30. Juni 2018
Im Gespräch mit: Mike Bill (Gesang) und Loic Bawidamann (Bass) von Pedestrians.
Pedestrians haben am OpenAir St. Gallen 2018 das wohl sommerlichste Konzert des Festivals hingelegt, voller guter Laune und entspanntem Reggae. Die fünf Badener haben schon mehrere EPs und Alben veröffentlicht und werden den ganzen Sommer lang auf Festivalbühnen stehen. Mike Bill und Loic Bawidamann sprachen nach dem Konzert in St. Gallen über ihr neues Album „Flavour“, das Live-Erlebnis, und warum Äpfel so wichtig sind.
Anna: Ihr habt eure EP „Stoney Vere“ und das letzte Album „What’s The Difference“ in England aufgenommen. Das neue Album „Flavour“ habt ihr hier in der Schweiz aufgenommen – warum?
Mike: Wir haben eine neue Herausforderung gesucht und [Musiker und Produzent] Dodo kennengelernt. So hat sich das ergeben. Wir nahmen dann in Zürich mit ihm auf. Es ist immer schon ein Traum gewesen, etwas mit ihm zu machen, weil er versteht, was wir wollen. Er haut zum Beispiel dick rein mit den Bässen.
Was waren bei der Produktion im Studio die grössten Unterschiede zwischen England und der Schweiz?
Loic: Der Vorteil und der Nachteil zugleich in der Schweiz ist, dass alles in der Nähe des Zuhauses ist. Als wir in England waren, hatten wir eine Woche Zeit, dann musste alles fertig sein. Der Flow war dort anders als hier: In der Schweiz konnten wir immer wieder ins Studio gehen. Ich glaube, das hört man auch auf dem neuen Album. Wir zielten viel mehr auf Perfektion, weil wir mehr Zeit hatten und wiederholt ins Studio gehen konnten.
Wie lange beziehungsweise über welchen Zeitraum habt ihr das neue Album aufgenommen?
Mike: Alles zusammengezählt waren es ungefähr drei Wochen.
Loic: Angefangen haben wir im September 2017 und die letzten Dinge haben wir im Februar 2018 aufgenommen. Zusammengezählt also etwa drei Wochen, aber insgesamt war es eine ziemlich lange Zusammenarbeit.
Und wie war es im Studio in Zürich? Ich hab gehört, es seien immer wieder Musiker vorbeigekommen. Hat euch das gestört oder war es anregend?
Mike: Ich fand es sehr anregend, weil daraus eine kleine Family entstand. Man hat neue Leute kennengelernt, von denen man vielleicht schon gehört hat. Und man hatte die Chance, sich als Musiker auszutauschen. Ich hab sehr geschätzt, dass das Studio ein solches Zentrum für Musiker war.
Wie muss man sich die Studiosessions bei euch vorstellen? Habt ihr im Studio komponiert, oder kam jeder schon mit Ideen und im Studio passierte nur der Feinschliff?
Loic: Wir nahmen unsere Ideen schon im Bandraum als Demos auf. Diese schickten wir an Dodo, und er hat dann seine Ideen beigesteuert. So ging das immer hin und her. Jedes Mal, wenn wir ins Studio gingen, hatten sich die Songs schon konkretisiert. Im Studio haben wir also vor allem aufgenommen. Aber auch dort gab es immer Raum für neue Ideen.
Welche neuen Sounds oder Instrumente habt ihr in „Flavour“ einfliessen lassen?
Mike: Wir benutzten mehr markante Synthesizer. Die Synths haben wirklich eine Lead-Rolle übernommen. Damit konnten wir auch mal einen Refrain an sie abgeben.
Oder wir haben im Song etwas Markantes geändert und zum Beispiel von Moll zu Dur gewechselt. Und dann sah der ganze Song plötzlich völlig anders aus, aber er machte mehr Sinn und mehr Spass. Solche Dinge getrauten wir uns mehr bei dieser Produktion.
