Datum: 22. November 2015
Im Gespräch mit: Chris Corner von IAMX
Letzten Sonntagnachmittag war die Welt grau, kalt und der erste Schnee fiel auf die Häuser. Ein Umstand, bei dem man sich lieber in der Wohnung verkriecht. Trotzdem fanden wir Energie um mit Chris Corner von IAMX über sein Leben mit Musik, die aktuelle Welt und seine Zukunft zu sprechen.
Das neuste Album von IAMX namens „Metanoia“ wurde an dieser Stelle besprochen.
Michael Bohli: Ich würde gerne über Erstkontakte und Begegnungen sprechen. Meine erste Konfrontation mit IAMX war am Heitere Open Air in Zofingen, 2009. Ich wusste zuvor nichts über die Band und kannte dich als Künstler nicht, doch das Konzert hat mich total umgehauen. Man findet übrigens einen Mitschnitt auf Youtube. Wie gehst du an Konzerte heran? Versuchst du bei jedem Auftritt neue Fans zu gewinnen und die Leute zu überzeugen, oder spielst du eher für die Menschen, die dich schon kennen?
Chris Corner: Das ist eine interessante Frage. Es kommt darauf an. IAMX hat eine dichte und liebevolle Gruppe von Fans, welche die Konzerte meist sehr gut aufnehmen und wir erhalten viel herzliche Interaktion. Das ist sehr zufrieden stellend aus meiner Perspektive. An einem Festival ist es aber eine grössere Herausforderung zu spielen, da IAMX eher ein spezielles Nischenprojekt ist. Viele Besucher eines Festivals kennen die Band nicht, und verfügen vielleicht nicht über die Offenheit für solche Musik. Das kann verwirrend sein, doch ich kümmere mich ehrlich gesagt nicht um dies, sondern tu was ich möchte. Ich ändere Dinge nicht mehr, nur um den Menschen zu gefallen. Es ist mehr der „nimm es oder lass es“ Ansatz. Das kann hart sein, ist aber auch erfrischend. Für mich als Künstler ist es ein Eingeständnis, dass ich mich selber und meine Kunst akzeptiere. Man kommt einfach auf die Bühne und spielt die Show.
Womit man natürlich auch viel ehrlicher bleibt.
Genau! Leuten denen IAMX zuvor gefallen hat, die werden auch ein nächstes Konzert mögen. Und Zuschauer die meine Band noch nie gemocht haben, die werden auch nach einem Festivalauftritt keine Fans werden.
Welches war denn dein Erstkontakt mit Musik?
Dies war durch meinen Onkel. Er war ein obsessiver Fan der New Romantic/New Wave Gruppe Namens Japan aus den Achtzigern. Durch diese wurde er Fan von David Sylvian, ein Künstler der nach Japan als Solokünstler ziemlich merkwürdige und zeitgemässe verrückte Musik produzierte. Meine erste direkte Auseinandersetzung mit Musik war also ungewöhnlich, aber ich liebte es über alles. Bis heute bin ich sehr beeindruckt von David Sylvian – er ist der einzige Musiker von dem ich sagen würde, er ist mein Idol.
Meine Mutter hörte eher kommerzielle, melodische Musik aus den 50ern. Das war sehr atmosphärisch und romantisch. Diese zwei Seiten haben mich echt geprägt und zu der Person geformt, die ich heute bin.
War dies auch der Moment an dem du gesagt hast, ich will Musiker werden? Oder kam dies später?
Diese Erkenntnis kam später. Eigentlich wollte ich Wissenschaftler werden und studiere Astrophysik am College und an der Universität. Musik war eher etwas, das ich nebenbei machte. Ich mochte schon immer die technische Seite der Musikerschaffung, die Emotion kam allerdings erst beim zweiten Album mit meiner Band Sneaker Pimps dazu. Das Debüt war eher der Punkt, an dem ich das Musikmachen erlernte, mich in der Industrie zurechtfinden musste und natürlich das Erwachsenwerden verarbeitete. Ein Künstler wurde ich erst mit dem zweiten Werk, als ich realisierte, dass Musik eine natürliche Ausdrucksweise für mich darstellt. Mit dieser Kombination aus Technik und Gefühl wurde der Grundstein für IAMX gelegt.
Was macht denn eine musikalische Reise aus? Beeinflussen dich nur diese zwei Aspekte oder nimmst du Inspiration aus dem gesamten Leben?
