Band: Tarja Turunen
Album: Colours In The Dark
Label/Vertrieb: Earmusic
Veröffentlichung: 23. August 2013
Website: tarjaturunen.com
Geschrieben von: Dennis Bäsecke
Tarja ist wohl die unangefochtene Galionsfigur aller Bestrebungen, klassische Musik mit Rock, Metal oder Gothic zu kombinieren. Was läge also näher, als ihr neues Opus daran zu messen, wie sehr es diesem Anspruch gerecht wird? Wie überzeugend eine beidseitige Bereicherung der Stile geschieht und ein eigenständig neues Gesamtkunstwerk entsteht? Und es entsteht einiges:
Stets sind eingearbeitete Zitate klassischer Musik auf Tarjas Alben kunstvoll und viel weniger plakativ als bei vielen Kollegen eingearbeitet. War es im Intro zu My Winter Storm Mozarts Requiem, bei „In For A Kill Stravinsky’s“ „Le Sacre Du Printemps“ auf dem Live-Album die Verschmelzung von Bach’s d-moll-Toccata mit Webbers Phantom der Oper, so wird hier der erste Song mit einem eindeutigen Verweis auf Ravel’s Bolero begonnen. Über den unverkennbaren Rhythmus der Kleinen Trommel schmiegt sich in Arabesken die Solo-Oboe. Aus diesem gelungen Einstieg erhebt sich der Song „Victim Of Ritual“. Lenkt man nun seine Aufmerksamkeit auf den formalen Brennpunkt eines Rock- oder Pop-Songs, der Bridge nach dem zweiten Refrain, so entdeckt man hier die kreative Weiterentwicklung des motivischen Materials zu neuen Figuren und Farben: Die abschliessende Phrase des Refrains wird zur Urzelle der folgenden Entwicklung. Eine technische Parallele zur Kunstmusik vergangener Tage. Ausserdem lässt man die markante Stimme der Sängerin gekonnt übergangslos in synthetische Spielereien übergehen. Eine grosse Hörfreude.
Ein nächstes Highlight ist der „Lucid Dreamer“. Ein vielschichtiger Song der seine siebeneinhalb Minuten glanzvoll nutzt, um eine Menge verschiedener Farben in der Dunkelheit zu finden. Die Bridge wird zur beunruhigenden Collage aus geflüsterten Stimmfetzen, White Noise-Effekten, zerbrochenen Kindermelodien und geräuschhaften Klängen verschiedener Instrumente, die die Klangwelt der Neuen Musik heraufbeschwören. Nachdem der seltsame Synthesizer des Intros wieder aus dem akustischen Nebel aufgetaucht ist, erhebt sich eine gewaltige Streichermelodie und eine kraftvolle Rückmodulation bringt uns zurück zum Chorus.
Unverkennbar bleibt bei allen Klangfarbreisen der neuen Songs jedoch der Sound der Gothic-Metal-Königin. Tarja meistert die nicht immer einfachen Melodien mit Leichtigkeit. In aller Eleganz und technischer Erhabenheit bleibt Tarja aber sympathisch zerbrechlich und lotet zwischen Opernvibrato und diabolischem Flüstern die Weiten ihrer Stimme neu aus. Die Musik folgt ihr bei dabei und wechselt zwischen fast schon seichten romantischen Passagen, albtraumhaften Sequenzen und bleischweren Riffs. Das am Ende in Distortion versinkende „Never Enough“ und das launische „Darkness“ sind gute Beispiele dafür. Unvermittelt zerreissen hier kreischende Klänge die balladesken Strophen und kurz darauf erklingt Tarjas Stimme durch einen fiesen Effekt gefiltert nur um kurz darauf wieder in streicherselige Harmonie zu tauchen.
Dreckig wird es dann nochmal in „Neverlight“. Man hört fast mehr Verzerrung als Gitarren und das taumelnde „Kettensägen-Glissando“ im Hauptriff ist auf die beste Art richtig eklig. „Deliverance“ wartet mit einem erfrischenden 7/8-Takt und einer tickenden Hihat-Figur auf dem linken Kanal auf, die ihre Entsprechung in vielen anderen Songs findet, so zum Beispiel im stillen Beginn der schweren Ballade „Until Silence“, wo sie als 16-Kette ebenfalls links im Klang-Panorama auftaucht. So spannen sich kleine Beziehungsbögen und verbinden die einzelnen Songs zu einem formalen Netz.
Kompositorische Detail-Arbeit am Material und ein formaler Bogen über alle Songs lässt das Album dem Anspruch gerecht werden eine echte Fusion der musikalischen Sprachen ohne Ausbeutung eines Klischee-Fundus zu erproben. Tarja vermag in den schwächeren Momenten von „Colours In The Dark“ ihren gewohnt bombastischen Sound ohne Abstriche zu liefern, in den stärkeren deutlich weiter zu gehen. Sie lässt ihre Musik nicht zum festen Stereotyp erstarren, sondern öffnet sie und sich immer neuen Klangregionen.
Tracklist:
1. Victim Of Ritual
2. 500 Letters
3. Lucid Dreamer
4. Never Enough
5. Mystique Voyage
6. Darkness
7. Deliverance
8. Neverlight
9. Until Silence
10. Medusa
Bandmitglieder:
Tarja Turunen – Gesang