23. August 2018
Im Gespräch mit: Serge Olar (Schlagzeug), Urs Meyer (Gitarre und Piano) und Marcel Meyer (Gitarre und Piano) von Leech.
Es ist soweit, die legendäre Instrumental-Rock-Gruppe aus Zofingen, Leech, hat ihr neustes und fünftes Album fertiggestellt. Und mit „For Better Or For Worse“ gibt es nicht nur Musik, die sich im druckvollen Post-Rock bewegt, sondern auch einige klangliche Veränderungen. Bevor die Lieder von der Band nun aber live auf Tour getestet werden, sprachen wir noch einmal mit den Musikern und wollten ihre Meinung zu den anstehenden Auftritten und der neuen Musik hören.
„For Better Or For Worse“ erscheint am 15. September 2018, mehr über den Entstehungsprozess erfährt ihr in diesem Gespräch.
Michael: Das Album ist bereit für die Welt, die Konzerte sind gebucht. Fühlt ihr euch bereit für die Shows?
Urs: Ein klares Nein! Wir sind etwas knapp im Zeitplan, was allerdings daran liegt, dass wir in der Instrumentierung vieles umstellen. Neuerdings verwenden wir auf der Bühne auch In-Ear-Monitore, weil wir gewisse Songs mit Klick spielen. Aber wir werden bereit sein.
Serge: Definitiv. Gewisse Dinge klappen bereits wunderbar. Vor zwei Wochen spielten wir am Oltenair einen neuen Song, der hat gut funktioniert. Momentan muss noch viel Technisches entschieden werden – wer welche Stellen in den Liedern spielt, die Aufteilung.
Was hat euch denn zu der Entscheidung gebracht, mit In-Ear zu arbeiten?
Urs: Das neue Album und die elektronischen Anteile. Diese verlangen eine hohe Genauigkeit, die alten Songs spielen wir aber weiterhin nicht auf Klick.
Serge: Wobei wir die Umstellung auch bei den alten Liedern mit diesen technischen Errungenschaften ausprobieren. Früher spielten wir ohne diese Mittel, hatten aber viele Elemente in der Musik, welche auf Tempo abgestimmt waren. Mit den neuen Arrangements wurde dies nun noch ausgeprägter. Interessant ist nun, dass wir bei der Umstellung in den alten Songs gemerkt haben, dass gewisse Stellen so besser funktionieren, andere wiederum gar nicht.
Marcel: Für den Mischer wird es auch einfacher, und man spart beim Aufbau etwas Zeit. Die Einstellungen können ohne grossen Aufwand für das nächste Konzert übernommen werden.
Also war es kein Anknacksen des Stolzes, jetzt mit Klick zu arbeiten?
Urs: Nein, der Ursprung kam wirklich vom neuen Album her. Die neuen Songs ohne Klick zu spielen, wäre wirklich nicht einfach.
Serge: Obwohl es nicht nötig gewesen wäre, der Schlagzeuger der Band ist schliesslich so genau. (lachen)
Was ist denn immer mit dabei im Leech-Reisekoffer?
Marcel: Ganz klar die Zahnbürste und Zigaretten. Immer.
Urs: Der Computer und mein Handy. Da wir immer relativ lange zwischen den Konzerten unterwegs sind und selber fahren, kann man diese Zeit gut nutzen. Das letzte Album entstand ins Skizzenform mehr oder weniger unterwegs auf dem Computer – und dieses Mal werden wir die Zeit auch für neue Dinge nutzen. Und vielleicht dazu noch eine Visakarte.
Serge: Socken, Unterhosen, das was ich halt so brauche.
Die Plattentaufe findet am 15. September im Moods statt – habt ich euch für diesen Abend etwas Spezielles einfallen lassen?
Serge: Es wird definitiv ein Leech-Konzert, speziell ist vielleicht, dass wir die Taufe am Ende der Tour machen. In der Vergangenheit haben wir bei einem neuen Album die Plattentaufe immer als erstes Konzert gespielt, das meist nicht so gut war wie am Ende einer Tour. Es ist immer ein Unterschied zwischen den Ideen im Proberaum und der Wirkung auf der Bühne. Gewisses funktioniert nicht so wie gedacht und wird angepasst – was nur dann passiert, wenn man live spielt und Feedback der Besucher erhält. Darum gibt es die Taufe dieses Mal am Schluss, wenn wir das beste Konzert spielen können.
Marcel: Die Überraschung wird vielleicht sein, dass wir zu diesem Zeitpunkt dann keine Socken und Unterhosen mehr haben werden. (lachen)
Gab es in eurer Karriere denn Konzerte, die stark in Erinnerung blieben, ob gut oder schlecht?
Marcel: Der Auftritt am 25. Jubiläum des KIFF war auf jeden Fall grossartig, obwohl es superheiss war. Es war sehr magisch, für mich zumindest. Und auch Shanghai in China war es fantastisch.