Mein Gehirn arbeitet auf eine sehr schnelle Weise: Wenn ich neue Musik höre, ist dies für mich sehr schnell abgehakt. Ich bin kein Liebhaber von Bands mehr, nicht so wie früher. Ebenso liebe ich viele Dinge wie Film, Technologie, Kunst oder Architektur. All diese Einflüsse verbinden sich zu einem Lebensstil und einer Einstellung, aus welcher dann IAMX geboren wurde. Mein Lebensstil soll mir ermöglichen, meine verschiedenen Teile meiner Persönlichkeit auszuleben und mich mit allem auszudrücken.
Dies nimmt man als Hörer von IAMX wahr. Du benutzt deutsche Texte – gerade weil du auch sieben Jahre in Berlin gelebt hast – oder lässt Walzertakte in Lieder einfliessen. Gab es schon einmal einen Punkt an dem du gedacht hast: Das ist zu viel, hier bin ich zu weit gegangen! Oder klappt alles meist beim ersten Versuch, der ersten Begegnung?
Ich musste lernen zu akzeptieren, dass ich meine Art Musik zu erschaffen gefunden habe. Früher experimentierte ich sehr stark mit Produktionsweisen, doch für das Projekt IAMX habe ich nun den besten Weg gefunden. Ich habe mir selber versprochen, mit der neusten Platte „Metanoia“ ein stressfreieres Leben zu führen. Und ein wichtiger Teil um dies zu erreichen ist das Eingeständnis, dass ich Dinge auf die momentane Weise erledige. Auch wenn dies bedeutet, dass ich nicht immer mit dem Ergebnis zufrieden sein kann. Es geht darum, die Essenz zu akzeptieren und sich zuzugestehen „es ist wie es ist, und es wird so bleiben“. In diesen Grenzen kann man dann arbeiten. Es war sehr erfrischend dies zu realisieren, auch weil ich gerne ausserhalb von IAMX neue Sache erschaffen will. Dies wird der nächste Schritt sein.
War dies auch eine Auswirkung deines Umzugs nach L.A. und dem Umstand, das neue Album via Crowdfunding zu produzieren? Wie war dies?
Es war extrem wundervoll und belohnend, nicht nur finanziell sondern auch kreativ. Es gibt keine Grenzen für das, was du tust. Die Leute unterstützen dich auf jeden Fall, ohne zuvor auch nur einen Ton Musik gehört zu haben. Das ist extrem speziell, auch weil man nicht in den Ketten der Musikindustrie gefangen ist. Die Leute können sich stärker einbringen. Beim ersten Versuch machten wir einen Fehler und boten zu viele Belohnungen an. Ich musste während Monaten versuchen, diesen Verpflichtungen nachzukommen. Also haben wir es bei „Metanoia“ etwas vereinfacht.
Ist es also auch eine Möglichkeit, näher an die Leute zu gelangen, mit mehr Interaktion?
Auf jeden Fall. Meine Fans sind sehr intelligente und bewusste Menschen. Natürlich möchte jeder die Musik sofort vom Internet herunterladen können. Das ist mir auch bewusst, denn es ist praktisch. Mit Crowdfunding erhält man nun eine tolle Möglichkeit den Leuten die Musik anzubieten, und sie gleich in der Herstellung einzubinden. Es ist ein super Weg für die Fans um uns ihre Liebe und Unterstützung zu zeigen.
Das Internet hilft also in schwierigen Situationen und ist ein gutes Mittel um eigene Gedanken und Kreationen zu teilen?
Ich denke nicht, dass man dies schwarz oder weiss sehen kann. Es ist eher wie der Wilde Westen, man hat unendlich viele Möglichkeiten um eine eigene Musikindustrie aufzubauen. Natürlich kann man auch viel Zeit frustriert vor dem Bildschirm verbringen, gerade wegen diesen Optionen. Was auch ein Problem mit der modernen Welt ist, der Exzess von Auswahl. Wer ein praktischer Mensch ist, der kann das Internet auf gute Weise nutzen. Was immer noch sehr schwierig ist, gerade weil Musik finanziell nicht mehr gleich stark unterstütz wird wie früher. Vielleicht ist dies auch besser, allerdings lehne ich mich hier etwas zu weit aus dem Fenster. Ich weiss, ich muss adaptiv sein und war dies auch schon immer. Das Internet hat IAMX wirklich viel geholfen und gerade für Indie-Projekte kann es sehr nützlich sein.
Und wie siehst du es bei der Musik selber? Hilft diese die Leute offener zu machen, neue Freunde zu gewinnen und seine eigenen Meinungen zu teilen?
Musik ist einer der kraftvollsten Wege um Liebe und Veränderung zu verbreiten. Ich kann mich extrem glücklich schätzen, dass ich meine kreativen Bedürfnisse befriedigen kann, und gleichzeitig Menschen bewegen und helfen kann. Auf eine Weise, die ich nicht direkt kontrollieren kann. Es ist eine sehr eigene Interaktion und kann sehr therapeutisch sein. Gleichzeitig kann es aber auch ein Albtraum und extrem emotional werden. Über alles gesehen ist es aber eine sehr wohlwollende und starke Kraft auf der Welt, und wird hoffentlich für immer da sein.
