Autor: Tim Mohr
Titel: Stirb nicht im Warteraum der Zukunft – Die ostdeutschen Punks und der Fall der Mauer
Verlag: Heyne Hardcore
ISBN: 978-3-453-27127-2
VÖ: 20. März 2017
Webseite: randomhouse.de
Erstmals kommen die zentralen Figuren der ostdeutschen Punkrock-Bewegung zu Wort und berichten aus ihrem Leben. Ur-Punks der späten 1970er Jahre wie «Major», «A-Micha», «Pankow» oder «Chaos» werden spannend porträtiert. Deren vorgezeichnete Zukunft als DDR-Bürger war kaum zu ertragen. Sie wehrten sich gegen die Unterdrückung des Regimes und kämpften für die freie Meinungsäusserung. Wegen «asozialer Lebensweise» wanderten die Punks ohne Anklage in U-Haft, wurden schikaniert, verprügelt und manchmal sogar gebrochen.
Als überzeugte Kommunisten führten sie ihren eigenen wahrhaftigen Kampf, ohne sich vom Westen beeindrucken zu lassen. Die Aktivisten wollten die DDR nicht verlassen, sondern verändern. Der Punk war ein eingekapseltes Ost-Phänomen, denn im Westen Deutschlands verlor er in den 1980er Jahren bereits an Bedeutung.
Die Vorbilder der Punkszene waren anarchistische Schriften von Erich Mühsam sowie Musikgruppen, die sie von geschmuggelten Kassettenkopien oder aus Bravo-Heften kannten: Sex Pistols, Ramones, Sham 69 («If The Kids Are United») oder The Damned. Die ostdeutschen Punkbands hiessen Planlos, Wutanfall oder Schleim-Keim. Ihre Titel schossen scharf, hiessen «Leipzig in Trümmern» oder «Nazis wieder in Ost-Berlin».
Interessante Aspekte werden im Buch detailliert dargelegt: Nach dem Fall der Mauer demonstrierten die Punks gegen die Wiedervereinigung, denn die politische Entwicklung lief für sie in die falsche Richtung. Innerhalb der nicht-kapitalistischen Diktatur der DDR hatten sie sich ihren Freiraum erkämpft. Nach der Grenzöffnung fürchteten die Ost-Punker, das internationale Kapital würde nun das einst eigenständige Land plündern. Die Punks blieben Berlin treu und gestalteten die Stadt nachhaltig nach ihren eigenen Vorstellungen.
Die Lektüre endet bitter: «All die Bands gibt es nicht mehr. So wenig wie die Vorstellung von einem unabhängigen, idealen Staat.» Dennoch bleibt der Weckruf «Stirb nicht im Warteraum der Zukunft»: Wartet nicht ab, bis alles gut wird, sondern nehmt die Dinge selbst in die Hand!
Der amerikanische Autor Tim Mohr lebte in den 1990er Jahren in Berlin und arbeitete als Club-DJ.
Text: Urs Breig