20. Mai 2021
Roddy Bottum (Gesang) und Joey Holman (Gitarre)
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Gespräch: David Spring
Bands wie MAN ON MAN aus New York gibt es nicht viele. Ein stolzes, schwules Paar in etwas gesetzterem Alter, das sich Schicksalsschläge, persönliche Verluste und die Pandemie als Inspiration nahm, zusammen Musik zu machen. Wie das selbstbenannte, erste Album entstand, wie sie während den Aufnahmen näher zueinander fanden und wie es mit der LGBTQI-Musikszene generell so aussieht, erzählten uns Roddy Bottum und Joey Holman in einem entspannten Zoom-Gespräch.
David Spring: Hallo zusammen. Wie geht es euch?
Roddy Bottum: Heya! Uns geht es gut, danke. Wir sind in New York City und es ist echt schwer einen Parkplatz zu finden, es werden überall die Strassen gefegt. Wir wollen kein Parkticket kriegen, darum sind wir in unserem Auto!
Vielen Dank, habt ihr euch die Zeit genommen, um mit mir zu plaudern. Wie fühlt ihr euch, nun da das Album seit ein paar Tagen draussen ist?
Joey Holman: Es fühlt sich gut an. Wir können uns jetzt auf unsere Live-Show konzentrieren, während vorher viel Arbeit für Videos und Veröffentlichungstermine und Albumverpackungen anfiel, all die Dinge, die mit der Veröffentlichung eines Albums einhergehen. Aber jetzt macht es uns wirklich Spass. Wir können uns darauf konzentrieren, unsere Musik zu üben und unsere Band zu formen. Wir fühlen uns wirklich gut, wir sind aufgeregt für das, was noch kommen wird.
Ihr plant also, mit dem Album auf Tour zu gehen, wenn es denn wieder möglich ist?
Roddy: Ja, wir sind gerade dabei, eine Band zusammenzustellen. Gerade gestern wurden wir eingeladen, auf diesem wirklich grossen Festival in Chicago zu spielen, was unsere erste Show sein wird, das ist wirklich aufregend. Wir waren alle schon so lange nicht mehr bei einer Live-Show und allein die Vorstellung, dass wir dieses riesige, geile Festival als unsere erste Show spielen dürfen, ist aufregend.
Plant ihr auch, international auf Tour zu gehen?
Roddy: Wir sind auf jeden Fall daran interessiert, international zu touren, fancy Jungs, die wir sind [lacht]. Es geht darum, viele verschiedene Orte zu sehen. Wir sind eine Band geworden, in der es um Gemeinschaft geht, wir wollen also so vielfältig wie möglich sein.
Wie hat MAN ON MAN begonnen? War das Musizieren eine natürliche Weiterführung eurer Beziehung oder kam die Beziehung nach der Band?
Joey: Wir sind in New York City ansässig und leider ging es Roddys Mutter zu Beginn der Pandemie nicht sehr gut. Seine Familie ist in Los Angeles zuhause, also dachten wir, wir könnten genauso gut dorthin gehen. Es lag so viel Ungewissheit vor uns, niemand wusste, wie schlimm es mit dieser Pandemie werden könnte, oder ob Staaten gesperrt werden würden. Auf diese Weise konnte Roddy wenigstens in der Nähe seiner Mutter sein, während sie in Behandlung war. Wir fuhren durch das Land in Richtung LA, als die Idee aufkam, zusammen Musik zu machen, um die Quarantäne zu nutzen.
Roddy: Wir sind beide Musiker und wir mögen die Musik des anderen sehr gerne. Aber obwohl wir zu dem Zeitpunkt schon fast ein Jahr zusammen waren, hatten wir noch nie gemeinsam Musik gemacht, ein Novum.
Es hat durchaus Seltenheitswert, dass man als Liebespaar zusammen in einer Band spielt.