Urs: Genau, die Konzerte in Shanghai und Peking waren auf jeden Fall Höhepunkte. Nicht nur für uns zum Spielen, sondern weil die Stimmung fantastisch war. Obwohl es auch da brutal heiss war. Der Auftritt an den Winterthurer Musikfestwochen war auch super, wir waren zwar sehr angespannt, aber es war wirklich toll.
Serge: Oder die Plattentaufe des zweiten Albums, damals im Stadtsaal in Zofingen. Sehr lokal, aber eigentlich massiv für unsere Musik und Band: Nach drei Jahren Bestand kamen etwa 1000 Leute. In meinem Empfinden heute war es zwar eher ein schlechter Auftritt, aber es ist auch 20 Jahre her.
Leech auf Tour, geht es da wild zu und her oder eher weniger?
Urs: Es ist auf jeden Fall ein falsches Denken, wenn man glaubt, es fände jeden Abend eine Party statt. Da wir selber fahren, geht das nicht und erfahrungsgemäss ist es auch besser, wenn man nicht gleich die ersten beiden Abende durchfeiert. Obwohl dieser Fehler immer wieder passiert (lacht). Interessanterweise sind aber während der Fahrten alle ziemlich ruhig und für sich im Bus.
Serge: Gerade am Anfang wird es jetzt anstrengend, die Fahrt nach Posen (Polen) ist über 1000 km lang, und das ist ja eigentlich kein Spass. Auch wenn man an vielen tollen Städten wie Nürnberg oder Leipzig vorbeikommt.
Marcel: Aber nach dem Konzert muss auf jeden Fall ein Schnaps drin liegen! Für gewisse.
„For Better Or For Worse“ – ein sehr pragmatischer Titel. Wie gross sind denn eure Erwartungen an die Resonanzen?
Urs: Das stammt eher aus zwei Elementen: Auf der einen Seite haben wir viele neue Dinge auf dem Album ausprobiert und schauen nun, ob es funktioniert. Aber der Titel ist auch anders lesbar, im Stil von „in guten wie in schlechten Zeiten“ – dass die Songs auch zu diesen unterschiedlichen Phasen passen. Eine Doppelbedeutung.
Ihr habt Songs verworfen, lange am Album gebastelt und euch Zeit gelassen. Würdet ihr trotzdem noch gerne etwas verändern?
Serge: Nein, momentan bin ich total Fan vom Album und möchte nichts mehr ändern. Es sind natürlich unterschiedliche Zustände, das Arbeiten mit der neuen Aufteilung, die neue Herangehensweise im Studio, was ich als sehr spannend empfand, und das Anhören
Urs: Ich bin auch sehr zufrieden, bei 95%, und denke, dass alles sehr gut auf den Punkt getroffen wurde. Bei den restlichen fünf Prozent denkt man immer, dass man noch etwas hätte anders machen können. Im Vergleich zu den anderen Alben empfinde dieses aber als am ausgereiftesten in der Studioleistung.
Marcel: Ändern oder noch mehr daran Arbeiten geht immer. Aber man will auch zu einem Schluss kommen, was passiert, wenn alle damit zufrieden sind.
Serge: Obwohl man wohl nie vollständig zufrieden ist. Bei einem Song dachten wir, jetzt ist er fertig, für mein Empfinden passte der Anfang aber überhaupt nicht. Wir hatten verschiedene Versionen, aber es wollte für mich nicht stimmen und ich wollte noch einmal daran arbeiten. Ähnlich ist es auch beim Spielen, da merkt man, ob etwas funktioniert.
Man hört und spürt, gerade in „Sure! Looks Real“, die neue Kraft der Synthies. Leech entdeckt den Rave?
Urs: Ob es Rave ist kann ich nicht sagen, aber dieses Element charakterisiert die neue Platte auf jeden Fall. Die Synthies sind im Vordergrund und werden nicht nur für Melodien, sondern auch für die Rhythmik angewandt. Trotzdem sind es alles weiterhin Leech-Songs, besonders „Sure! Looks Real“ erinnert mich stark vom Gefühl her an „Oscilator Train“ (vom Debüt „Instarmental“), bloss 2018. Das ist sehr spannend, und gerade live wirkt alles sehr wuchtig.
Serge: Natürlich war „Instarmental“ gitarrenlastig, vom Gefühl her ist es aber jetzt nicht anders, bloss moderner. Da war der Rave 1996 eigentlich grösser als heute.
Urs: Unser Rave wurde halt mit Hammond-Orgeln und Wurlitzer gespielt.
Lustigerweise klingt „Dirty Seconds“ leicht nach der Musik aus der Serie „Stranger Things“ und nicht nach den Neunzigern. Mögt ihr die Achtziger als Popkultur?
