Datum: 23. November 2011
Ort: X-TRA – Zürich
Geschrieben von: Nicole Imhof
Im Gespräch mit: Michael Sele von The Beauty Of Gemina
Nicole: Hallo Michael. 2008 hatten wir uns bereits zum ersten Mal hier im X-TRA zu eurem damaligen Album „A Stranger To Tears“ getroffen. Zwei Jahre später wieder hier zum Release von „At The End Of The Sea“ und heute nun also zum dritten Mal und zu eurem vierten Album. „Iscariot Blues“ heisst das neue Werk und wird am 13. Januar 2012 erhältlich sein. Bist du schon nervös vor dem Release und mit welchen Erwartungen denkst du an die Veröffentlichung?
Michael: Nervös vielleicht nicht, aber sicher angespannt. So früh waren wir übrigens noch nie dran mit den Vorbereitungen. Der erste Song ist bereits draussen und deshalb sind wir nun neugierig, wie die Leute darauf reagieren werden. Es gibt allerdings auch noch viel zu tun bis im Januar. Alles in allem ist es eine gute Spannung.
Nicole: Die ersten drei Alben haben nach deinen Aussagen bei unserem letzten Interview ja eine Trilogie ergeben, die mit „At The End Of The Sea“ abgeschlossen wurde. Mit was für Ideen bist du nun ans Werk gegangen, was hast du dir selber vorgenommen?
Michael: Man entwickelt sich ja immer weiter und die vielen Live-Konzerte hatten sicherlich auch einen prägenden Einfluss auf meine Arbeit. Ich wusste und spürte genauer was ich wollte und wohin es gehen soll. Von dem her konnte ich mit einer gewissen Euphorie und auch selbstbewusst an die Sache heran gehen. Sicherlich ist es ein neues Kapitel, das hier aufgeschlagen wird. Ganz bewusst habe ich formal ein paar Dinge aufgebrochen. Die ersten drei Alben endeten ja jeweils mit einem instrumentalen Stück und waren eher lange, epische Werke. Das neue Album ist viel reduzierter und auf die einzelnen Songs orientiert.
Nicole: Zum Thema Tour. Soviel wie in diesem Jahr warst du mit den Geminas ja noch nie unterwegs. Gerade die Tour im Januar als Vorband der Nummer Eins in Deutschland, Unheilig, das war ja eine riesen Nummer. Wie hast du das erlebt und was ist davon hängen geblieben?
Michael: Auf das neue Album hatte das keinen Einfluss, denn die meisten Songs hatte ich bereits vor dieser Tour geschrieben. Hängen geblieben sind jedoch unglaublich viele Erfahrungen und ich habe sehr viel dazu gelernt. Ich musste herausfinden, wie man vor einem so grossen Publikum und auf diesen riesengrossen Bühnen am besten performt und wie man mit den Zuschauern kommuniziert. Das war eine total neue Dimension von der ich unheimlich viel dazu lernen konnte. Auch die ganze Band und unsere Crew musste absolut professionell sein, wir mussten zusammenarbeiten und äusserst präzise Arbeiten. Das hat uns sicherlich geprägt und wir konnten diese Erfahrungen auf alle Konzerte danach mitnehmen. Es war eine wertvolle Zeit.
Nicole: Was mir wirklich aufgefallen ist und was auch andere Leute mir erzählen ist, dass deine Bühnenpräsenz von Show zu Show besser wird. 2008 haben viele diese Kommunikation von der Bühne noch vermisst, doch langsam kommt immer mehr von dir und der Band und das wirkt einfach. Du bist ja eine sehr charismatische Person und hast Ausstrahlung. Und das kommt meiner Meinung nach immer mehr zur Geltung.
Michael: Das stimmt schon. Zu Beginn spielten wir nur wenige Shows und das Selbstvertrauen auf der Bühne entwickelte sich deshalb eher langsam. Nachdem wir nun aber soviele Konzerte direkt hintereinander machen konnten, da merkte ich selber, dass eine Bühnenperson entsteht, der es von mal zu mal leichter fällt. Das Ganze ist wie ein Wechselspiel bei dem immer mehr zurückkommt auch vom Publikum. Und das geht nicht nur mir so, sondern auch der ganzen Band.
Nicole: Gibt es also eine Bühnenperson Michael Sele?
Michael: Der Vorteil bei mir meiner Meinung nach ist sicher, dass ich mich äusserlich nicht stark verändere, wenn ich auf der Bühne stehe. Mein Äusseres und meine Kleidung sind so wie ich auch im Privatleben bin. Bei unseren Fotoshootings oder Videodrehs schminken wir uns keine Masken und verkleiden uns nicht. Das ist sicherlich der eine Punkt. Auf der anderen Seite ist es schon so, dass sobald ich als Sänger auf der Bühne stehe, dann tauche ich ein in diese Welt und erzähle Geschichten, die ich dann zu 100% auch bin.
Nicole: Würdest du so eine Tour wie mit Unheilig wieder machen?
Michael: Ja, auf alle Fälle. Ich werde viel darauf angesprochen, was es uns gebracht hat. Dazu muss ich vielleicht sagen, dass so eine Unheilig-Tour nicht von heute auf Morgen zu Stande kommt. Wir waren bereits seit über einem Jahr diesbezüglich im Gespräch und den Verhandlungen. Damals war für uns Unheilig klar immer noch ein Bestandteil der Gothic-Szene. Und deshalb hatten wir natürlich gehofft, dies als eine Chance nutzen zu können, um den Grossteil der Deutschen Szene erreichen zu können. Währenddessen hat sich dann allerdings die Szene immer mehr von Unheilig losgelöst und ein völlig anderes Publikum war nun da. Diese Ablehnung der Szene hat dem Grafen sicherlich auch weh getan, doch aufzuhalten war das in dem Moment nicht mehr.
