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Band: Unheilig
Album: Grosse Freiheit
Label/Vertrieb: Vertigo Be / Universal
Veröffentlichung: 19. Februar 2010
Website: www.unheilig.com
Geschrieben von: Luke J.B. Rafka
Wie kann „blaues Blut“ zum Schlagertitan mutieren?
Diese Frage habe ich mir lange und oft genug gestellt und nun könnte mir der szeneverwandte Mann, dessen Name die Bild angeblich kürzlich erfuhr, vielleicht die Antwort präsentieren. Die Rede ist vom Grafen – Sänger, Lenker und Denker des Projektes Unheilig, der erst kürzlich das siebte Album “Grosse Freiheit“ veröffentlicht hat.
Sicherlich sollte jedem Künstler, der seine Kunst nach vorne bringen möchte, auch dieser Erfolg gegönnt sein. Auch dem Grafensoll dieses Glückes beschenkt werden, ist er doch mit seinem Album und der Vorabsingle “Geboren um zu leben“ in sämtliche Charts erfolgreich eingedrungen. Kein Wunder, wird man unweigerlich mit diesem Singletrack im Radio und im TV als Trailer zur Reportagereihe „Aussergewöhnliche Menschen“ zugedröhnt, wie man es von diversen Castingshows gewohnt ist.
Gab es bereits 2006 einen kleinen Sprung ins TV-Geschäft durch den Auftritt des Grafen bei der Show “Frank der Weddingplaner“, so sieht man den „Mann ohne Namen“ nun häufiger auf RTL II. Mal bei “Big Brother“ und ein anderes mal bei “The Dome“. Nun ist Unheilig gar für den Viva Comet in zwei Kategorien nominiert. Herzlichen Glühstrumpf an den Schlagerbarden der Gothicszene! Tönen seine Songs nicht erst seit kurzer Zeit schnulzig nach Liebe, Herzschmerz und sonst noch was, sondern waren sie schon immer so melancholisch angehaucht. Gut, die Stimme des glatzköpfigen Grafen hat schon eine eindrucksvolle Tonlage, die Ideen hinter den Melodien sind ebenfalls sehr stimmig und lustig wirkte seinerzeit auch die Weihnachts-CD.
Unheilig und Unviversal Music haben wahrlich gemeinsam ein Schnäppchen geschlagen! Der Graf freut sich ja bekanntlicherweise über jeden neuen Zugang in seiner Fangemeinde, egal welcher Herkunft sie sind. Durch den aktuellen Erfolg wird dem Mann mit den weissen Kontaktlinsen auch kaum etwas anderes übrig bleiben.
Beginnen wir nun aber endlich mit dem Album, welches mit dem altbekannten Knistern einer alten Schallplatte beginnt. Es könnte aber auch ein altes Radio sein, welches bei “Das Meer“ ertönt. Nach einigen Sekunden folgt das Aufheulen eines Dampfschiffes. So langsam beginnt auch die Musik. Sehr vielversprechend könnte dies wahrlich ein Soundtrack zu einem Seemannsfilm sein. Schön theatralisch beginnt das Album mit diesem Intro. Der Sound ist bestückt mit Streichern und lässt gute Gefühle für die Ohrmuscheln erahnen und erhoffen.
Gleich darauf folgt “Seenot“, welches sich dann eher als gitarrenlastiger Schlager à la Bernd Clüver (“Der Junge mit der Mundharmonika“) meets Til Lindemann erinnert. Schöner Text, mit typischen Gitarrenriffs und angenehmer Schnulzenstimme.
Ein schöner Klavierpart mit eleganten Streichern folgt mit „Für Immer“ auf diesen Schlagerstreich. Diesen Track hätte der bei den Albumcharts vom Grafen verdrängte Peter Maffay auch singen können. Das sicherlich ohne Abschweife mindestens genauso betonend, schlagerhaft rockig. Je öfter ich diesen Song höre, so denke ich sogar die Stimme des Tabalugaschreibers im Refrain zu hören.
Als vierter Song steigt nun die Hitsingle “Geboren um zu leben“ mit fordernder Marschroute und romantischen Streichern in die Gehörgänge. Die Idee zu diesem Song hatte der Graf unmittelbar nach dem Tode eines geliebten Sandkastenfreundes. Vielleicht war es der Grund, warum plötzlich dieser kitschige Kinderchor auftauchen musste, der mich dann an eine Produktion des erst kürzlich verstorbenen Michael Jackson erinnert. War er vielleicht sogar der Kumpane aus der Sandkastenzeit? Der Graf präsentiert jedenfalls auf dem siebten Unheilig-Album ausführlich seine emotionale und empfindsame Seite, die in solchen Momenten die qualitative Entwicklung von Text und Musik unüberhörbar macht.
