooner“-Hit – und definierte damit dessen klangliche Idee bis in die heutige Musikgeneration neu.
Hier klinkt sich der Kanadier Calvin Love mit seinem fünften Album „Lavender“ ein – und zwar ganz explizit referenziell. In seinem Pressetext wird er mit Chris Isaak, der in einem David-Lynch-Film feststecke, verglichen. Zugleich wird darin auf folkige Crooner angespielt: Leonard Cohen oder Gordon Lightfoot. Und das lilafarbene Albumcover mit dem einsamen Gitarristen sieht wie eine Kopie von Nick Drakes „Bryter Layter“ aus.
Dahinter steckt ein grosses, durchkonzipiertes Thema: Die Einsamkeit im 21. Jahrhundert. Naheliegenderweise umkreist er die Einsamkeit lyrisch anhand von Motiven des Verlassens („Laughing In The Dark“), der Sehnsucht („Take Me There“) oder der Verzweiflung („Sailing On“).
Doch interessant ist vor allem, wie Calvin Love die Einsamkeit klanglich inszeniert. Ganz im Stil des Chris Isaak produziert er den fast ausschliesslich einstimmigen Gesang nahe ans Ohr und versetzt ihn mit dem Hall eines grossen leeren Saals. Auf diese Weise zeichnet er das Bild eines einsamen Sängers ohne Publikum, der seine traurigen Zeilen ins Mikro jammert, damit irgendwo da draussen eine zuhörende andere einsame Seele mitleiden kann.
Ein weiteres wiederkehrendes Klangmotiv ist das der E-Gitarre: mit massivem Hall-Effekt und einem trägen Tremolo versehen. Das Saiteninstrument erhält so offensichtlich eine Fassadenfunktion, täuscht Grösse, Macht, Selbstwirksamkeit vor, wo eigentlich nur Traurigkeit und Zerbrechlichkeit sind. Calvin Love will aber gar nicht kaschieren, dass es sich um eine Fassade handelt; sonst würde er sie nicht derart überzeichnen. Und letztlich findet er mit seinem stets dominierenden Gesang ohnehin keine Zuflucht dahinter. Die dysfunktionale Fassade unterstreicht das Motiv der Einsamkeit ebenfalls hervorragend.
Schliesslich sind es offensichtlich nostalgisch angelegte Klangelemente oder auch Kompositionswendungen, die dem gewünschten Effekt zuträglich sind. So etwa die klassisch angelegten, an Sinatras Einsamkeits-Themenalbum „Only For The Lonely“ erinnernden Streicherensembles, die der Musiker in einzelnen Tracks einsetzt, etwa in „Laughing In The Dark“ oder in „Heart Of Mine“. Aber auch die angejazzten Akkordfolgen des Titeltracks oder von „Late One Night“, die sich fast schon aggressiv gegen den kompositorischen Vereinfachungstrend im aktuellen Mainstream auflehnen. Die Nostalgie bezieht sich dabei auf eine musikalische Zeit, in der Calvin Love noch gar nicht lebte und damit auch keine eigenen Erinnerungen verbinden kann. Aber er kopiert das wahre Motiv des Ur-Crooners aus den 50ern und 60ern: Er will aufrichtige und glaubwürdige Intimität schaffen.
Calvin Love vollbringt mit „Lavender“ einen faszinierenden Spagat: Eigentlich ist das Album ganz der Suche nach dieser Intimität gewidmet – und illustriert dabei den tatsächlichen Zustand des Suchenden: die Einsamkeit. Zugleich erweist sich die Suche nach Intimität selber als äusserst intim. Der einsame Suchende ist also irgendwie fündig geworden. Vielleicht ohne es zu merken.
Tracklist:
1. Take Me There
2. Sailin‘ On
3. Laughin‘ In The Dark
4. For You
5. Lavender
6. Come Into The Garden
7. Late One Night
8. Heart Of Mine
9. Sleight Of Hand
Bandmitglieder:
Calvin Love
Gründung:
2012
Text: David Kilchoer