Wir befinden uns in problematischen Zeiten. Es ist gerade jetzt umso wichtiger Musik zu verbreiten, oder gerät dies eher in den Hintergrund?
Es ist hart. Wir leben in einer Welt, in der wir tagtäglich mit schlechten Nachrichten bombardiert werden. Egal ob du eine Zeitung liest, Fernsehen schaust oder mit deinem Tablet surfst. Man hat einen extrem einfachen Zugang zu Negativität und dies fördert diese Unfallmentalität welche man befriedigt. Menschen sollten davon abkommen, denn am Schluss sehen wir nur noch das Schlechte.
Was die Leute auch entmutigt.
So ist es. Psychologisch gesehen ist dies extrem schädigend. Aber ich denke, man kann immer noch Zuflucht und Trost in Kunst und Musik finden. Vielleicht ist es nicht mehr so respektiert wie früher, gerade weil es so einfach zu bekommen ist. Die Unterhaltungsindustrie wirft extrem viel Müll auf den Markt und dies verwirrt die Leute. Jeder Mensch weiss, was Qualität und gut ist. Aber vielleicht haben sie die Energie verloren, die wahren Dinge unter dem Müll zu suchen. Natürlich kann man kleine Sachen beeinflussen. Ich habe schon lange aufgehört grosse Ambitionen zu haben. Man erreicht eine kleine Gruppe von Menschen und kann so Veränderung bewirken. Und dies ist realistisch und alles vorauf man hoffen kann.
Versuchst du denn deine persönlichen Ansichten mit deiner Musik zu verbreiten, oder verwendest du eher metaphorische Texte? Gerade weil deine Lieder doch eher persönlich sind.
Ich bleibe auf der Seite der Metaphorik, gerade weil ich mich wie ein Heuchler fühle, wenn ich mich aktiv politisch engagiere. Die einzige politische Möglichkeit die mir bei meinem merkwürdigen Auftreten bleibt, ist aufzuzeigen, wie die Dinge sind und nicht wie sie sein sollten. Im Sinn wie es empfinde und wie ich darüber fühle, also selbstanalytisch sein und die Fakten auf den Tisch legen. Anhand dieser Weise können die Hörer selber entscheiden, ob sie auf meiner Seite stehen oder es anders sehen. Ich war nie ein politischer Aktivist und ich spreche lieber über die subtilen Alltagsprobleme, welche die Menschen durchmachen müssen. Das ist realistischer für mich.
Um deine Musik zu präsentieren verwendest du bei Konzerten nicht nur viel Licht, sondern auch Videoprojektionen und Kostüme. Planst du in Zukunft ein Livealbum oder sogar eine DVD zu veröffentlichen, um auch diese Aspekte von IAMX einzufangen?
Dies werde ich oft gefragt, aber ich weiss nicht wie ich darüber fühlen soll. Auf eine Weise ist ein Liveauftritt geschützt und speziell, gerade weil es in dieser geschlossenen Umgebung stattfindet. Man muss an ein Konzert gehen und den Künstler in Fleisch und Blut erleben, das ist die alte Schule und wie es immer war. Ich bin nicht komplett gegen Konservenaufnahmen von solchen Momenten, aber weiss auch nicht wie dies einzufangen wäre. Vielleicht bin ich ein bisschen zu beschützerisch. Allerdings sehe ich momentan keinen Weg wie dies zu lösen wäre. Ausser eine aussergewöhnliche Situation entsteht.
Oder vielleicht ein Projekt, wo du Kunst mit Musik verbindest. Die englische Band Archive hat bei ihrem Album „Axiom“ dies mit einem Film gelöst. Dies wäre vielleicht eine gute Weise, neue Ebenen von IAMX zu erforschen. Gerade auch, weil du selber Musikvideos drehst.
So etwas zu machen wäre genial. Allerdings bin ich nicht sehr gut darin, längere Geschichten oder Drehbücher zu schreiben. Die Dinge welche ich am interessantesten finde, sind meist die abstrakten. Eigentlich bevorzuge ich es, Stimmungsbilder zu erschaffen und den Leuten ihre eigenen Interpretationen offen zu lassen. Allerdings reicht dies wohl nicht für einen kurzen Film. Das wäre wohl etwas zu zügellos und schwelgerisch. Grundsätzlich wäre es aber etwas, dass ich mir bei IAMX sehr gut vorstellen könnte.
Besten Dank für deine Zeit und Antworten.
Gerne doch.
Interview: Michael Bohli