Recordjet / VÖ: 29. November 2024 / Indie-Pop
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Text: David Spring
«Nichts darf man mehr sagen! Wehe, du wagst auszusprechen, wie es wirklich ist, da wirst du sofort abgestraft und gar gecancelled, quasi multi-medial an den Pranger genagelt. Ist doch wahr!» So oder ähnlich klingt es heute meist von denen, die ihre menschenfeindlichen, hanebüchenen Meinungen am lautesten in den digitalen Wald herausposaunen. Dagegen Paroli halten braucht Mut und Energie und Yu ist ein Künstler, der viel davon hat. Fertig mit klein beigeben und um den heissen Brei herumreden, denn er fordert: «lass uns zusammen Nazis erschiessen!»
Wie es sich für die neuste Generation kunstschaffender Menschen gehört, verläuft die Karriere von Yunus – so sein bürgerlicher Name – kaum entlang der gewöhnlichen Bahnen. Mit einer aktiven Social Media Präsenz und einem erfolgreichen Tiktok-Kanal schlägt der erst Einundzwanzigjährige ordentlich Wellen, so richtig spätestens seit der eingangs erwähnten antifaschistischen Liebeshymne. Mit messerscharfer Zunge, sympathischem Humor und Wagenladungen an politisierter, aktivistischer und musikalischer Kreativität überrascht es nicht, dass sein Schaffen Aufmerksamkeit findet. Mit «Please Hold The Line» bringt uns der über-talentierte Songwriter nun sein erstes Album, ganz klassisch und doch selten modern.
«Safe Psychopathen» macht den Auftakt, ein wunderbares Indie-Pop-Punk-Stück, dass gutgelaunt und wortgewandt Systemkritik übt und sich dabei umgehend in den Gehörgängen festkrallt. Kraftklub lässt grüssen, Faber ebenso, und natürlich das grosse Vorbild Alligatoah. Ein Festlegen auf Genregrenzen ist für einen modernen Musiker wie Yu genauso passé wie das Patriarchat, Gendernormen oder ein unpolitisches Leben. Darum folgen mit dem kritischen «Sex Sells» bombastische Elektrobeats und beinahe anachronistisch anmutender Eurodance, bevor der Trap-Track «Angst» mit einem ungeschönt ehrlichen, persönlichen Text extrem tief blicken lässt. Diese musikalische «alles geht»-Herangehensweise macht einfach verdammt Laune.
So abwechslungsreich die Musik ist, so fantastisch sind die Texte. Yu hat vieles zu sagen und ein unglaubliches Talent dafür, die Missstände der heutigen Gesellschaft pointiert in Worte zu fassen. Sei es eine fatalistisch-humoristische Abhandlung mit dem Schulsystem in «Danke Schule» oder das gar gewaltige «Rosarote Brille», das hart mit allen ins Geschütz geht, die noch immer am liebsten die Augen vor der grauenhaften Lebensrealität vieler Menschen heute verschliessen. Der vernichtende Rundumschlag «Fick Dich» schlägt gar so krass ein, dass es den ruppigen Electro-Punk-Track gleich ein zweites Mal in einer doppelt so schnellen Version «Fick Dich Zum Quadrat» gibt – glorreich!
In einer Zeit, in der Verbote von gendergerechter Sprache erlassen werden, in der so viele Kriege und Konflikte brodeln, dass man gar nicht mehr alle aufzählen kann und in der, wie der junge Künstler es treffend beschreibt, «rassistischer, ausbeutungsliebender, antisemitischer, frauenverachtender, queerfeindlicher Dreck» zu oft den Diskurs bestimmt, da ist Yu bitter nötig. «Please Hold The Line» ist gleichzeitig ein tiefes, erleichterndes Durchatmen in diesem brodelnden Sumpf von Unmenschlichkeit, in dem wir leben, wie auch eine ernüchternde Warnung. Das Werk lässt den Künstler und Musiker Yu hell scheinen, es ist ein lauter Kampfschrei in ganz sanft, eine so schonungslose wie wunderschöne Ode an eine bessere Welt.