Datum: 24. April 2012
Ort: Hallenstadion – Zürich
Geschrieben von: Dennis Bäsecke
Im Gespräch mit: Marco Hietala von Nightwish
Ewo, ein wahrer Hüne und ausserdem Tour-Manager von Nightwish führt uns durch die Katakomben des Hallenstadions. Nach kurzem Warten in einem der zahllosen gedrungenen Räume, betritt ein vergnügter finnischer Bassist den Raum. Verschmitzt schmaucht Marco Hietala an einer elektronischen Zigarette und wir beginnen mit dem Gespräch:
Dennis: Wenn Du an die Schweiz denkst, was geht dir als erstes durch den Kopf?
Marco: Schokolade, Käse, Kuckucksuhren. Berge von Geld auf Banken, kristallklare Bergseen… Ich habe ein paar Freunde hier. Viele gute Sachen. 🙂
Dennis: Ich kann mir vorstellen, dass das letzte Jahr ziemlich arbeitsreich war. Wie fühlt es sich an, nun das Werk zu präsentieren und die „Früchte“ der Arbeit zu ernten?
Marco: Ja, das stimmt. Erst die Proben für das neue Album, dann die Aufnahmen und all die Planungen die dazu gehören. Dazu kam der Film. Es gab sehr viel zu tun. Und jetzt ist der Film in seiner letzten Phase – er ist in den Händen von Profis. Das Album ist draussen. Eigentlich ist es gerade ziemlich entspannt. Es gibt einfach viel weniger, über das man sich den ganzen Tag den Kopf zerbrechen muss. Wir spielen unsere Shows; Jeden Abend ein bisschen die Pforten der Hölle öffnen. Das fühlt sich sehr natürlich an.
Dennis: Was war durch den Film bei diesem Album anders?
Marco: Der Film hat ein Eigenleben. Beim Album haben wir uns darauf konzentriert, etwas musikalisches zu erschaffen. Es ist kein Soundtrack für den Film. Es ist ein Album voller Songs, die gemacht worden sind, um als Songs gehört zu werden. Natürlich geht der Film hauptsächlich von der Stimmung und der Atmosphäre dieser Songs aus, aber der Soundtrack ist dann doch stark überarbeitet worden. Da hört man nur zwei oder drei Lieder genauso, wie sie auf dem Album sind. Ein Grossteil des Films ist ein fantastisches Schauspiel mit Handlungsstrang und Dialog. Also sind es zwei unterschiedliche Dinge. Darum ist es auch besser den Film in den Händen der Leute zu lassen, die wissen, wie man all diese Dinge tut.
Ich glaube aber, wir werden mit dem nächsten Album keinen Film produzieren 🙂 Viel Stress! Aber obwohl es für uns sehr viel mehr Arbeit war, war es auch ein grossartiger Trip. Und das soll es auch für die Leute werden!
Dennis: Was wolltet ihr mit dem Film erreichen?:
Marco: Ich möchte, dass die Leute sehen, was ich, als jemand, der viele Filme sieht und verrückte „Fantasy-Science-Fiction-Cyber-Punk-Szenerien“ mag, gerne sehen würde. Ich habe den Rohschnitt gesehen, ohne Effekte. Ich glaube, dass die Handlung und die Bilder das Potential haben, eine fantastische Reise für den Zuschauer zu werden. So habe ich das erlebt, als ich es zum ersten Mal gesehen habe. Wenn die ganzen Special Effects noch dazu kommen, wird es für die Zuschauer ein wirklicher Trip. Das wollen wir erreichen.
Dennis: Was ist der grösste Unterschied einen Film zu drehen, statt einem Musikvideo?
Marco: Für einen Film braucht man sehr viele Menschen und Arbeitsstunden. Dadurch ist es viel teurer. Um ehrlich zu sein; Ich war für den Dreh nur fünf Tage auf dem Set in Kanada, aber es gibt Leute, die Monate an diesem Film gearbeitet haben. Ich habe nur hier und da ein paar Auftritte, genau wie die anderen Bandmitglieder. Wir spielen nicht wirklich im Film mit. Wir sind vielmehr Charaktere, die an bestimmten Stellen in das Szenario des Filmes passen.
Dennis: Fühlst du dich wohl vor einer Kamera?
Marco: Das macht mir nichts aus. Ich habe Musik-Videos gemacht und Live-DVDs. Ich werde viel von Leuten fotografiert. Also habe ich darüber eigentlich gar nicht nachgedacht, als wir die Sachen für den Film gedreht haben.
Dennis: Obwohl der Stil von Nightwish sehr klar und wiedererkennbar ist, fällt auf, dass ihr sehr offen seid.
