20. Juni 2017
Im Gespräch mit: Thomas Baumgartner, Gitarrist bei Neo Noire
Wie eine helle Sternschnuppe zogen Neo Noire an Basel vorbei über die gesamte Schweiz und haben mit ihrem ersten Album „Element“ die Szene des Alternative Rock gehörig aufgemischt. Kein Wunder, verbinden die gestandenen Künstler auf der Platte doch harte Riffs mit gefühlvollen Melodien – und vergessen die Ohrwürmer dabei nicht. Dies brachte ihnen auch bereits einige Auftritte im nahen Ausland ein, und für uns die Gelegenheit für ein Interview.
Michael: Eine ganz frische Alternative Rock Band aus der Schweiz begleitet eine gestandene Hardcore-Legende aus den USA. Wie kam es denn zu diesen zwei Konzerten mit Suicidal Tendencies in Deutschland?
Thomas: Über unseren deutschen Booker kam der Kontakt mit dem Management von Sucidal Tendencies zustande. Von da an ging eigentlich alles recht schnell; nachdem sich die Band unser Material angehört hatte, bekamen wir grünes Licht aus den USA für die Shows in Deutschland.
Ein Gig ist bereits überstanden, einer steht noch bevor. Wie sind nun die Erfahrungen nach diesem Auftritt? Wurdet ihr gut empfangen?
Wir haben mit unseren diversen Bands in der Vergangenheit ja schon zahlreiche Erfahrungen mit solchen Support-Slots sammeln können, kennen die Regeln und wissen daher, was zu tun und was zu unterlassen ist. Die erste Show lief für uns fantastisch! Band und Crew von Sucidal Tendencies haben uns äusserst nett behandelt und wir erhielten von ihrer Seite her keinerlei Restriktionen in Bezug auf unseren Auftritt – was absolut nicht der Normalfall ist bei Bands mit solchem Kultstatus.
Sind Supporting Gigs im Allgemeinen lukrativ, oder erhält man dadurch bei etwas komischen Paarungen doch zu wenig Rückmeldung?
Finanziell sind solche Gigs natürlich nicht lukrativ. In Bezug auf die Wirkung, die dabei erzielt werden kann, jedoch sehr! Bei Bands wie den legendären Suicidal Tendencies sind auch immer viele Medienvertreter und natürlich auch viel Publikum anwesend. Wir bekamen sehr gute Reaktionen auf unseren Auftritt, was keineswegs selbstverständlich ist, denn die Fans von Suicidal sind wirkliche Die-Hard-Fans. Aber wir haben uns den Arsch abgespielt und konnten damit offensichtlich überzeugen.
Ist es als „neue“ Band im Allgemeinen einfacher im Business zu sein und sich niemandem beugen zu müssen, als wenn man noch viele Erwartungen erfüllen muss?
Als Musiker ist es meiner Meinung nach am wichtigsten, immer zuerst die eigenen Erwartungen erfüllen zu können, ansonsten läuft man in eine Sackgasse. Bei Neo Noire sind wir alle zu erfahren, als dass wir uns dreinreden lassen würden – dafür haben wir bereits zu viele Jahre im Musikbusiness auf dem Buckel. Innerhalb der Band ist die Situation bei uns generell speziell: Fredy Rotter (Git/Vox) ist gleichzeitig auch unser Labelboss (Czar of Crickets), David Burger (Drums) ist unser Manager (Inhaber von Radicalis) und ich habe das Album produziert. Somit haben wir eine sehr gute und funktionierende Infrastruktur innerhalb der Band und können Entscheidungen selber fällen, was natürlich auch die Verantwortung steigert.
In der Schweiz – oder zumindest in gewissen Szenen – hat euer erstes Album „Element“ eingeschlagen wie eure Riffs einfahren, nämlich heftig. Für euch war dies bestimmt nicht verwunderlich, oder?
Die fantastischen Reaktionen aus aller Welt auf unser Debüt „Element“ sind auch für uns überraschend und natürlich sehr cool. Wir sind als Band sehr entspannt an das Songwriting und die Produktion herangegangen und haben uns keine grossen Gedanken darüber gemacht, wem die Songs gefallen könnten. Wir haben lange und sehr hart daran gearbeitet, bis wir als Band komplett hinter dem Album stehen konnten. Offensichtlich haben wir aber glücklicherweise damit bei vielen schlussendlich einen Nerv getroffen – was uns natürlich sehr freut.
