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Samstag, 19. März 2022
Text: Michael Bohli / Bilder: Nicole Schaad
Wandel und Veränderung in einer Kleinstadt, die an vielen traditionellen Werten festhält: das kann funktionieren, wie Pascal Zeder und Simon Schurtenberger aus Luzern beweisen. Zusammen bilden sie das Duo Visions In Clouds, unter welchem Namen sie seit 2016 unterwegs sind. Indie, Post-Punk und Synthie Pop – vieles ist in den Jahren passiert, mit dem kommenden Album «Are You Still Watching?» wird ein neuer Abschnitt aufgetan. Wir haben die beiden Musiker einen Abend lang durch ihre Heimat begleitet.
Gewinnt Tickets für die Plattentaufe am Donnerstag, 14. April 2022 in der Schüür Luzern.
Trotz grauem Himmel und kühlen Temperaturen treffen wir uns vor dem Neubad an einem Tischchen zur Begrüssung und einem ersten Getränk. Der Ort trägt zwar die Neuheit im Namen, kann aber auf eine lange Geschichte als Schwimmbad und kulturelle Zwischennutzung zurückschauen. Transformation, damit kennen sich Visions In Clouds aus. Doch warum weiterhin Luzern?
Pascal beginnt: «Am liebsten wäre man ja immer irgendwo anders. Luzern ist schön, die Wege sind kurz, man ist im Kulturschaffen schnell vernetzt und hat bald eine Übersicht.» Simon ist der gleichen Meinung und freut sich, wie gut beide ins kulturelle Umfeld der Stadt eingebettet sind. Gleichzeitig stehen sie für eine der Formationen, die es immer wieder schaffen, die «Bubble» zu verlassen und ausserhalb des Ortes zu spielen. Einer der Gründe für die Neuausrichtung?
Simon relativiert: «Nach dem Album «What If There Is No Way Out» verliess uns unser damaliger Bassist, um seine eigene Band zu starten. Wir entschieden uns, die neue Situation als Duo anzugehen und den Fokus nicht auf die Live-Band zu legen. Dementsprechend existieren die Songs in einem frischen Kontext.
Um den Abend etwas unberechenbarer zu gestalten, legen wir dem Duo regelmässig Fotografien vor, welche zu kommentieren sind. Wir beginnen mit den aktuellen Promoaufnahmen.
«Das ist das Recording-Team des kommenden Albums. Antonio Passacantilli lebt in Berlin und führt das Wolvesinsound-Studio – mit ihm haben wir damals unser erstes Album «Masquerade» aufgenommen», führt Simon aus. «Sebastian Meyer ist ein Freund aus Luzern, lebt aber mittlerweile als Produzent in Stockholm und spielt unter anderem bei der Band Granular.»
Pascal ergänzt, dass durch die guten Freundschaften das gegenseitige Vertrauen gross ist und die Kommunikation sehr einfach war – das Arbeiten im Musigstöckli in Lützelflüh war für alle angenehm. Wichtig auch die vierbeinigen Models und Videostars.
«Beim Fotoshooting für unseren neuen Auftritt hatten wir die Idee, ein Foto mit einem Hund zu machen, um die Klischees zu durchbrechen. Silvio Zeder, der Fotograf, portraitierte den Hund und wir waren begeistert. Das Albumcover stand, das visuelle Thema ebenfalls.» Was es bedeutet, wenn Menschen Hundefans sind und Katzen nicht mögen, führt Pascal ebenfalls aus. Das kann man sich aber selbst denken.
Auf der Suche nach einem Innenraum bewegen wir uns als Gruppe ins Lokal Bettstatt. Als das frisch gezapfte Bier «Tradition» auf dem Tisch steht, tauchen wir in die Vergangenheit von Visions In Clouds ein.
«Simon und ich spielen, seit wir 16 Jahre alt sind, zusammen Musik – zehn Jahre bevor es mit VIC losging», sagt Pascal beim Blick auf Logo aus dem Jahre 2016. «Aus der ersten gemeinsamen Band wuchs der Wunsch nach neuen Ideen, zu zweit entwickelten wir Songs im Bandraum, ganz klassisch. Die Einflüsse waren vielseitig; Indie, 2000er-Szene von New York, Joy Division und Brit-Rock.»
Simon gibt zu, dass solche Wandlungen schon immer ein fester Teil der Band-DNS waren: «Wir hatten damals das Studio gebucht und entschieden spontan: Nein, eine weitere Indie-Rock-Band braucht die Welt nicht. Wir warfen alles über den Haufen, was Besetzungswechsel bedeutete, eine Neuausrichtung. Das erste Foto zeigt Pascal und mich in unserem natürlichen Habitat, in den Influx Studios in Bern. Daneben sieht man unser Aufnahmeteam 2017 mit dem Produzenten Slade Templeton. Die zusammen eingespielte EP «Levée En Masse» wurde eine Übergangsplatte nach dem Debüt.»
