Slowing Records / VÖ: 7. Februar 2020 / Alternative, Art Rock
thesomnambulistberlin.com
Text: Michael Bohli
Die eine Idee, die strahlt kristallklar, zumindest einige Takte lang. Dann wiederum muss man sich neu ausrichten – nicht, weil The Somnambulist aus Berlin urplötzlich die Stilrichtung wechseln würden, sondern weil in jedem Lied auf dem Album „Hypermnesiac“ die Stimmung schwanken und sich verändern kann. Rock mit viel Meinung, Kunstfertigkeit und wunderbar warmen Klang. „No Sleep Until Heaven“ versucht es mit ungeraden Takten und dem Art-Präfix, „Doubleflower“ garniert den Alternative Rock plötzlich mit Bläsern und einem effektvollen Finale.
Bei den sieben Liedern auf „Hypermnesiac“ kommt einiges an Ideenreichtum zusammen, das Trio vergisst aber keinesfalls die Essenz der Rockmusik. Gerade die kernige und genüssliche Stimme von Marco Bianciardi verortet The Somnambulist in den erdigen Gitarrengebieten. Samples und Tasten erobern je nach Lied mehr Boden, beim Abschluss „Ten Thousand Miles Longer“ verbünden sich alle Stoffe zu einer jazzigen Vorführung mit Esprit. Verschroben und psychedelisch hantieren die Musiker bei „At Least One Point at Which It Is Unfathomable“, eine wahre Freude.
Im Schlaf wird mit diesem Album niemand herumwandeln, auch wenn The Somnambulist dort ihre Namensgebung herhaben – und die konträre Haltung wird gleich mit dem Plattentitel aufgezogen. Die starke Erinnerungsfähigkeit Hypermnesie muss die Band eindeutig vorweisen, um sich in den geschichteten Liedern nicht zu verlieren, aber auch als Hörerin und Hörer tut man sich weise darin, einzelne Passagen länger zu betrachten und zu verinnerlichen. Das Resultat ist ein Genuss mit vielen Belohnungen.