Epitaph Records / VÖ: 17. September 2021 / Post-Hardcore, Alternative
thrice.net
Text: Michael Messerli
Ein neues Album von Thrice und mit ihm gleich zu Beginn verschiedene Fragen nach dem Warum. Zum Beispiel, warum es der Band im Jahr 23 ihres Bestehens immer noch gelingt, solche Hymnen zu schreiben, ohne dabei routiniert oder abgeklärt zu wirken. Oder warum sie es hinkriegen, komplexe Songs wie „The Color Of The Sky“ so zugänglich klingen zu lassen. Obwohl zugänglich hier eine grobe Unterschätzung des Openers ist – wäre das ganze Album auf diesem Niveau, wäre die Frage jetzt schon geklärt, wer die Spitze der Jahresbestenliste anführt – weit darunter wird „Horizons/East“ aber sicher nicht landen.
Nun haben Thrice nicht nur den Anspruch, zehn hervorragende Songs aufzunehmen, sondern sie wollen auch abbilden, was in diesem Quartett steckt. Und zwar an Inhalten, Einflüssen, Haltung und Können. Nicht anders ist es zu erklären, dass sie es genauso einfach erscheinen lassen, in „Northern Lights“ eine jazzige Strophe mit angeblichem Fibonacci-Riff in einen erhabenen Refrain übergehen zu lassen. Thrice machen in den ersten fünf Songs alles richtig, der Sound der Platte ist zwar nicht neu, aber enorm stark produziert. Und in „Summer Set Fire To The Rain“ wird am Ende sogar kurz geschrien. Das ist kein Zufall. Waren die letzten beiden Alben einerseits gewohnt gut, fehlte ihnen andererseits der Nachdruck. „Horizons/East“ erinnert in vielerlei Hinsicht an „Major/Minor“. Der Backslash im Titel, der Klang der Platte und die Spielfreude, die man der Band auch live immer noch anmerkt. Und „live“ ist ein gutes Stichwort, weil man zuweilen das Gefühl hat, sie stünden bei dir im Wohnzimmer. Dabei stehen sie in ihrem eigenen, neu erbauten Studio. Und machen alles selber.
Die Kraft, die Wucht und die schweren Gitarren lassen auch poppigere Momente wie „The Dreamer“ zu, das vielleicht auf den beiden Vorgängern eher kritisiert worden wäre, weil sich Thrice Dinge trauten, die weiter weg vom Posthardcore alter Tage sind. Diese Kritik ist natürlich Quatsch, weil die Band immer schon die Melodie vor den Prog stellte und ein Song wie „Digital Sea“ bereits damals einen gewinnenden Popappeal hatte. Dieser Mut fehlt auf „Horizons/East“ etwas. Deshalb stehen hier wohl auch keine umwerfend neuen Erkenntnisse, wenn man Dinge schreibt wie zum Beispiel die Aussage, dass Thrice sehr geerdet sind. Das liegt vielleicht auch daran, dass sie das Mutige gut versteckt haben oder man genauer ins Textbuch schauen muss – so scheint Dustin Kensrue seinen eigenen Horizont stark erweitert zu haben.
Auch nicht neu in der heutigen Zeit ist, dass der Platte gegen Schluss etwas die Puste ausgeht. „Horizons/East“ ist kein zweites „Major/Minor“ im Sinne von Wiederholung, reiht sich aber in dessen Tradition ein und macht damit musikalisch einen Schritt zurück und einen Schritt nach vorne. Bezüglich Texte und übergeordnetem Konzept könnte man hier gleich noch eine zweite Rezension nachlegen. Aber diese sparen wir uns für „Horizons/West“ auf. Die Sonne geht ja schliesslich nicht nur auf.