Für uns als Szeneband war dies klar nicht gerade ideal und wir wussten nicht, wieviel von diesem Publikum wir überhaupt mitnehmen konnten. Aber gleichzeitig konnten wir vorallem hinter den Kulissen sehr viele neue Kontakte knüpfen und interessante Personen kennen lernen, die uns weitere Türen öffneten. Von dieser Seite her gesehen und unter dem Strich also, war es ein absoluter Erfolg für uns.
Nicole: Zurück zum neuen Album. Euer viertes Album hört sich klar nach The Beauty Of Gemina an, für mich sind aber auch starke Veränderungen und vorallem neue Elemente hörbar. Wie z.B. beim Stück „Badlands“, welches mit einem Blues-Akkord anfängt und hat dazu fast noch einen Country-touch hat. Ich finde das einerseits gewagt, andererseits gefällt es mir persönlich sehr gut. Gibt es dazu eine Geschichte oder einen speziellen Einfluss?
Michael: Grundsätzlich bin ich selber jemand, der Musik aus einem sehr breiten Spektrum hört. Und ich wollte mich auch nie nur auf spezielle Facetten einschränken lassen. Die Akustische Gitarre habe ich im neuen Album generell mehr etabliert. „Badlands“ ist sicherlich einer der Songs, der dieses ungewohnte, bluesige Gefühl hat. Klar bin ich mir bewusst, dass es einige Leute anfänglich irritieren wird. Andererseits haben wir in kurzer Zeit vier Alben heraus gebracht haben und jedes ist sehr individuell. Wenn das neue Album wieder genau gleich klingen würde wie die ersten drei, dann hätte es doch auch keine Berechtigung überhaupt zu erscheinen.
Nicole: Auf „Iscariot Blues“ sind die rockigen und düsteren Töne vom letzten Album geblieben. Doch ab und an tauchen fast schon beschwingte Melodien wie bei „Dark Revolution“ und „Seven-Day Wonder“ auf. Es scheint nicht alles so dunkel zu sein und nicht nur Kritik und Melancholie sind angesagt. Empfinde ich das richtig oder was sagst du dazu?
Michael: Gerade „Seven-Day Wonder“ ist so ein Song mit Augenzwinkern. Dabei war ich mir lange nicht sicher, ob ich ihn auf dem Album haben möchte. Doch live kann ich mir vorstellen, dass er sehr gut ankommen wird, weil er einen guten drive hat und Spass macht.
Bei „Dark Revolution“ ist der Text natürlich sehr düster, aber sicherlich hat die Melodie hier einen ungewohnten groove. Diese neue Facette ist genau das von dem ich mir erhoffe, dass es die gewisse Spannung erzeugen wird und deshalb interessant bleibt.
Nicole: Deine Stimme bei „Dark Revolution“ gefällt mir übrigens sehr gut. Es groovt und rockt sehr locker und leicht. Was hast du hier mit dem Gesang angestellt?
Michael: Hier habe ich zwei Stimmen übereinander gelegt. „Dark Revolution“ soll ja ein Aufruf einer ganzen Gruppe sein und nicht nur von einer Person. Live muss hier dann die ganze Band einsetzen. 🙂
Nicole: Darauf bin ich ja gespannt. 🙂
Was heisst „Dark“ für dich und was möchtest du „revolutionieren“?
Michael: Dieses Album ist sicher das politischste bis anhin. Und „Dark Revolution“ soll provozieren. Wenn man sich die Situation heutzutage so anschaut, da musste ich mich einfach fragen, wieso denn niemand mehr auf die Strassen geht. Und genau das ist ja nun mittlerweile doch passiert. Auch der Aufruf in „Haddon Hall“ an Ziggy Stardust, er möge doch zurückkommen und uns helfen, geht in diese Richtung.
Nicole: „Stairs“ ist ein sehr ruhiger, gefühlvoller und eingänglicher Song, der es meiner Meinung nach gut in den Airplay von 8-17 Uhr schaffen könnte und auch passen würde. Wäre das ein Ziel oder ein Wunsch von dir und was traust du diesem Song zu?
Michael: Ich hoffe es, klar. Wir haben gemerkt, dass diese Stück das Potential hat, die Leute zu berühren. Er ist sehr emotional und das Thema ist ansprechend. Ich würde es diesem Song gönnen, denn er ist für uns enorm wichtig. Für uns alle ist er mit ein Schlüsselstück aus diesem Album. Auf alle Fälle hoffe ich, dass er sehr Emotionen auslösen wird.
Nicole: Das Jahr ist nun fast vorbei. Was waren deine besten Momente im 2011?
Michael: Es war ein sehr intensives und wichtiges Jahr, das direkt mit der Unheilig Tour am 2. Januar begonnen hatte. Das war ein riesiges Abenteuer. Dann waren die ganzen Festivals natürlich spannend. Sicherlich die Band als solches, die zeitweise etwas auseinander ging um dann wieder stärker zusammen zu finden. Gerade die letzte Tour jetzt im November war sehr anstrengend und gleichzeitig motivierend.
Nicole: Was sind deine grossen Wünsche oder Ziele für 2012?
Michael: Generell, dass sich die Szene wieder mehr findet. Es ist schade, dass Parties, Labels oder Magazine plötzlich nicht mehr existieren und dann halt fehlen. Ich würde mir wünschen, dass wieder mehr Leute einen aktiven Beitrag leisten würden und etwas auf die Beine stellen. It’s time for a dark revolution. 🙂
Discographie
2007 Diary Of A Lost
2008 A Stranger To Tears
2010 At The End Of The Sea
2012 Iscariot Blues (VÖ: 13.01.12)