Autor: Dacre Stoker + Ian Holt
Titel: Dracula – Die Wiederkehr
Verlag: Egmont LYX
Geschrieben von: Nicole Imhof
Was haben die Namen „Dracula“ und „Stoker“ auf einem Buchumschlag einer Neuerscheinung aus 2011 gemeinsam? Dass es sich beim Auto Dacre Stoker nicht um den irischen Schriftsteller Bram Stoker handeln kann, der 1897 den Kultroman Dracula geschrieben hat, das ist klar. Doch Dacre Stoker ist tatsächlich ein Urgrossneffe des legendären Bram Stokers und somit ein legitimer Erbe und Grund genug, Graf Dracula wieder auferstehen zu lassen. Dracula – Die Wiederkehr, eine grosse Ankündigung, die jeden Dracula-Fan neugierig die Stirn runzeln lässt.
Will man bei einem Märchen nach dem Schlusssatz „und sie lebten glücklich bis…“ überhaupt wissen, wie es danach weiter ging oder ist an diesem Punkt nicht genug erzählt und alles was danach kommt, kann dem davor sowieso nicht das Wasser reichen? Bei Dracula hat mir eigentlich keine Fortsetzung gefehlt. Trotzdem, die Neugierde war da und deshalb geht es hier weiter mit meinem Bericht.
Der Grund für die Auferstehung des Grafen begründet Dacre Stoker damit, dass die Anerkennung erst nach Bram Stokers Tod eingetroffen ist und seine Frau damals diverse Urheberrechts-Streitigkeiten ausgefochten hatte, um einen Anteil am Erfolg zu bekommen. Angeblich gelang ihr das mehr schlecht als recht. Die Figur des Dracula wurde mittlerweile auf der ganzen Welt in den unterschiedlichsten Formen und Erzählungen adaptiert und neu erfunden. Der Vampir-Kult ist heute grösser als je zuvor. In der Familie Stoker scheint dies noch immer ein Schatten in ihrer Familiengeschichte zu sein und deshalb hat sich der Urgrossneffe Dacre aufgemacht und zusammen mit dem Vampir-Fan Ian Holt eine „Wiederkehr“ geschrieben, welche die Geschichte der ursprünglichen Charaktere weiter erzählt.
Die Beweggründe mögen sicher aufrichtig und legitim sein. Trotzdem wird diese Fortsetzung nicht nur seine Freunde sondern auch erbitterte Feinde finden. Zu tief verankert ist der Kult, fast schon religiös bei so manchem. Deshalb also keine leichte Aufgabe.
Das Wiedersehen mit Mina, Jonathan Harker, Arthur Holmwood, Jack Seward und Abraham van Helsing ist einerseits schön und andererseits merkwürdig. Der Auftritt Letzterem enttäuscht mich am meisten, denn seine Brillanz geht meiner Meinung nach hier verloren und eine völlig andere Figur scheint seinen Platz eingenommen zu haben. So oder so, nichts ist mehr so wie es war. Alle Protagonisten sind gealtert, mit Ausnahme von Mina, die noch immer jugendlich frisch ist. Der Grund dafür bedarf wohl keiner Erklärung.
Mina und Jonathan sind zerstritten und ihr Sohn Quincey möchte als Schauspieler seine Anerkennung finden, anstatt wie vom Vater verlangt als Jurist. Er lernt den rumänischen Star-Schauspieler Basarab kennen und möchte mit ihm die Geschichte Dracula auf die Bühne bringen. Und hier fängt die Fortsetzung bereits an zu bröckeln und skurril zu werden. Bram Stoker selber wird zum Protagonist als Inhaber des Theaters und Autor eben dieses Dracula Romans. An die Erzählungen der schauerhaften Begebenheiten ist er durch mysteriöse Umstände gekommen.
Gleichzeitig ist Jack Seward der Gräfin Báthory, einer gefährlichen Vampirin, auf der Spur, gerät jedoch bereits sehr früh unter die Räder und stirbt. Weitere „Morde“ geschehen, welche mit Jack the Ripper verknüpft werden. Dracula scheint auferstanden zu sein. Hier stutze ich zum ersten Mal, wieso muss es gerade Jack the Ripper sein? Und gleich erscheinen weitere Figuren auf der Bildfläche, die es in der realen Zeit damals wirklich gegeben hat. Weitere Erzählstränge folgen. Einerseits Quincey, mit seiner Idee der Schauspielerei, Mina, die ihren Prinzen rufen hört und nach van Helsing schickt und um Hilfe bittet. Jonathan Harker, mittlerweile zum Alkoholiker degradiert, ist sich der Gefahr bewusst, in der sie sich alle befinden und Inspektor Cotford, der eine zweite Chance sieht, Jack the Ripper stellen zu können.
Und so nimmt die Geschichte ihren Lauf und dazwischen kommen immer wieder Personen vor, deren Sinn in der Handlung mir etwas gesucht vorkommen und die eben reale Personen sind. Beim Lesen hat mich das sehr gestört und an name-dropping erinnert. U.a. Charles Chaplin und Charles Darwin, um nur einige zu nennen. Und am Ende muss sogar noch die Titanic herhalten für den finalen Abschluss. Mir hätte auch ein fiktives Schiff genügt, egal.
Ob der legendäre Graf tatsächlich wieder auferstanden ist, oder ob es nur die Gräfin Báthory war, die ihre Rache übte, das bleibt bis zu den letzten Kapiteln unaufgeklärt. Auch dies, etwas schade, denn ich hätte gerne mehr vom Grafen selber gelesen.
Im Nachtrag zu Dracula – Die Wiederkehr, erklären Dacre Stoker und Ian Holt ihre Beweggründe für eben dieses name-dropping und ihre persönliche Motivation. Das erklärt zwar so einiges, stört in der Handlung aber trotzdem. Überhaupt ist die Erzählweise etwas holprig und langatmig.
Schwer zu sagen, soll ein Schätzer des Originals sich diese Fortsetzung antun oder nicht? Aus reiner Neugier sicherlich. Wer spannenden, vampiralen Lesestoff sucht und dazu noch Bram Stokers Werk nicht gelesen hat, der wird sich schwer damit tun. Nichts desto trotz ist nun auch Dracula – Die Wiederkehr ein Teil des Lebenslaufes von Graf Dracul geworden und gehört dazu. Ob nun gut oder minder. Positiv anzumerken gilt ebenfalls die am Ende hinzu gefügten Anmerkungen von Wissenschaftlern und Kopien von Brams Notizen.
Erscheinungs-Datum: 2011
Format: Taschenbuch, 560 Seiten
ISBN: 978-3-8025-8493-0