Joey: Es gab einige grossartige Paare, Sonny & Cher oder The Mamas & The Papas, aber definitiv nicht viele schwule Paare. Es war gesund für unsere Beziehung, Entscheidungen gemeinsam zu treffen. Ich bin wirklich stolz darauf, wie positiv Roddy ist. Die Richtung, in welche sich unsere Beziehung bewegt, ist immer von Unterstützung geprägt. Wir machen eine Menge toller Dinge zusammen und einer der unbeabsichtigten Vorteile vieler davon ist, dass sie uns als Paar wachsen lassen. MAN ON MAN ist definitiv einer dieser „Huch, wir haben es richtig gemacht“-Momente!
Roddy: Die Lernkurve war allerdings ziemlich steil. Selbst das Schreiben von Songs war anfangs sehr schwer. Wir haben uns vorher nie gestritten, aber in den Situationen passierte das plötzlich. Schliesslich wurden wir richtig gut darin, indem wir einfach alles intensiv durchsprachen. Und jetzt treffen wir all diese Band-Entscheidungen gemeinsam, was einem Paar viel abverlangt. Wie Joey schon sagte, müssen wir ständig diese schwierigen Entscheidungen treffen, was uns letztendlich enorm hilft, uns gegenseitig besser zu verstehen.
Wie war der Songwriting-Prozess? Woher kam die Inspiration für die Songs auf dem Album?
Roddy: Als wir nach Kalifornien fuhren, fühlten wir uns beide sehr verletzlich. Alles, was wir als Inspiration hatten, waren wir selbst und unsere Beziehung. So fing es an, dass wir uns gegenseitig Liebeslieder schrieben. Und vor dem Hintergrund der Pandemie gab es eine Menge Themen wie Isolation und Einsamkeit, das Verlangen nach Menschen und Aufmerksamkeit, und wie es ist, diese nicht zu erhalten.
Das ganze Album fühlt sich melancholisch an. Wahrscheinlich habe ich fröhliche und tanzbare Musik erwartet, als ich das erste Mal von MAN ON MAN gelesen hatte, sehr klischeebehaftet. Ich war positiv überrascht, wie tiefgründig und ehrlich das Album ist.
Joey: Als wir anfingen Musik zu machen, ging es uns nicht darum, eine Platte oder ein Video zu machen, oder Live-Shows zu spielen. Es war ein Weg für uns, die Zeit zu vertreiben und zusammen kreativ zu sein, ohne Tabus. Wir hatten nicht die Absicht, einen „Sound“ zu entwickeln. Als wir bei unserem Label unter Vertrag kamen und die Tracklist des Albums ausarbeiteten, stellten wir fest, wie extrem abwechslungsreich und unterschiedlich die Platte klingt. Das ist etwas, auf das ich unheimlich stolz bin. An einem Tag will man verdammt schwer werden und am nächsten Tag dann wieder ruhig und introspektiv sein.
Roddy: Es ist übrigens sehr schmeichelhaft, was du gesagt hast. Es ist befriedigend zu wissen, dass wir in der Lage waren, dich zu überraschen. Wir haben uns eher ungewollt vorgenommen, in Bezug auf das, was schwule Leute von schwuler Musik erwarten, Barrieren zu durchbrechen. Darum fühlt es sich gut an, dass es so wahrgenommen wird.
Gibt es Songs auf dem Album, die ihr speziell hervorheben oder darüber sprechen möchtet?
Joey: Ich fand es immer interessant, dass niemand so über „It Floated“ spricht, wie ich es mir wünschte. Roddy meint stets, dass der Song sehr einfach ist: es geht um einen Ball. Ich finde es immer interessant, dass niemand bereit ist, den Text tiefer zu interpretieren. Für mich steckt hinter der Einfachheit eines schwebenden Balls den Hinweis auf die Zeit, in der wir leben. Man hätte Dinge wie Steine und Ziegelsteine nehmen und beschreiben können, wie sie sinken. Aber dieses wunderbare, simple Konzept eines Balls, der obenauf schwimmt, finde ich faszinierend. Dieser Ball repräsentiert für mich Roddys Optimismus, die Kraft, weiterzumachen. Dieser Song ist für mich der perfekte Closer des Albums und die perfekte Zusammenfassung des ganzen Gefühls von Quarantäne und der beschissenen Welt, in der wir leben. So schlecht alles auch zu sein scheint, wir sind immer noch hier und halten uns an der Oberfläche.
