14. November 2019
Im Gespräch mit: Christian Pietschmann von Kapitän Platte.
In der heutigen Zeit ein kleines und unabhängiges Vinyllabel zu gründen, das ist zwar verrückt, aber auch nötig. Denn nur so kann man sich gegen die grossen Spieler auf dem Markt behaupten und kleine Bands unterstützen. Das Trio Tanja Schrammen, Karl Geweke und Christian Pietschmann aus Bielefeld in Deutschland hatte vor zehn Jahren genau diese Idee und schippert seither als Kapitän Platte durch die sieben Weltmeere der Schallplatten. Mit dem Fokus auf Post-Rock, Experimental Rock und schrägem Indie wurden die Veröffentlichungen schnell zu Liebhaberstücken – natürlich auch dank der wundervollen Verarbeitung. Siebdruckcover, farbige Auflagen, beiliegende Extras – das Sammlerherz wird haptisch und klanglich beglückt.
Mit Kutter 001 erschien am 1. April 2010 „Mourning Golden Mourning“ von EF, am 4. Oktober dieses Jahres durften Action & Tension & Space mit „Explosive Meditations“ bereits die Nummer 51 im Katalog für sich beanspruchen. Eine mehr als beachtliche Leistung, besonders, da die Labelarbeit bei Kapitän Platte eigentlich als Hobby zu sehen ist. Grund genug, ein paar Fragen zum Thema zu stellen.
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Michael: Gratulation, vor zehn Jahren habt ihr euer Label gegründet! Fühlt man sich da bereits erwachsen oder immer noch launisch wie ein Teenager?
Pietsch: Ach, als wir vor 10 Jahren angefangen haben, waren wir ja auch schon Ende 30 und das Ganze ist aus einer Bierlaune heraus entstanden. Mit Erwachsensein hatte das nichts zu tun und das hat sich auch nicht wirklich geändert, nur körperlich ein bisschen. Aber im Geiste sind wir jung geblieben.
Und gleich doppelt toll: Letzten Samstag ging das sechste Kapitän-Platte-Fest mit The Hirsch Effekt, Oui Mais Non und mehr über die Bühne. Wie war es?
Schön war es. Ein runder Abend mit vier tollen Bands, die viele Leute für sich neu entdecken konnten, wie wir oft vernommen haben.
Kapitän Platte ist ein Trio aus mehr als nur Freundschaften – ist die Zusammenarbeit ruhig oder gehört die stürmische See dazu?
Dadurch, dass Karl und ich uns seit über dreissig Jahren kennen und Tanne und ich schon 16 Jahre verheiratet sind, kennen wir uns und unsere Macken ziemlich gut, so, dass die Zusammenarbeit im Grunde ruhig verläuft. Zumal, von der Bandauswahl abgesehen, jeder von uns einen eigenen Arbeitsbereich abdeckt und sich die Arbeit damit ganz gut verteilt.
In den letzten Jahren hat sich die Vinyl-Kultur verändert und ist wieder populär geworden. Hat sich dies in euren Tätigkeiten bemerkbar gemacht?
Es macht sich vor allem in der Vorlaufzeit, die wir für eine Produktion ansetzen müssen, bemerkbar. Als wir 2010 das Album „Mourning Golden Morning“ von EF herausgebracht haben, hat dies vom Einsenden des Masters bis hin zur fertigen Platte keine zwei Monate benötigt, inklusive Testpressung. Heute können wir froh sein, wenn wir in der Zeit die Testpressung in den Händen halten.
Und wenn du siehst, was besonders die Majorlabels alles auf den Markt werfen und damit die Presswerke blockieren, ärgerst du dich schon ein bisschen. Da werden Platten wiederveröffentlicht, die du in jedem Second-Hand-Laden nachgeworfen bekommst, und wir kleinen Labels stehen dadurch weit unten auf den Wartelisten.