Ich war zum Beispiel sehr überrascht von den Jazz-Klängen, als ich „Slow, Love, Slow“ hörte. Ausserdem denke ich an die verschiedensten folkloristischen Einflüsse, die man in euren Songs hört. Wie wichtig ist es, seine Musik stets mit neuen Einflüssen zu bereichern?
Marco: Ich denke, wir holen unsere Inspiration aus so ziemlich allem, was wir erfahren. Es geht einfach darum offen zu sein für die Inspiration. Denn sie kann aus ziemlich verrückten Richtungen oder ziemlich simplen Dingen entstehen. Dann hat man eine Idee und denkt: „Oh, das muss ich aufschreiben.“ Wenn man es sich dann ein paar Tage später wieder anschaut, macht man weiter. Es geht einfach darum etwas zu finden. Du findest eine Melodie, du hältst sie fest und sie bringt dich irgendwo hin. Soweit deine Vorstellungskraft dich trägt. Das ist die Idee des Albums, vielleicht auch der ganzen Band. Sei offen für alles! Darum haben wir mit „Imaginearum“ die Grenzen des guten alten Heavy Metals überschritten. Das ist einer der Vorzüge der Band, immer wieder zu überraschen.
Dennis: Welche Musik ist für dich in deiner Jugend am wichtigsten gewesen?
Marco: Natürlich bin ich mit verzerrten Gitarren aufgewachsen. Rock`n Roll: Status Quo AC/DC und dann Black Sabbath und Deep Purple… Also viel Hard Rock und Heavy Metal. Aber wir alle hören auch eine Menge anderes Zeug. Du hast die ganzen keltischen Einflüsse gehört. Irische Folksongs waren in meiner Kindheit sehr wichtig. Ich denke bei Tuomas war es genauso. Ich war lange Zeit ein grosser Fan von Jethro Tull. All diese Einflüsse die man hat, ermöglichen es einem selbst so verschiedene Sachen zu machen. Du hast den jazzy Song „Slow, Love, Slow“ erwähnt. Keiner von uns ist Jazz-Musiker oder hat je in einer Jazz-Band gespielt. Aber auch hier ging es darum, offen zu sein. Wir bekamen ein Sequenzer-Demo und ich dachte: Ok, ich sollte mir einen Akustik-Bass kaufen, um das zu machen, was ich am nächsten Tag gemacht habe. Dann haben wir einfach losgelegt und es hat geklappt. Ich glaube, man muss sich öffnen, statt Angst vor dem Neuen zu haben. Dadurch funktioniert es.
Dennis: Ihr habt schon so viele Konzerte zusammen gespielt. Gibt es dennoch Momente, in denen du so nervös bist, wie beim ersten Auftritt?
Marco: Eigentlich nicht. Ich denke, ich bin inzwischen recht gelassen in dieser chaotischen Umgebung. Ich habe nicht so viele Schmetterlinge im Bauch, egal wie viele Menschen da stehen. Es gibt natürlich besondere Anlässe: Es waren ja jetzt gut zweieinhalb Jahre seit dem letzten Konzert. Als wir im Januar in Los Angeles die erste grosse Show gemacht haben, da merkte ich: Uuuu – Ich bin aufgeregt! Man ist ja immer im positiven Sinne aufgeregt, wenn man auf die Bühne geht, aber das war wieder anders. Nach dem Motto: „Mal sehen, wie das klappt…“ 🙂
Dennis: Welcher Song des neuen Albums bedeutet dir am meisten?
Marco: Das Offensichtlichste wäre natürlich „The Crow, The Owl And The Dove“, welches ich selbst geschrieben habe. Aber das ist es eigentlich nicht. Ich kenne den Song wahrscheinlich zu gut und weiss zu genau, was in ihm passiert. Mir gefallen die verschiedenen Bezugspunkte des Albums. Wo es herkommt und wo es hingeht. Ein Song, der mir sehr gefällt, ist „Turn Loose The Mermaids“. Wenn es um das härtere Zeug geht, schätze ich „Scaretale“ mit all seinen Verrücktheiten sehr.
Dennis: Glaubst du, dass man die Welt zu einem besseren Ort machen kann, indem man Musik macht?
Marco: Ja, ich glaube, das passiert. Es gehört zu den essentiellsten Dingen für jeden Menschen überall auf der Welt, um einen Moment der Gelassenheit zu erleben. Einen guten Groove, Vibes und positive Gefühle zu bekommen, um sein Bündel an Traurigkeit abzulegen und in eine andere Dimension zu gelangen. Ich glaube ohne Musik wären wir eine sehr viel traurigere Spezies.
Dennis: Was ist das Wichtigste im Leben, abgesehen von Liebe, Musik, Freunden und Familie?
Marco: Vor allem glaube ich, dass es ein unfassbares Privileg ist, in dieser Welt von grenzenlosen Möglichkeiten überhaupt zu existieren. Das versuche ich immer im Bewusstsein zu behalten!