Autor: Michal Welles
Titel: Charles Manson – Meine letzten Worte
Verlag: Hannibal
Geschrieben von: Cyril Schicker
Dr. Mark Benecke, seines Zeichens der wohl profilierteste Kriminalbiologe überhaupt, bezeichnet in seinem Vorwort Charles Manson als einerseits stereotypischer Hardcore-Haftinsasse, anderseits attestiert er ihm ein tückisches Etwas, das nur ihm – in dieser ausgeklügelten, ja, gar hinterlistigen Form – anhaftet. Benecke, zu seinen Klienten zählen übrigens nicht nur die Polizei und Regierungen, sondern auch Serienmörder, Anwälte sowie Eltern von Opfern, erklärt: „Manson ist der mit Abstand gruseligste Clown, aber auch der traurigste und irrste Straftäter, von dem ich je gelesen habe.“
Er weiter: „das liegt nicht nur an seinen Schilderungen, in denen das Wüten und der Wahnsinn seiner Denkgebäude gar nicht richtig zum Vorschein kommen. Viel eindrücklicher bricht das Höllische aus den ebenfalls hier (Anm. d. Red.: das Buch) abgedruckten Erinnerungen seines Zellengang-Genossen hervor, die mir wahrscheinlich Albträume en gros bescheren.“ Das Perpetuum mobile Benecke erteilt „Charles Manson – Meine letzten Worte“ den Ritterschlag, indem er sagt, es sei ein richtig gutes Buch.
So oder so, ein tatsächliches Lesevergnügen geht damit nicht zwingend einher. Klar, es ist höchstspannend, Einblicke zu kriegen in einem der wohl spektakulärsten und grotesk anmutenden Gerichtsfall in der Geschichte Amerikas. Es ist darüber hinaus interessant zu erfahren, wie ein solch’ (Schreckens-)Mensch denkt oder zumindest, was er glaubt zu denken. Nicht minder packend sind Informationen, wenn auch diese nur am Rande bemerkt sind, zu den Hells Angels sowie zu Scientology.
Der aufmerksame Leser kommt allerdings nicht um ein schales Gefühl herum. Die Autorin Michal Welles lässt sich – wie so viele andere vor wie auch nach ihr – um den Finger wickeln und zögert ausserdem nicht einmal für die Dauer eines Wimpernschlags, ihre kleine Tochter zu instrumentalisieren. Zwischendurch kriegt Welles zwar wieder die Kurve, alles in allem hält das unwirtliche Gefühl an. Dieses wird immer wieder genährt von halbseidenen, drögen, verharmlosenden, unnötigen, belanglosen oder dissonanten Aussagen. Nachfolgend einige Beispiele …
Michal Welles über Charles Manson: „Und es lag etwas Besonderes in den Augen, etwas, das all das Böse vergessen lassen konnte, das man je über ihn gelesen oder gehört hatte.“
Michal Welles über ihre Tochter Liora und Charles Manson: „Mit der Entschlossenheit und Güte, die sie stets an den Tag legte, nahm meine Tochter die Puppenbürste, die sie in der Kiste gefunden hatte, und erklärte Manson, er solle sich hinsetzen, damit sie ihn frisieren könne.“
Michal Welles über ihre neuen Freunde aka Manson-Anhänger: „Diese intelligenten Menschen, die alles versuchten, ein rechtschaffenes und ordentliches Leben zu führen, sich aber gleichzeitig völlig mit der Botschaft von Charles Manson identifizierten, faszinierten mich.“
Welles’ neuen Freunde über Manson: „Charlie ist anders. Er ist wirklich nicht gefährlich. Er ist einer dieser Verbrecher, die nur zur falschen Zeit am falschen Ort waren.“
Welles über Manson: „Charles Manson wurde nicht durch eine krankhafte Neigung, sondern durch gesellschaftliche Umstände zu einem Kriminellen, den zudem ein besonderes Charisma und überdurchschnittliche Intelligenz (Anm. d. Red.: Manson konnte kaum lesen und schreiben!) auszeichnet.“
Charles Manson über Charles Manson: „Frauen habe ich geliebt, Männer habe ich gefickt.“
Charles Manson über ‚seine Mädchen’ und seinem Hakenkreuz: „Die Mädchen haben das mit dem Hakenkreuz übernommen von mir, um zu zeigen, dass sie mit mir eins sind. Das war sozusagen unsere Flagge.“
„Meine letzten Worte“ wird sowohl Freund als auch Feind spalten respektive polarisieren. Mansons Erklärungs- und Entschuldigungsversuche befinden sich (zu) oft fernab jedweder Vernunft und Welles Einsicht beziehungsweise ihre Versuche, den wahren Menschen in Manson zu finden, enden (zu) oft in einer Farce. Dem Buch wiederum hoch anzurechnen, ist die Gestaltung oder besser gesagt der damit einhergehende Lesefluss. Textbausteine treffen auf Bilder, Bilder treffen auf Gedichte, Gedichte treffen auf Songstrukturen, Songstrukturen treffen auf handgeschriebene Ansichtskarten, handgeschriebene …
Wie dem auch sei, zum Abschluss eine Manson’sche Aussage: „Die Leute vergessen, dass ich einer der vielen Männern hinter Gittern bin, die keine Wahl hatten. Denen man nie einen anderen Weg gezeigt hat.“ Ok, ganz abschliessend eine weitere: „Ich bin so, wie ich bin, weil ich eben so sein muss.“ Ok, ok, ok, nun wirklich abschliessend – zum Thema Begnadigungsgesuche: „Am 23. Mai 2007 wurde, zum elften Mal seit 1978, ein Antrag Mansons auf Begnadigung abgelehnt. Manson berief sich dabei wie jeweils zuvor auf seine Unschuld einerseits und auf die Schuld der Gesellschaft anderseits.“
Hm …