30. März 2018
Im Gespräch mit: John Mitchell, Frontmann von Kino
Unglaublich, aber wahr: 13 Jahre nach dem ersten Album „Picture“ sind Kino wieder auf der Leinwand zurück. Das Projekt um Sänger und Gitarrist John Mitchell weist mit „Radio Voltaire“ nicht nur eine neue Platte vor, sondern auch einen modernen Entwurf, wie Progressive Rock in diesem Jahrhundert klingen kann. Die perfekte Gelegenheit also, mit dem Musiker ein paar Worte zu wechseln.
Michael: Willkommen zurück in der Welt! Kino steht nach 13 Jahren wieder auf, benötigte dazu aber den Anstoss durch das Label. Wäre es ohne dies nie passiert?
John: Vielleicht wäre es passiert, vielleicht auch nicht. Um ehrlich zu sein, wir haben nie ernsthaft über ein neues Album von Kino nachgedacht. Pete (Trewavas, Bass) ist mit Marillion sehr beschäftigt und ich wollte – zumindest zu der Zeit – in einer musikalischen Unternehmung involviert sein, die auch richtig touren kann. Das war beim ersten Album nie der Fall.
Denkst Du denn, dass Kino auch nach weiteren 13 Jahren noch hier sein werden, vielleicht mit einem dritten Album?
Ja, das kann sicher von Zeit zu Zeit wieder aufgegriffen werden. Allerdings nie als Vollzeitbeschäftigung.
Werden wir denn jemals in der Lage sein, euch in Europa oder gar der Schweiz live zu erleben? Das wäre grossartig.
Ich denke, das ist sehr unwahrscheinlich, es ist einfach nicht praktisch. Und um ehrlich zu sein: Mir gefällt es nicht mehr so gut, Konzerte zu spielen. Das ist eine Angelegenheit für junge Männer.
Ihr seid schliesslich auch alle in mehreren Bands tätig. Wie koordiniert man das Leben und die Agenda für ein solches Projekt?
Naja, das ist sehr aufwändig und kompliziert – und darum hat es wohl auch 13 Jahre gedauert.
Es ist momentan eine Zeit, in der viele alte Bands wieder zurückkehren. Leben wir zu stark in der Vergangenheit?
Ja, das tun wir allerdings und haben die Tendenz, die Vergangenheit mit einer rosaroten Brille zu betrachten. Zum Beispiel sehen heute viele Leute das erste Album von Kino als eine wichtige Sache, für mich hingegen ist es im Nachhinein eine Platte, die nicht sonderlich toll ist. So sind die Songtexte zum Beispiel wirklich schrecklich.
Wie macht man sich denn mit Musik unsterblich, wie erreicht man die Hoffnung, das Musik noch lange gut bleibt und gehört wird – wie ihr es im Lied „The Dead Club“ angesprochen habt?
Bei der Musik denke ich nicht in solchen Begriffen. Für mich ist Musik Unterhaltung und nicht mehr. So sehe ich sie auch nicht unbedingt als eine „Kunstform“. Sicherlich gibt es heutzutage viel zu viele Künstler, welche Musik machen und man kommt viel zu einfach an alles heran. So kam es zur ultimativen Verwässerung und jeder Sinn von „speziell“ ging verloren. Unser Lied handelt aber auch davon, dass viele Leute heute nur noch dem Ruhm hinterherjagen und somit alle Kreativität vergessen.
Musik ist jederzeit und überall erhältlich. Finden wir überhaupt noch genügend Zeit, um uns mit einem Album zu verbinden? Gerade Prog ist ja eher eine anspruchsvolle Stilrichtung.
Nein, finden wir nicht. Alles ist bei Weitem zu austauschbar geworden und die Leute müssen ihre Verhaltensweisen unbedingt ändern. Musik sollte nicht wie Tausende von langweiligen Tapetenlagen behandelt werden.
Wobei ja auch Progressive Rock nur eine weitere Genrebezeichnung geworden ist. Wie hält man sich auf Trab und sucht neue Möglichkeiten und eigene Varianten im Prog?
Wie gesagt, mich interessieren Kategorien überhaupt nicht. Musik in solche einzuteilen dient nur dazu, damit sich die Menschen mit Elementen wohl fühlen, die sie nicht verstehen. Ich mag die Bezeichnung Prog nicht, weil es im eigentlichen bedeutet, dass wir zurückschauen. Und ich fühle mich auch nicht wohl, in denselben Topf geworfen zu werden wie viele andere Bands, die ich höre. Das alles soll dasselbe Genre sein?
Euer Album beinhaltet auch mehr direkten Rock und Pop als man erwarten würde – keine Instrumentaltracks, kurze Kompositionen. Was ist denn das beste am Pop?
Er ist kommunikativ, die Aussagen von Pop sind viel prägnanter und effizienter, als es viele Leute wahrhaben wollen. Und die Erwartung, dass man im Prog lange Lieder schreiben soll, nur weil es sich so gehört, ist ja auch eine wirklich dumme Ideologie.
Die Verwendung eines einzelnen Tons ist oft emotional wirkungsvoller als die technische Perfektion. Und „Radio Voltaire“ lebt von diesem Credo.
Genau, das ist ein Mantra und ein Bekenntnis, nach dem ich lebe. David Gilmour (Gitarrist, Pink Floyd) sagt viel mehr mit 16 Takten aus als John Petrucci (Gitarrist, Dream Theater) es jemals in der gleichen Zeit tun könnte.
Hat es denn lange gedauert um „Radio Voltaire“ aufzunehmen?
Nein, wir haben für alles nur drei Monate benötigt.
Denkt ihr, dass eure Musik visuell ist, ihr heiss schliesslich Kino – und spielen Filme für euch eine grosse Rolle?
Ich hoffe es doch, dass die visuelle Wirkung vorhanden ist – dies versuchen wir zu erreichen. Und Filme sind wichtig, da darin alle Geheimnisse des Lebens zu finden sind.
Wie schon angesprochen ändern Möglichkeiten wie Streaming unser Verhalten. Wir schlingen ganze Serien in einer Nacht herunter und Musik „gehört“ Spotify. Wird dies noch extremer werden oder wenden wir uns wieder dem Analogen zu?
Alles im Leben ist kreisförmig. Wenn mir jemand gesagt hätte, dass Vinyl heute wieder so beliebt wie vor 20 Jahren sein wird, dann hätte ich es ihm nie geglaubt. Dinge müssen implodieren, bevor sie wieder explodieren können.
Und zum Schluss: Welches Kino ist denn das schönste?
Ich kenne nicht so viele Kinos, aber die Sentimentalität führt mich zum Regal Cinema in Henley-On-Thames. Dort habe ich zum ersten Mal Star Wars gesehen, in diesem alten Kino. Eines der letzten seiner Generation, lange vor den Multiplex-Sälen. Das lebt in meinen Erinnerungen weiter.
Danke für Deine Zeit und Musik.
Danke fürs Zuhören.
Interview: Michael Bohli