Second Unit – Die Filmkolumne
Text: Michael Bohli
Seelenbalsam, Trost, Wärme. Die letzten Monate beinhalteten sehr wenig bis gar nichts davon, das Jahr verdunkelte sich immer stärker, die gewohnte Ordnung bröckelte. In solchen schwierigen Zeiten war es schon immer richtig, seine Aufmerksamkeit in Richtung Nick Cave zu wenden. Der Künstler mit den poetischen Botschaften, der Mann mit viel Verständnis für Verlust und Trauer weiss mit seinen Liedern den Schmerz zu lindern.
Dass mit „Idiot Prayer – Nick Cave Alone at Alexandra Palace“ nicht nur ein neues Livealbum, sondern gar ein Konzertfilm in die Kinos kommt, könnte schöner und beruhigender gar nicht sein.
Idiot Prayer – Nick Cave Alone at Alexandra Palace
Regie und Musik: Nick Cave
Land, Jahr: UK, 2020
Website: nickcave.com
Foto: Joel Ryan
Alleine und im eleganten Anzug gekleidet durchschreitet Nick Cave selbstsicher den Alexandra Palace in London. Menschenleer ist die bekannte Konzerthalle, nur ein Flügel von Fazioli steht inmitten des warm beleuchteten Saals. Der australische Künstler setzt sich hin, berührt sanft die Tasten und öffnet sein Herz und Geist.
Im Juli als Streaming-Event aufgezogen, ist „Nick Cave Alone at Alexandra Palace“ eine intime und reduzierte Begegnung mit dem Musiker, der im letzten Jahr mit „Ghosteen“ die Welt zu Tränen rührte. Ein Querschnitt seiner gesamten Karriere als Grundlage, gespielt auf dem Klavier und andächtig. Anfängliche Bedenken waren schnell verflogen: Nick Cave im dunklen Kinosaal beim Musizieren zuzusehen ist mehr als berührend.
Zwar wollten meine Gedanken bei den ersten Liedern „Idiot Prayer“ und „Sad Waters“ nicht stillstehen, dann jedoch traf mich die emotionale Wucht von „Palaces Of Montezuma“. Der mit Grinderman aufgenommene Song zeigte in dieser akustischen Variante erst seine wahre Intensität.
A Javan princess of Hindu birth
A woman of flesh, a child of earth
I give to you
The hanging gardens of Babylon
Miles Davis, the black unicorn
I give to you
Mit dem darauffolgenden „Girl In Amber“ war es endgültig um mich geschehen. Wenn Nick Cave singt und spielt, dann öffnet sich die Welt, man wird auf die nackte Wahrheit reduziert und sieht den Kern der Schönheit. Nicht wenig trugen Kameramann Robbie Ryan und die lichttechnische Gestaltung dazu bei. Mit viel Feingefühl und unterstreichender Geste wurden Lieder und Melodien begleitet, der Alexandra Palace erschien wie verwandelt und zauberhaft. Poesie für verwundete Menschen, Schönheit in absoluter Form.
Mit der bereits vierten Kooperation zwischen Nick Cave und Trafalgar Releasing ist allen beteiligten ein Kleinod gelungen, das lange nachhallt und wie ein Gebet wirkt.
Der Film läuft heute, Samstag und Montag jeweils um 21 Uhr im Kino Riffraff in Zürich.