“Abwärts“ donnert mit harten Klängen durch die Ohrmuschel und lässt Parallelen zu Marilyn Mansons “Beautiful People“ erkennen. Und wenn wir nun schon bei erheblichen Musikstilmischungen sind, könnte ich mir diese Version auch sehr gut von Bernhard Brink gesungen vorstellen – bildlich habe ich bei diesem Gedanken soeben die Lockenpracht des Schlagersängers vor Augen, wie sie in Metallmanier auf der Bühne herumgeschleudert wird.
Der nächste Track kommt dann eher mit Erinnerungen an den Klassiker “Mein Stern“ von Unheilig und schnulzt sich ebenso in die Herzen liebesbedürftiger Menschen. Klammerblues à la “La Boom – die Fete“ ist die Folge und heisst “Halt mich“.
Der nächste Song “Unter Feuer“ ertönt mit dem stählernden Hämmern der arbeitswütigen Seemänner und erinnert mich irgendwie an ebenso an den Style eines alten Tracks von Unheilig “Feuerengel“. Vergleicht doch einfach mal den Refrain dieser beiden Stücke und denkt Euch dann Euren Teil. Aber ich setze noch einen drauf und bin der Meinung, dass diese Einfallslosigkeit sich passend zu der machtbesesessenen Haltung der grossen Plattenfirmen und TV-Sendern einreiht. Der Graf hat es wahrlich geschafft …
Die Mitte des Silberlings beinhaltet auch gleich den Titeltrack “Grosse Freiheit“ und beginnt wieder einmal sehr „einfallsreich“ mit knisternden Schallplattengeseusel. Irgendwie habe ich, je länger ich diesen Track höre, die Gruppe PUR im Duett mit einem schlagerträchtigen Trio namens Die Flippers vor den Augen, welche diesen Song hätten ebenfalls singen können.
Ein bisschen Electro-Rock darf natürlich auch bei Unheilig nicht fehlen. “Ich gehöre mir“ lässt hier gar die rammsteinige Ader heraus und könnte wahrscheinlich die neue Revoluzzerhymne der heutigen, aufmüpfigen und ohne Respekt durch die Welt pubertierenden Jugend werden.
Nun kommen wir zu “Heimatstern“, einem weiteren Abklatsch eines alten Unheilig-Stücks. Hier höre ich Parallelen zu „Mein Stern“, “Schutzengel“ oder auch “Freiheit“. Die Schnulzenbarde schien allerdings bei der Aufnahme einige Problemchen mit seiner Stimme gehabt zu haben … dieses „ohhhh“ klingt schon sehr krächzend. Aber vielleicht war es ja auch Absicht um den eventuell massgeschneiderten Erfolg zu übertönen.
Die nächsten Tracks “Sternbild“, “Unter Deiner Flagge“ und “Fernweh“ lassen keine Zweifel aufkommen und plätschern ebenso über die Langrille hinweg. Leiten sie doch gekonnt gelangweilt das pompöse Ende für “Neuland“ ein. Der Schlusstrack bleibt instrumental gehalten und bildet wie das Intro noch eine annehmbare Struktur, aber sonst ist nichts Neues auf diesem Album zu erkennen!
Einfach nur massenkompatibler gestaltet läutet “Grosse Freiheit“ eine neue Ära vom Grafen und seiner unheiligen Message ein! Bei solchen Refrains – die fast schon gleich tönen, ob alte mit neuen Tracks verglichen oder gar auf dem selben neuen Schaffenswerk z.B. die Stücke “Für immer“ und “Ich gehöre mir“ – ist es einfach nur bedauerlich mit anzusehen, wie der Graf sich endgültig auflöst und einmal mehr seine künstlerische Integrität mit seinen eigenen Füssen tritt! Die von mir vergebenen beiden Sternchen sind für das Intro sowie für das Outro, sonst habe ich nichts mehr zu sagen …
Trackliste:
01. Das Meer
02. Seenot
03. Fuer Immer
04. Geboren um zu leben
05. Abwaerts
06. Halt mich
07. Unter Feuer
08. Grosse Freiheit
09. Ich gehoere mir
10. Heimatstern
11. Sternbild
12. Unter deiner Flagge
13. Fernweh
14. Neuland