Eure Kutter, wie die einzelnen Platten genannt werden, sind immer sehr liebevoll verarbeitet. Wer entscheidet eigentlich, welches Extra beiliegt?
Das wächst meist auf meinem Mist, da ich derjenige von uns bin, der zum einen nichts wegschmeissen kann und zum anderen ständig auf Flohmärkten und in Second-Hand-Läden am rumgucken ist.
Seid ihr audiophile Menschen, oder spielt es für euch keine Rolle, ob die Pressung nun bunt, eine Picture Disc oder kristallklar produziert ist?
Wichtig ist, dass es gut klingt, da ist die Vinylfarbe erst mal egal. Allerdings sind wir Freunde des schwarzen Vinyls, und nur, wenn eine Band es unbedingt wünscht, machen wir durchgehend farbige Pressungen. Ansonsten werden die ersten Hundert Scheiben anders herausgebracht, als Dank an die Leute, die sich schon vorab eine Platte kaufen und uns damit bei der Finanzierung helfen. Die Platten sind nie teurer als die reguläre Version.
Auf eurem Label erscheinen meist kleine, noch unbekannte Bands. Wie wählt ihr diese aus?
Im Grunde spiegeln die Bands auf unserem Label den Musikgeschmack wider, den wir drei uns teilen. Wir haben zwar alle drei unterschiedliche Lieblingsbands, aber die Schnittmenge in den Vorlieben ist doch sehr hoch, sodass wir uns meist auch sehr schnell einig werden, wenn sich eine Band bezüglich einer Veröffentlichung an uns wendet.
Wie lange dauert es etwa von den ersten Gesprächen bis das Wunschprodukt im Handel steht?
Wir haben uns gestern mit einer Band getroffen, deren Release planen wir jetzt für April. Das ist auch mittlerweile die übliche Vorlaufzeit bei uns, um die fünf Monate.
Was fehlt noch in eurem Katalog, welche Band oder welche Alben würdet ihr gerne veröffentlichen?
Wir haben uns einmal mit einer von mir sehr verehrten Band aus den Neunzigern auf einem Konzert unterhalten und ihnen unsere Cover-Single-Reihe vorgestellt. Daraufhin haben wir ein paar Tage später eine Mail vom Management bekommen. Das mit den Coverversionen haben sie zwar abgelehnt, aber angeboten, dass wir eine Single mit zwei Songs vom letzten Album rausbringen könnten. Das haben wir dann abgelehnt. Eine Platte zu veröffentlichen mit Material, das schon existiert, nur damit wir sagen können, wir haben die Band rausgebracht, war uns dann doch zu blöd.
Ihr seid Fans von Kassetten. Wird der Kapitän jemals auf dieser alten und doch wieder aktuellen Welle mitreiten?
Nein, ich habe zwar noch ein Tape-Deck im Auto, aber so weit geht die Liebe zum Analogen dann doch nicht.
The Raque Ledz, euer musikalisches Alter Ego, hat sich zu Weihnachten einmal Merzbow angenommen. Darf man sich auf zukünftiges, ironisches Material freuen?
Wie der Kaiser schon sagte, „schauen mer mal“. Es muss sich spontan ergeben.
Bielefeld existiert, das ist klar. Aber was auf der Welt sollte es nicht mehr geben?
Hass, Intoleranz, Ausgrenzung, halt der ganze Scheiss, der zurzeit leider wieder im Kommen ist.
Kommen wir zum Fussball: DSC Arminia Bielefeld – welches Lied würde zu dem Verein als Hymne passen?
Wir haben schon eine sehr schöne Hymne mit der fantastischen Zeile: „Und samstags dann im Stadion, da machen wir Furore – Arminia, wie schön sind deine Tore!“
Ahab, Rackete oder Platte – wer ist der grösste Kapitän der Geschichte?
Bleiben wir bei Arminia Bielefeld, zurzeit Fabian Klos.
Vielen Dank für eure Zeit und Platten.
Interview: Michael Bohli