3. Mai 2018
Im Gespräch mit: Hugh Matthews (Gesang und Gitarre), Johnny Rock (Gitarre), Andrew Schapper (Schlagzeug) und Ken Hennessy (Bass) von Pretty City.
Mit zwei Alben innert einem Jahr haben Pretty City nicht nur der Welt bewiesen, dass Australien immer noch wunderbar aufregende Bands hervorbringt, sondern auch gezeigt, wie man offen und im Rampenlicht als Gruppe aufwachsen kann. Ihre Tour zum aktuellen Werk „Cancel The Future“ hat sie auch in die Schweiz geführt und wird nutzten das Konzert in Baden, um die Band etwas auszufragen.
Was das Quartett alles mit Suppen, Enya und verworfenen Alben zu tun hat, das erfahrt ihr hier.
Michael: Hier seid ihr nun, nach bereits zwei Wochen voller Konzerte in Europa. Wie fühlt es sich an?
Hugh: Wie ein paar angenehm eingelaufene Schuhe. Man läuft geschmeidig darin herum.
Ihr spielt viele Auftritte in Deutschland. Habt ihr dort eine grosse Fangemeinde?
Hugh: Wir hatte zwei wirklich tolle Konzerte in München und fanden eine tolle Verbindung zu den Leuten da. Hamburg und Berlin sind auch immer super, allgemein waren besonders die grossen Städte dieses Mal wirklich toll.
Johnny: Das letzte Mal spielten wir vermehrt in Österreich, aber ohne spezifischen Grund. Aber es macht Spass, auf dieser Tour mehr in Deutschland unterwegs zu sein.
Was erwartet ihr denn vom Konzert in Baden?
Andrew: Einen Haufen Schweizer Käse, Schokolade, und dass alle kleine Armeemesser haben werden (lacht).
Hugh: Als wir das letzte Mal in der Schweiz waren, hatte ich das Gefühl, hier haben alle Bands grossartige alte Instrumente – ich erwarte also, dass das auf die Musikkultur Einfluss hat. Woher auch immer all das Geld dafür stammt. Wenn ich über solche Geräte spreche, dann tue ich immer nur so, als ob ich alles dabeihätte. Aber es ist zu Hause.
Australien ist ziemlich weit weg. Vermisst ihr etwas?
Hugh: Ich vermisse es, aus dem Fenster schauen und Songs schreiben zu können.
Andrew: Wohl nur meine Familie. Wir sind alle sehr glücklich, hier zu sein und vor verschiedensten Menschen spielen zu können.
Johnny: Es ist immer toll, vor neuen Leuten auftreten zu können. Unsere Freunde zu Hause haben uns schon oft gesehen und reagieren darum anders. Zum ersten Mal vor jemandem zu stehen, das ist aber aufregend.
Euer neues Album heisst «Cancel The Future». Wie kann Musik denn helfen, die Welt zu verbessern?
Hugh: Das Album ist aus sehr vielen persönlichen Erfahrungen entstanden. Dass es den Leuten nun Freude bereitet und uns diese Reise ermöglicht hat, ist sehr transformativ. Es ist toll zu sehen, wie man Traurigkeit in Glück umwandeln kann. Im Album geht es darum, kein zu grosses Ego zu haben. Klar kann man Pläne schmieden, allerdings sollte man sich nicht zu fest daran klammern – sie können sich innerhalb weniger Sekunden in Staub verwandeln.
Andrew: Genau daraus ist das Album entstanden – aus vielen verworfenen Pläne.
Ihr habt sogar ein komplettes Album verworfen und neu angefangen.
Andrew: Ja, das haben wir gemacht. Das Material war zwar gut, aber reflektierte unseren Standpunkt nicht. «Colorize» war ein konzeptioneller Klang und mehr auf die Sounds als auf den Inhalt fokussiert. Und nach der letzten Tour hatten wir das Bedürfnis, stärker auf unsere Erfahrungen einzugehen. Darum ist das Album auch etwas direkter und poppiger.
Johnny: Und musikalisch vielseitiger. Wir haben nicht bloss Lieder zusammengepackt, welche klanglich, sondern auch thematisch in den Zeitpunkt gepasst haben.
