Samstag, 24. September 2022
Cläre Caspar (Gesang, Schlagzeug) und Ralf Küster (Bass, Gitarre)
kraelfe.craut.net / Instagram / YouTube / Tidal
Gespräch: David Spring
Vor etwas mehr als einem Jahr veröffentlichte das Noise-Rock-Duo Krälfe ihr wundervolles drittes Album „Gravity Sucks„. Da touren noch nicht möglich war, folgten dafür mehrere Singleauskopplungen, zuletzt der Weltuntergangs-Song „The End Of Our Time„, welcher vor kurzem bei uns mit dem handgemachten Video präsentiert wurde. Nun standen uns Cläre Caspar und Ralf Küster Rede und Antwort, um über ihre Musik, die fortschreitende Digitalisierung und das Leben nach Corona zu plaudern.
David: Schön, habt ihr euch für uns Zeit genommen.
Cläre Caspar: Hallo! Ich bin Cläre Caspar, ich bin Modedesignerin und Musikerin, und ich singe und spiele Schlagzeug bei Krälfe.
Ralf Küster: Ich bin Ralf Küster, ich mach Gitarre und Bass, ich habe Film studiert und mich im Moment auf Filmschnitt spezialisiert.
Wie fiel die Entscheidung, „The End Of Our Times“ als Single auszukoppeln?
Ralf: Der Song hat ein sehr langes Gitarrenintro, da haben die Leute vielleicht nicht die Ruhe, das in dieser Länge zu hören. Deswegen entstand die Idee, das Ende zu separieren, es wird ein schöner Popsong. Wobei ich das Gitarrenintro sehr mag.
Cläre: Für mich ist der lange Gitarrenteil wie ein tiefer Tauchgang. Man kommt kurz nochmals nach oben, bevor man endgültig untergeht. Natürlich braucht man dafür etwas Musse und Ruhe, aber wir wissen ja, in welcher Zeit wir leben. Wir wollten den Zugang zum Lied erleichtern und zum Ende des Sommers einen kurzen, knackigen Song raushauen, als schönen Abschiedsgruss an die Jahreszeit.
Was bedeutet der Song für euch persönlich?
Cläre: Wie eigentlich alle Songs auf „Gravity Sucks“ ist das grosse Oberthema die Transformation, welche die Subkultur im Zuge der Digitalisierung durchgemacht hat. Dieser Verlust von Heimlichkeit, der eine Art von Tod der Subkultur mitbringt. Die Kommunikation mit der Peer-Group hat sich durch die Digitalisierung komplett verändert und ist ein Stück weit gestorben. Das betrachten wir sehr schmerzlich.
Ralf: Es geht auch um unser Lieblingsthema: die Endzeit. Das ist aktuell sehr populär.
Cläre: Man muss dazu sagen: Ralf ist Dystopist der ersten Stunde! Als er mit dem Begriff „Dystopie“ um sich gehauen hat, wusste noch kein Mensch, was das bedeutet. Er hat dann immer gross ausgeholt und demnach auch ein sehr fundiertes Wissen, zum Beispiel zu Zombiefilmen.
Das ist das Konzept des Albums?
Cläre: Wir bezeichnen uns selbst ein Bisschen als die letzte analoge Generation der Menschheit. Wir sind die letzten, die noch mit analoger Sprache aufgewachsen sind. Da wir nun mitten in dieser Verwandlung stecken, ist es ein riesengrosses Thema für uns. Wenn man in 50 – 60 Jahren zurückblicken wird, wird man kaum glauben können, was dieser krasse technologische Entwicklungsschritt in unserem Leben ausgelöst hat. Alles hat sich durch die Digitalisierung und die sozialen Medien verändert, von alternativen Lebensformen bis hin zu Themen wie kritischem Handeln. Das rasante Wachstum von künstlichen Intelligenzen, die freiwillige Selbstausleuchtung und all diese Problematiken war uns ein Album wert.
Ihr seid keine Freunde der Digitalisierung? Ausser auf Instagram findet man euch kaum im Netz.
Ralf: Nee, das macht uns keinen Spass. Ich bin froh, dass wir analog auf Bandmaschine aufnehmen und mit richtigen Gitarren arbeiten konnten, mit alten Röhrenverstärkern. Wir mussten weder beim Aufnehmen noch beim Komponieren in einen Rechner reinarbeiten. Es saugt mich aus, digital zu arbeiten.
Cläre: Es ist, wie du sagst, klar eine Form der Verweigerung. Aber man kann sich nicht komplett aus der technologischen Entwicklung rausnehmen, sonst isoliert man sich völlig. Das ist ein Dilemma, das in den Songs zum Ausdruck kommt. Wir sind uns bewusst, dass wir unsere Reichweite ohne Social-Media-Kanäle minimieren. Social Media frisst aber so viel Zeit, die dann zum Musikmachen fehlt.
Wir haben ausserhalb der Musik Tätigkeiten, mit denen wir unser Geld verdienen. Darum herum versuchen wir, das Proben und Üben zu gestalten, Zeit für das Internet bleibt wenig. Auf Instagram muss mit Häppchen arbeiten, um die Menschen bei Stange zu halten. Da reichen kleine Songschnippsel, aber diese tatsächlich aufzuarbeiten, zu formatieren, hochzuladen und zu posten braucht mehr Zeit, als die Musik – das tut nicht gut. Eine aktive, sinnvolle Social-Media-Präsenz und gewissenhaftes, gutes Komponieren, das schliesst sich gegenseitig aus. Ausser man hat einen riesigen Marketingapparat hinter der Band.