Rückblickend war nicht alles ausgearbeitet oder zu Ende gedacht, für den Prozess sei die damalige Zeit aber sehr wichtig gewesen. Und zu diesen Liedern zurückzukehren, stellt für die beiden keine Hürde dar. Pascal etwa besucht das alte Material beim Songwriting. Das geschieht bei Visions In Clouds nicht mehr mit der typischen Rollenteilung oder in Jam-Sessions. Viel lieber arbeiten sie gemeinsam an einzelnen Ideen und lassen sich von der Umgebung und den weiteren Personen in der Scheune im Luzerner Stadtteil Littau inspirieren, wo sie ihren Proberaum haben.
Gestärkt wagen wir uns weiter in Richtung Kleinstadt, bei der Brüggli-Bar entscheiden wir uns, die anbrechende Nacht erneut draussen zu geniessen. Decken und Getränke werden verteilt, ein weiteres Foto landet auf dem Tisch, das Leben auf Tour wird angesprochen.
Pascal muss lachen: «Das war in einer Garage in Pristina, der Auftakt zu unserer bisher längsten Tour. In 35 Stunden fuhren wir ohne Pause in den Kosovo, zu viert, abwechselnd. Jemand sagte, wenn du im Kosovo bist, ist es ein anderer Planet – und das stimmt. Plötzlich gibt es wieder Grenzbeamte, Europa aus anderer Perspektive.»
Als selbstverständlich nehmen es die beiden nicht, für Simon ist es ein grosses Privileg, sich durch Europa zu bewegen, um an diversen Orten Konzerte spielen zu dürfen. «Man lernt überall viele herzliche und leidenschaftliche Menschen kennen, das sind wundervolle Erfahrungen.»
Und manchmal sieht man sich wieder, wie etwa den Club Chmury in Warschau. Zum dritten Mal spielen Visions In Clouds im April dort, dank Promoter Alex Kelman, der mit ihnen für solche Reisen zusammenarbeitet. Magisch bleibt es trotzdem, wie Simon sagt. «Es ist surreal, wenn man ans Ende von Polen fährt und nach dem Konzert mit Leuten spricht, die unsere Songs zuvor bereits kannten. Diese Wertschätzung ist unglaublich.»
Auch in der Tierwelt? Das Bild aus Chemnitz lässt es zumindest vermuten, der ehemalige Bassist Leopold Oakes fühlt sich in der Pinguinmeute scheinbar wohl. Nicht alles in der Stadt war fröhlich, wie Pascal erzählt. «Ein Ort mit vielen Spannungen, wobei wir ein Chemnitz der Kultur erlebt haben, nicht der rechtsextremen Politik. Trotzdem lassen sich diese sehr realen Fakten nicht verdrängen.» Ost-Regionen, Plattenbauten, graue Umgebung – ohne Reiz sind solche Umgebungen trotzdem nicht. Schon gar nicht für Post-Punk-Jungs.
Aber ist es denn möglich, in der Schweiz solche Abenteuer zu erleben? Pascal findet ja, vor allem in der Westschweiz. «Durch die Sprachbarriere und die dortige Orientierung Richtung Frankreich ist es eine andere Musikwelt. In anderen Ländern ist aber alles ungewohnt. Du kennst die Orte und die Lokalitäten nicht, ohne Erwartungen reist man tagelang im Auto für Konzerte an. Im Gegensatz dazu passiert ein Gig in der Deutschschweiz meist in der Komfortzone.»
«Ergänzend ist es auch so, dass meist die unbekannten Stopps auf einer Tour die Highlights werden. Die Menschen sind begeistert, die Lokalpresse ist vor Ort, es wird zu einem Happening.» Simons Augen glänzen bei solchen Aussagen und Gedanken.
Sieben Konzerte spielen Visions In Clouds Ende April in Osteuropa; Tschechien, Slowakei und Polen stehen auf dem Programm. Und danach, welche Visionen haben die beiden Musiker? Pascal gibt sich bescheiden: «Der erste Schritt ist die Plattentaufe in der Schüür und die Weiterentwicklung der Live-Auftritte. Die weitere Zukunft ist noch offen, da wir noch nicht an einem konkreten nächsten Release arbeiten. All dies werden wir später parallel angehen.»
Zwischen Nachteulen und Stadtbewohner:innen wagen wir uns weiter in Richtung Aussenbezirke auf der Suche nach etwas Essbarem. Klar ist aber, dass für Pascal Zeder und Simon Schurtenberger spannende Wochen bevorstehen. Die Veröffentlichung von «Are You Still Watching?» ist nur der Anfang.