Urs: Für mich ist es eher eine moderne Variante von Pink Floyd, aber auch dieser Teil ist ohne grosses Überlegen entstanden. Ob dies nun nach Achtziger klingt oder nicht war nie zielgerichtet. Wir haben uns auch nicht von Trends beeinflussen lassen, und ich kenne „Stranger Things“ gar nicht.
Marcel: Bei diesem Song ist es schlussendlich doch auch so, dass er seinen Lauf genommen hat und alles so kam, wie es sollte.
Serge: Und die Melodie, die zusammen mit dem Sound schon sehr kitschig wirkt. Grosses Kino! Für die Achtziger bin ich eigentlich zu jung, kenne aber die Bands wie Bonnie Tyler oder Europe.
Marcel: Da gab es aber schon damals bessere Beispiele, wie Tears For Fears und ähnliches (lachen).
Nebst den neuen Elementen finden man sich aber dank eurem Xylophon gleich zurecht. Ist dies das klassische Leech-Merkmal?
Urs: Ja, klar. Es ist keine totale Neuerfindung von uns. Viel eher ist es das Resultat aus dem Songwriting und dem Studioprozess. Alles, was uns an Leech gefällt, ist weiterhin dabei – der Rest hat sich so ergeben. Trotz neuer Elementen wie Bonnie Tyler. (lacht)
Bei „Hell 8“ gibt es ein Stimmensample vor dem grossen Klanggewitter – wer meldet sich denn da zu Wort?
Urs: Das Gedicht stammt von Robert Frost (amerikanischer Dichter, 1963 verstorben) und es ist auch seine eigene Stimme. Wir haben seine Audiospur einer Vorlesung benutzt und wir mögen das Gedicht sehr.
Bei der Covergestaltung seid ihr dieses Mal auch anders, grafisch reduziert und vor allem typografisch unterwegs. Wie kam es dazu?
Urs: Eigentlich wollten wir mit jemandem zusammenarbeiten, doch das kam leider nie zustande. Darum haben wir es selber im letzten Moment gemacht, was gut war, da das Album bereits fertig anzuhören war. Für mich war es schnell klar, dass es relativ schlicht bleiben soll. Es wiederspiegelt auch dieses „auf den Punkt bringen“.
Serge: Es passt sehr zu der Musik.
Nicht nur das neue, sondern auch das erste Album «Instarmental» wird neu veröffentlicht. Was wurde hierfür alles gemacht?
Serge: Es wurde relativ viel Energie investiert, es war ein Prozess über Jahre. Im KIFF vor zwei Jahren spielten wir drei Songs von dem Album, da wir das Album 1997 auch dort getauft hatten. Dazu kam auch immer wieder von Leuten die Frage, wieso dieses Album nicht mehr erhältlich sei. Wir hatten damals halt nur 500 Stück pressen lassen, und die waren schnell weg. Wir kümmerten uns dann lange nicht mehr darum, bis jemand einwarf, das Album neu aufzulegen.
Marcel: Und im Gegensatz zum neuen Album haben wir die Neuaufnahmen dieser zusätzlichen Songs zusammen live eingespielt. Ein Take. Das ist der Unterschied.
Es gab auf Facebook von euch den Aufruf an eure Fans, Bilder ihrer „Instarmental“-Platten zu posten. Wurde das auch verwendet?
Marcel: Es war auf jeden Fall extrem spannend für mich zu sehen, wer überhaupt ein solches Album besitzt und wer welche Zeichnungen auf dem Cover hat (lacht).
Urs: Und es war auch als Teaser angedacht, dass eine Neuauflage kommen wird. Natürlich wurde das Layout etwas verändert und zum ersten Mal wurde das Album auch gemastert. Damals gingen die DAT-Bänder direkt in die Tschechei. Mit zwei Spuren!
Serge: Leider fehlen noch viele von diesen 500 Platten, dem Aufruf folgten nur ca. 50 Personen.
Jetzt in der neuen Situation eine bekannte Frage: Denkt ihr, diesen Elan noch lange weiterziehen zu können?
Urs: Die nächsten zwei Jahre muss man nicht überlegen, mit Tour und allem, wir sind sehr motiviert. Davon kann man leben und es wird auch in Zukunft weitergehen. Und dank der neuen Erfahrung, dass man nicht mehr als komplette Band präsent sein muss, haben sich auch neue Möglichkeiten eröffnet.
Marcel: Wir sind auch sehr motiviert, die bevorstehenden Konzerte zu spielen. Jetzt kommt der spassige Teil.
Marcel: Und nun möchte ich zur obligaten Gegenfrage wissen, wie dir das neue Album denn gefällt.
Das definitive Feedback gibt es dann in meiner Rezension, aber ich war bei den ersten Hördurchgängen auf jeden Fall sehr positiv überrascht. Ich mag diese neue elektronische Seite, fand es aber angenehm, dass es keine komplette Abkehr ist. Nun freue ich mich sehr darauf, dieses Album auf Vinyl geniessen zu können.
Vielen Dank für eure Zeit und Musik.
Interview: Michael Bohli