Roddy: Danke, das war eine tolle Zusammenfassung dieses Stücks!
Waren noch andere Musiker*innen im Prozess involviert?
Roddy: Zu Beginn waren es nur wir beide. Wir hatten ein Klavier im Haus meiner Mutter, auf dem ich bereits als Kind geübt hatte. Joey brachte seine Gitarre mit, dazu hatten wir ein paar Mikrofone. Am Anfang waren wir ziemlich strikt darin, es simpel zu halten, aber schliesslich haben wir uns ein Bisschen geöffnet. Joeys Freund aus Nashville, ein anderer Joey, spielte Bass auf ein paar Songs, beim MIx wurde uns geholfen. Das allererste Video haben wir alleine gedreht, das war so erfüllend, ich war wirklich stolz darauf. Für das zweite Video haben wir einen Freund dazu geholt, der die Kamera halten durfte.
Könnt ihr mir etwas über die „Chosen Family“ erzählen?
Roddy: Als wir unser erstes Video zu „Daddy“ drehten, erhielten wir viel Aufmerksamkeit von der Queer-Community. Viele Leute fühlten sich auf eine Art und Weise repräsentiert, wie sie es vorher noch nicht erlebt hatten. Wir passen definitiv nicht in die körperliche Norm der schwulen Performer und wir machen nicht unbedingt die Art von Musik, die mit der Schwulenszene assoziiert wird. Das öffnete uns die Türen, um zu erkennen, dass es da draussen durchaus eine Gemeinschaft von Leuten gibt. In den Zeiten von Covid, in denen wir alle eingeschlossen und voneinander getrennt sind, wollten wir dieser Community unsere Hand hinhalten. Zuerst war „Chosen Family“ nur ein Brieffreundschaftsprogramm mit der Absicht, die Leute von den sozialen Medien wegzubringen und sich gegenseitig Briefpost zu schreiben. Als unser Album herauskam, haben wir Fanzines verschickt, die „Chosen Family“ heissen. Wir hatten den Künstler*innen in der Community eine Art Blankoscheck ausgestellt, damit sie alles Mögliche kreieren konnten; Gedichte, Texte, Fotos, Gemälde. Die Fanzines sind eine Zusammenstellung der Kunst aus unserer Community.
Wir hoffen, ein vierteljährliches Magazin daraus zu machen. Wir haben ziemlich hohe Erwartungen, was die Zukunft betrifft. Wir hatten zum Beispiel am Muttertag einen sehr schönen Live-Chat auf Instagram. Viele verschiedene Leute haben sich an der Konversation beteiligt. Leute, die wie Joey und ich ihre Mütter verloren haben, oder wegen Covid getrennt sind. Wir möchten, dass solche Dinge Teile davon werden und um gemeinsam Sorgen verarbeiten zu können.
Habt ihr das Gefühl, dass sich die Musikszene in Richtung mehr Akzeptanz für queere Musiker*innen und LGBTQI-Künstler*innen verändert?
Joey: Ich denke, dass es immer mehr queere Künstler*innen gibt, die sichtbar sind. Roddy und ich haben unterschiedliche Meinungen, aber ich denke, dass jüngere Kids vermehrt in der Lage sind, Erfolg zu haben. Es gibt Pop-Künstler*innen wie Lil Nas X, Kehlani oder Frank Ocean, die erfolgreich sind und viele Drag-Performer*innen. „RuPaul’s Drag Race“ zum Beispiel ist mittlerweile unglaublich bekannt. Leider sind dies weiterhin oft Leute, die stereotypisch dünn, hübsch und poliert sind. Das soll nicht heissen, dass wir nicht auch gutaussehend sind, wir sind fucking gorgeous [lacht]. Aber es ist gleichwohl entmenschlichend, nur die durchtrainierten und glattrasierten Menschen in den Medien zu sehen. Zudem geht es fast nur ums Party machen, für Dinge wie queere Liebe und Zärtlichkeit fehlt es immer noch an Akzeptanz.