Hugh: Um ehrlich zu sein, war es eine ziemliche Tortur und begrub uns richtig – das realisiere ich erst jetzt langsam. Gewisse Kritiken haben mir gezeigt, dass ich auf das Album stolz sein kann. Jemand hat geschrieben, eine solche Platte könne man nicht absichtlich machen – es fühlt sich mehr wie ein Ausbruch an. Es gefällt mir, dass das Album eine spezifische Zeit einfängt und so nicht geplant war. Als ob man ein Tagebuch entdecken und lesen würde.
Habt ihr denn die verworfenen Songs nicht mehr benutzt?
Andrew: Einige davon haben wir behalten und sie werden auf dem kommenden dritten Album sein. Das haben wir bereits aufgenommen.
Johnny: Wir haben gewisse neu aufgenommen und benutzt. Manches fühlte sich nur von der Stimmung und Form her nicht passend an.
Andrew: Was gut ist, weil man nichts einfach so wegwerfen sollte.
Hugh: Manchmal fühlte es sich an, als ob wir gewisse Zyklen durchlaufen würden. Wie die alten Blueskünstler, welche einen bestimmten Song auf jedem Album hatten – und das Lied somit mit ihnen aufwuchs. Sie benutzten das Lied um zu zeigen, wo im Leben sie sich befinden – und es fühlt sich an, als ob wir dies gerade auch tun.
Manche Bands ändern die Themen oder Texte von ihren Liedern, um auf Veränderungen zu reagieren. Hattet ihr denn Angst, der neue Versuch könnte misslingen?
Andrew: Ganz klar. Gerade, weil es so persönlich war. Ich selber hatte viel mehr Angst, diese Lieder zu veröffentlichen, weil es sich so anders anfühlte und anhörte. Wir hatten auch einige Uneinigkeiten betreffend Aufnahmen und Abmischung. Es gab also viele Anspannungen, aber ich mag die Lieder sehr.
Hugh: Es ist sehr introvertiert – es geht nicht darum, bestimmte Dinge auf der Welt hervorzuheben, sondern eher die Hörer in unsere Welt zu ziehen.
Andrew: Es war auch nie eine politische Motivation, sondern eine individuelle Veränderung der Kunst. Wenn man in politische Themen eintaucht, dann läuft man immer Gefahr, mit seinen Aussagen gewisse Leute vor den Kopf zu stossen. Oder man ändert sogar seine eigene Meinung. Am besten spricht man also von eigenen Erfahrungen, diese werden sich nicht ändern.
Hugh: Wir hatten mit unserem leicht psychedelischen und verrauschten Klang auch das Ziel, ein gewisses New-Age-Gefühl zu verbreiten. Das Album ist ein sicherer Ort für alle, gleichzeitig aber nicht dazu da, um Meinungen zu ändern. Für gewisse ist diese spirituelle Seite etwas schwierig zu entdecken, da wir eine laute Rock-Band sind – aber auch live bieten wir diesen sicheren Ort. Ausser Johnny, der springt herum.
Johnny: Es geht um die Mischung. Ich bin das unerwartete Croûton in der Suppe (lacht).
Andrew: Wenn die Leute zu unserer Musik Spass haben und feiern wollen, dann ist das auch ok.
Johnny: Die meisten Alben bieten schlussendlich mehrere Arten von Songs. Mit den einfachen wird man hineingesogen, danach sucht man sich etwas Tieferes und Gehaltvolleres. Du findest auf unserem Album die klaren Rocksongs, welche zuerst auffallen, aber auch Lieder, welche länger verdaut werden müssen und tiefer gehen.
Was ist denn mit «Boots»? Irgendwie passt das nicht.
Hugh: Ich habe das Lied produziert und es enthält einige Elemente von Demos und alten Songs. Es ist wie eine Suppe (lacht). Ebenso gibt es ein Sample aus einem Film, den ich als Kind geliebt habe. Es entstand aber in einer sehr dunklen und wütenden Zeit. Ich nahm also diese sehr erwachsene Energie und setzte ein Stückchen Unschuld aus meiner Kindheit hinein.
Andrew: Und dass der Song immer weiterläuft ist die perfekte Spiegelung der Zeit, in der wir uns im Kreise drehten. Ohne das zu wissen, könnte der Song aber etwas merkwürdig sein.