Wie bereitet ihr euch auf Konzerte vor? Was ist anders beim Aufbau eines Songs oder bei der Instrumentierung, wenn ihr live auf der Bühne seid – im Gegensatz zum Studio?
Loic: Wir achten schon im Studio sehr stark darauf, dass wir die Songs live wiedergeben können. Das ist uns ein Anliegen. Für die Konzerte überlegen wir uns, wie wir mit dem Publikum interagieren und wo die Leute mitmachen können. Die Songs werden dann live vielleicht etwas verlängert, verkürzt oder beschleunigt. Es überrascht uns aber auch immer wieder, wo die Leute einfach mitmachen, ohne dass wir es erwarten.
Welche Unterschiede seht ihr – falls überhaupt – in der Rezeption des Publikums in der Schweiz und im Ausland?
Mike: Die Menge der Leute ist schon mal markant. Wenn wir in der Schweiz auf einer Hauptbühne spielen, dann ist das überwältigend, wieviele Leute effektiv am Konzert teilnehmen.
Ansonsten geht es so. Ich finde, dass Openair Festivals in Europa etwa den gleichen Vibe anstreben. Die Festivals sind lokal verankert, aber sie haben schon ein ähnliches Gesicht.
Ich würde gerne spezifisch auf einzelne Songs des neuen Albums eingehen. Beginnen wir mit „Material“ – das hat ein etwas schnelleres Tempo. Was war die Idee dahinter?
Mike: Ich glaube, der Song sagt vor allem, dass man alles hinschmeissen soll, wenn es zu viel wird. Es geht um den Überfluss an Informationen, den Überfluss an Bildern. Wenn das Mass erreicht ist, wo es den Rahmen sprengt. Diesen Überfluss und diese Schnelligkeit haben wir durch das Tempo gesucht und hinbekommen.
Woher kam die Idee zu „Is It Love“?
Loic: Das ist ein Song, der live entstanden ist und der dieses Erlebnis wiedergeben will. Wenn Du ein Konzert spielst, kommt immer zuerst die Frage: Wie wird es wohl? Wir wissen nie, ob es zwischen uns und den Leuten funken wird; und auch nicht, ob es zwischen uns untereinander klappen wird.
Das ist also immer wieder die Frage: Ist es denn die Liebe? Wird es funktionieren? Aber es geht auch darüber hinaus; im Leben stellt sich ja diese Frage auch immer wieder, wenn man etwas antrifft: Ist das etwas oder nicht?
Und „Free At Last“?
Mike: Der Song geht ein bisschen in eine ähnliche Richtung wie „Material“ mit diesem eher harten, aggressiven Drive. Es geht um das Gefühl, man könne sich wegdenken oder weggehen und sich der Illusion hingeben, dass man sich mal für einen Abend wegtrinken kann. Aber dass es schlussendlich trotzdem diese Härte drin hat und es auch darum geht, im Alltag damit umgehen zu können.
Und zum Schluss noch „Apple“.
Loic: Hier geht es um Spass, aber auch um Entscheidungen, mit denen man immer wieder konfrontiert wird im Leben. Wir sind jetzt 23 und das ist so ein Moment, in dem ganz viele Entscheidungen auf uns zukommen, die relativ weitreichend sind. Man weiss aber nie, was daraus wird!
Das Bild vom Apfel hat sich sehr angeboten, diese Idee wiederzugeben. Diese Frage: soll man jetzt reinbeissen oder nicht? Denn entweder ist der Apfel superfein und das Beste, was man je gegessen hat; oder er kann ekelhaft sein und dann muss man ihn fertig essen, und das will man ja auch nicht unbedingt.
Mike: Ja, es ist dieses Sich-nicht-entscheiden-können und das Hin- und Herspringen.
Mike, Loic – vielen Dank für eure Zeit und Musik!
Interview: Anna Wirz