Man kann den Erfolg nie planen und der Grunge ist eigentlich nicht mehr hoch im Kurs – jetzt ist auch noch Chris Cornell gestorben. Ist es da sinnvoll, mit dieser Stilrichtung das Glück zu suchen?
Wir sehen uns eigentlich in keiner Weise als Vertreter einer Grunge-Szene. Grunge war für mich immer eine Erfindung der Medien und ich selber assoziiere am ehesten Bands wie Mudhoney, Nirvana und die Melvins mit „Grunge“. Unsere Musik, die wir ja selber Hybrid Rock nennen, ist ganz einfach die Schnittmenge der persönlichen musikalischen Vorlieben von uns vier in der Band. In den vielen sehr guten Album-Reviews wurden wir sehr oft mit Bands der 90er wie Janes Addiction, Tool oder den Smashing Pumpkins verglichen, was für uns natürlich ein Kompliment ist. Trotzdem wurde auch immer herausgehoben, dass wir diesem Sound ein gehöriges Upgrade verpasst haben. Wir haben innerhalb der Band (und auch aufgrund des grossen Altersunterschieds) zu viele verschiedene musikalische Vorlieben, als dass wir ein einzelnes Genre bedienen wollen würden. Das würde uns als Musiker viel zu sehr limitieren.
Soundgarden waren aber bestimmt auch einen Einfluss auf eure Musik. Was hatte sonst auch noch etwas zu sagen, wenn auch nur unterbewusst?
Mir persönlich gefielen Soundgarden von den vielen Bands zu dieser Zeit fast am besten. Die Band zeigte sehr viele verschiedene musikalische Facetten und schrieb zeitlose Songs. Für mich waren Soundgarden allerdings mit ihren nicht überhörbaren Black Sabbath- und Led Zeppelin-Einflüssen immer mehr dem Classic Rock-Genre zuzurechnen, und ich habe den diesbezüglichen „Grunge-Stempel“ eigentlich nie begriffen. Wir verfolgen mit Neo Noire ein ähnliches Verständnis: Die letzten 50 Jahre haben in der Rockmusik fantastische Bands und Genres hervorgebracht. Wenn man sich keine Grenzen auferlegt, ist dies ein herrliches Tummelfeld, um sich auszutoben. Ich glaube gerade auch deshalb ist noch mit einigen Überraschungen von uns zu rechnen.
An der Plattentaufe in der Kaserne in Basel habt ihr gezeigt, dass eure Musik auch live ein Kracher ist. Was gefällt dir selber mehr, auf der Bühne zu stehen oder im Studio neue Songs zu finden?
Danke, schwierig zu sagen. Für mich ist der Entstehungsprozess eines Songs immer mit sehr viel Magie verbunden. Am spannendsten finde ich als Musiker und Produzent aber immer noch die Umsetzung im Studio. Du kannst vieles richtig oder falsch machen – und mit dem Ergebnis musst du ein Leben lang klar kommen. Aber auch live zu spielen finde ich nach wie vor sehr geil.
Dauert die Arbeit im Studio mit Neo Noire denn lange?
Oh ja. Da wir das Album in Eigenregie aufgenommen und produziert haben, hat dieser Prozess sehr viel Zeit in Anspruch genommen – insgesamt ein Jahr. Wir sind zu sehr Perfektionisten, als dass wir uns schnell zufrieden geben würden und wir lieben es, sehr viele verschiedene Dinge auszuprobieren. Dies alles kostet Zeit und Energie. Aber auf das Ergebnis sind wir mehr als stolz.
Was wird uns denn die Zukunft von Neo Noire bringen? Bald einen Studio-Nachschlag?
Wir werden sicherlich noch einige Zeit mit dem aktuellen Album touren, und so schnell ist nicht mit einem neuen Album zu rechnen. Im Herbst geht es auf eine Tour nach Spanien, danach folgt eine Tour durch die Schweiz, Deutschland und vielleicht auch Skandinavien. Trotzdem sind wir aber bereits daran, neue Ideen auszuprobieren. Doch dieser Prozess dauert bei uns eben immer etwas länger.
Neo Noire und Artnoir(e) – eigentlich die perfekte Kombination für die Musikszene?
Genau und exakt auf den Punkt gebracht! Ich hoffe, wir werden noch oft miteinander zu tun haben.
Interview: Michael Bohli