Johnny: «Boots» hat sich extrem entwickelt. Bei jeder Bandprobe brachte Hugh wieder neue Elemente und Ideen mit und es gab schlussendlich drei oder vier Stufen. Es war sehr toll, diese Fortschritte zu hören.
Andrew: Man findet sogar Teile von «Colorize» in dem Stück, es wirkt also ein wenig wie das Leitmotiv zu unserem letzten Album. Ebenso wird «Cancel The Future» in einem Songtext auf der kommenden Platte enthalten sein – wir bieten also diese Pfade, denen man durch die Alben folgen und die Fortschritte verfolgen kann.
Ihr arbeitet sehr schnell. Wie hält man ein solches Tempo hoch?
Hugh: Mann muss persönliche Probleme und ein gebrochenes Herz haben (lacht). Aber so waren wir schon immer: Wir hatten unser erstes Konzert nach einer Probe.
Johnny: Und einen Monat später bereits die erste Single veröffentlicht.
Hugh: Diese Band ist eine sehr interessante Zusammenarbeit. Wir sind keine Perfektionisten und mögen es, vor den Leuten aufzuwachsen. Es geht um organisches Wachstum und Veränderung, auch wenn die Leute oft einen gewissen «Coolness»-Faktor suchen. Das ist nicht unser Ding, wir sind lieber offen und ehrlich. Ein Album ist eine Momentaufnahme.
Andrew: Und du wirst nie das perfekte Album aufnehmen können. Wir haben kein Problem mit unseren Fehlern. Du musst loslassen können.
Hugh: Songs zu schreiben ist meine Art zu kommunizieren. Wenn ich begreifen will, was in meinem Leben passiert, dann muss ich nur meine Lieder anschauen. Es ist wie eine gute Therapie.
Muss man als Band heute denn schnell sein? Alles ändert sich konstant.
Hugh: «Television» auf unserem zweiten Album handelt von dieser Geschwindigkeit und den Technologien. Darum haben wir den Song auch absichtlich rau und altertümlich aufgenommen und ihm eine gewisse Geringfügigkeit verliehen. Aber natürlich ist es auch gut, wenn man auf dieser Welle mitreitet und neue Musik veröffentlichen kann.
Ihr mischt Stadionrock, Pop, Wave, Folk und mehr. Gibt es denn gewisse Idole, nach denen ihr arbeitet?
Andrew: Zu viele! Der Klang ist eine grosse Mischung aus all unseren Favoriten, wir haben komplett unterschiedliche Geschmäcker.
Johnny: Es gibt merkwürdige Überschneidungen, aber nie genug, dass alle dieselbe Band mögen würden.
Andrew: Wir sind uns nur bei den Beatles, T-Rex und Robyn einig. Die lieben wir alle.
Johnny: Und vieles merken wir erst in Interviews. Jemand erwähnt eine Band und die anderen sind völlig erstaunt.
Hugh: Gewisse Dinge im Klang haben wir unbewusst angezapft, wie etwa das leicht Feminine und Glitzernde von Roxette. Ich selber mag englischen Rock, Britpop und dergleichen sehr. Aber auch leichten Shoegaze oder gewisse Sachen im New-Age-Bereich. Dinge der Neunziger wie Enya.
Andrew: Ich wusste, dass du Enya sagen würdest (lacht). In unserem allerersten Interview sprach Hugh von Nirvana und Enya. Und ich dachte «verdammt, das stimmt ja».
Johnny: Aber dann siehst du uns live, und alles ist wieder anders.
Hugh: Ich will auch gar nicht einem Genre angehörig sein. Das ist etwas für Spotify-Playlists.
Pretty City existieren seit 2012. Hat sich in den letzten sechs Jahren alles nach euren Vorstellungen entwickelt?
Andrew: Es war eine sehr interessante Reise und hat uns ehrlich gesagt weiter gebracht, als wir je gedacht hätten. Aber ich weiss, dass die Lieder gut sind und es darum kein Limit gibt.
Hugh: Wir haben drei Alben, diverse Singles und eine EP veröffentlicht und unsere Form in der Öffentlichkeit verändert. In unserer momentanen Position zu sein, ist echt toll.
Vielen Dank für eure Zeit und Musik.
Interview: Michael Bohli