Roddy: Besonders in der Mainstream-Kultur, aber das ist eh nicht meine Baustelle. Im Underground von New York City gibt es haufenweise grossartige schwule Outlets, die nicht so sichtbar sind wie die, von denen Joey gesprochen hat. Es ist ein ganz anderes Szenario als früher, als ich ein schwuler Junge war, der Musik machte. Die Untergrundkultur und queere Musik sind wirklich gesund und lebendig, sie sind anders und haben einen anderen Look. Grenzen werden verschoben und ausgelotet. Aber diese Dinge sind nicht immer leicht zu finden, nicht einmal im Internet.
Ich komme eher aus der Punk- und Metal-Szene und habe den Eindruck, dass es immer noch wenig queere und schwule Musiker*innen gibt, die in harten Bands spielen.
Joey: Interessanterweise hatten wir dieses Thema bereits in Interviews. Es ist so, dass es so gut wie keine schwule Rock- oder Metalbands gibt, die Welt kennt das noch nicht. Wir kamen zum Schluss, dass es vielleicht daran liegt, dass schwule Menschen gar nicht diese Art von Instrumenten spielen? Es gibt eine Menge queerer Leute, die elektronische Musik machen, DJs und dergleichen, also ist die Frage vielleicht: spielen queere Menschen Gitarre, Bass und Schlagzeug?
Roddy: Man könnte einwerfen, dass Rockmusik nicht mehr so einen Stellenwert hat, wie vor 20 Jahren. Popmusik ist heute überall, egal ob von heterosexuellen oder queeren Menschen gemacht. Als ich ein Kind war, musste man, wenn man Musik machen wollte, in einer Band sein. Jetzt ist es viel einfacher, von zuhause aus Musik zu machen.
Joey: Ich erinnere mich, als ich in meiner ersten Band spielte schien es, als gäbe es so verdammt viele Bands. Ich meine, das war verrückt! Tausende von Metal- oder Pop-Punk-Bands! Ich höre heute gerne viel R’n’B, Hiphop und Rap, da ist es irgendwie dasselbe. Ich denke immer wieder, wie viele Rapper können überhaupt so klingen? Wir kommen an einen Punkt, an dem jede*r eine Art Sänger*in oder Rapper*in ist, es gibt einen riesigen Markt dafür und das langweilt mich ein bisschen.
Wie ist das Leben allgemein in den USA? Ändern sich die Dinge wieder zum Positiven, seit Joe Biden Präsident ist?
Roddy: Die Dinge ändern sich dramatisch. Seit gestern müssen wir draussen keine Masken mehr tragen, die Restaurants machen wieder auf und wir können endlich wieder in die Zukunft blicken, Anlässe sind wieder möglich, das ist aufregend. Wir sind vor kurzem nachts aus- und nach dem Abendessen in New York spazieren gegangen, man kann es richtig in der Luft spüren, wie plötzlich alle wieder voller Leben und Energie sind.
Gibt es noch etwas, das ihr hinzufügen möchtet, Botschaft an die Schweiz?
Joey: Switzerland, we love you!
Roddy: Wir können es nicht erwarten, bald in die Schweiz kommen zu können!
J: Gibt es irgendwo ein Schloss, das uns gerne beherbergen würde? Oder eine kleine Villa am Berg… Falls jemand möchte, dass wir zu euch nach Hause kommen und euch unterhalten, wir sind dabei! [lacht] Nein, Quatsch! Wir würden echt gerne in die Schweiz kommen und bei euch spielen.
Wundervoll! Ich denke, damit bleibt nur noch, euch viel Glück bei allem zu wünschen.
Beide: Vielen Dank für das nette Gespräch, es war wirklich cool, mit dir zu sprechen! Bye bye!