Hat sich diese Einstellung während den Corona-Jahren etwas geändert?
Cläre: Nicht wirklich, das lag aber auch an unserer Planung. Wir hatten einen Fünfjahresplan für das Album, da wir sehr lange an den Stücken gearbeitet hatten. Ganz zufällig war das erste Corona-Jahr in unserem Plan für das Studio vorgesehen. Danach war klar, dass wir die Stücke kurz ruhen lassen wollten, um jemanden zu finden, der den Mix und das Mastering macht. Somit war klar, dass die Platte erst im darauffolgenden Jahr erscheinen sollte. Und das war dann das zweite Corona-Jahr.
Ralf: Unser Fünfjahresplan ging voll auf!
Wie entstehen die Songs bei euch?
Ralf: Ein grosser Teil entsteht zu Hause am Bass oder an der Gitarre. Das gibt den Songs quasi die Struktur und den Klang vor. Dann treffen wir uns im Proberaum, um das Schlagzeug auszuarbeiten und zu arrangieren. Danach wird am Gesang geschraubt.
Cläre: Ich singe zuerst nur lautmalerisch ohne Text, um eine Stimmung oder ein Gefühl für den Song zu bekommen. Ich schaue, wo muss welcher Vokal hin, wo muss es laut werden, etc. Für die Texte sind Auseinandersetzungen mit unserer Umwelt eine grosse Inspiration. Es ist ein gesellschafts- und kapitalismuskritischer Blick.
Ralf: Musikalisch fängt das bei „Amok Koma“ von Abwärts an und geht über die Fehlfarben, Shellac, Sonic Youth bis hin zu alten Sachen wie Neil Young oder Jimi Hendrix, aber auch neuere Bands wie Frustration aus Frankreich.
Cläre: Wir haben sicher grosse Schnittmengen, Shellac oder Frustration finden wir beide super. Bei mir ist dann auch noch viel 70s-Punk und Synthie-Pop wie X-Ray Spex, Siouxsie And The Banshees oder die B52s.
Wo habt ihr das Album aufgenommen?
Cläre: Wir waren im herrlichen, riesigen Studio Nord in Bremen. Bands, die zu faul sind, um nach Bremen zu fahren, sind selbst schuld. Die haben da wundervolles, 50 Jahre altes, analoges Equipment und eine Bandwohnung. Und den besten Tontechniker auf Erden, Gregor Hennig, eine absolute Koryphäe. Wir haben bisher nur analog aufgenommen, die erste Platte entstand zum Beispiel mit Mischkah Wilke im ehemaligen Funkhaus in Berlin. Bei „Gravity Sucks“ haben wir den Mix digital gemacht, diese Mischung können wir nur weiterempfehlen.
Spielt ihr die Musik live als Band ein?
Cläre: Wir nehmen immer Schlagzeug und Bass gleichzeitig auf. Dann spielt Ralf die Gitarre und ich mach zum Schluss den Gesang. Beim Gesang gibt’s zwei, drei, vier Spuren. Auch mit der Gitarre gibt es mehrere Spuren, wie zum Beispiel bei „Portal“.
Wie funktioniert dies auf der Bühne?
Cläre: Ja, das funktioniert jetzt nur noch zusammen mit Flo und Andreas.
Ralf: Wir haben Flo und Andreas dazu geholt, die Bass und Schlagzeug spielen. Das war ein ziemlicher Umbruch für uns, allein die Kommunikation. Zuvor konnten wir alles in einen Kombi reinpacken, jetzt haben wir doppelt so viel Equipment. Dafür haben wir live neue Möglichkeiten, das macht Spass.
Wie waren die ersten Konzerte dieses Jahr so?
Cläre: Wir waren heilfroh, dass wir gleich diese erste Konzertwelle nach der Pandemie mitnehmen und gut 30 Konzerte spielen konnten. Wir haben einige Einzelgigs gespielt und zwei kleine Touren. Das war sehr schön, sowohl in etablierten Läden wie dem Hafenklang in Hamburg oder der Chemiefabrik in Dresden, aber auch auf kleinen Festivals oder auf von der Subkultur organisierten Shows. Auf letzteren gaben sich Leute viel Mühe, mit Siebdruck gemachten Plakaten, fettem Essen und dem ganzen Freundeskreis vor Ort.
Gab es während der Corona-Zeit Unterstützung durch den Staat?
Ralf: Wir haben ein GVL-Stipendium (Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten, ähnlich der GEMA oder SUISA) erhalten.
Cläre: Zusätzlich eines von Kultur Neustadt. Darüber waren wir sehr froh.
Denkt ihr, die Konzertsituation wird sich erholen?
Ralf: Ich glaube nicht. Es gibt in Deutschland schlicht keine Infrastruktur, um Bands aufzubauen und für internationales Touren zu stärken. England oder die USA zum Beispiel haben Pop-Geschichte. Da lohnen sich die Investitionen.
Cläre: Wir haben halt keine Kulturexportindustrie. Das ist ein ziemliches Desaster, als Deutsche Band kann man nichts werden, ausser man singt auf Deutsch oder macht Hip-Hop, Schlager oder Kindermusik.
Steht der Fünfjahresplan für das nächste Album schon?
Ralf: Wir sind bereits im zweiten Jahr dieses Planes. Wir haben neue Stücke, bei denen Gitarre und Bass ausgearbeitet sind. Mal sehen, wie sich das entwickelt, ob das Werk nächstes Jahr erscheint oder ob es ein langes Doppelalbum wie „Gravity Sucks“ wird.
Vielen Dank für das Gespräch und die Musik.
Bild: szim (zVg)