Datum: 27. + 28. Mai 2011
Ort: Aarhus – Dänemark
Website: SPOT Festival
Liebes Tagebuch!
Heute erwachte ich im Norden, genau gesagt in Aarhus, der zweitgrössten Stadt Dänemarks. Zuerst rieb ich mir verwundert die Augen, und verbalschleuderte mir selber ein „WTF?“ entgegen. Einen Wimpernschlag später merkte ich dann aber ganz schnell, dass ich hier hergehöre. Zwar hat es Hunde und Katzen geregnet, nichtsdestotrotz (oder gerade deshalb) strömten die Leute in Scharen ans diesjährige SPOTfestival. Einmal mehr. Das starke Interesse hat nicht etwa damit zu tun, dass es Nordländern an einem Hobby gebricht, im Gegenteil, Musik scheint ihr Hobby, ja, gar ihre Berufung zu sein.
Anders ist es nicht zu erklären, dass die 2 Tage Konzertschwangerschaft von Highlight um Highlight geprägt waren. Zum Festivalauftakt – ach, liebes Tagebuch, wärst du doch nur dabei gewesen – fielen mir ausschliesslich harte Klänge anheim. Wie gewohnt bot SPOTfestival auch 2011 eine Vielfalt an Musikschmankerl feil, jedoch heftete ich mich mit Absicht an die Fersen von Metallern und Punkern. Erstere hören auf den Namen Essence (Thrash Metal), Drone (Metal, Ambiente, Grunge) sowie Trusted Few. „Vertrauensarmut in Bandform“ war an Intensität kaum zu überbieten, kein Wunder, heimsten die 4 Dänen bereits mehrere heimische Preise ein. Pressestimme zur Band: „… one of the most tight and spectacular bands in Danish upcoming music.“
Doch so überzeugend wie auch professionell Trusted Few waren, sie wurden von den tollkühnen Rabauken Honningbarna übertrumpft, ausgestochen. Punk paart sich bei den Norwegern mit Rock N’Roll, Rock N’Roll wiederum scharmützelt mit Klassik-Arrangements. Honningbarna sind taufrisch wie blutjung, dennoch aber bieten sie eine Performance, die grossartiger, herzvoller, ehrlicher nicht sein kann. Wenn der zweite und bereits letzte Tag ähnlich gut ausfällt, dann werde ich wohl SPOTfestival heiraten müssen. Oder ja respektive nein, SPOTfestival kommt ja gewissermassen in die Schweiz, nämlich anlässlich der Schweiz-Dänischen Musikkooperation. Hierbei werden die drei „besten“ Bands des Festivals auserkoren – und ans erhabene Jazzfestival in Montreux zugelassen. Der mehr oder minder hohe Norden hat seit eher eine enorme Anziehungskraft auf uns Schweizer, die Kooperation dürfte diese Kraft (zu Recht!) stählern.
Liebes Tagebuch.
Der zweite Tag ist bereits Tatsache und noch bin ich dabei, Aarhus zu geniessen. Durch die Gassen ich schlendern, an der dänischen Freundlichkeit ich mich laben und die allgemeine Souveränität vorerst einmal fernab des Musikgeschehens ich mir anheim fallen lassen tu. Der Genussfaktor schraube ich damit nach oben – und gar in sphärische Höhen ich diesen schreiben tu, wenn ich an die mir noch bevorstehenden Bands anlässlich des diesjährigen SPOTfestivals denken tu…
…und ich bin bereits wieder inmitten des Geschehens, die famose Kira mit ihren nicht minder famosen The Ghost Riders (in Kollaboration mit dem zu gleichen Teilen famosen Punk-Veteran Peter Peter & GLAS) gab ihr Stelldichein. Alleine dieses Miteinander ist als unorthodox zu taxieren, noch ausgefallener wurde es, als der 7-köpfige bulgarische (Gospel-)Chor die Bühne stürmten. Zwischen säuseln und heulenden Gitarren sowie elegisch-intensiven Klangteppichen gab es alles, was man (nicht) erwartet. Auf diesen zuweilen zu einem 13-Mann formierten Trupp folgten From Sarah, eine aus 3 Leuten bestehenden Band. Mit David Fjelstrup von Cody (auch Cody war zugegen, wie letztes Jahr, siehe Review) verfügten From Sarah über einen bekannten Exponenten, wobei der rund 30-minütige Auftritt dank allen dreien überzeugte. Für Spannung und Unterhaltung und mitunter feuchte Träume sorgten CALLmeKAT, kooperierend mit Erika Spring aus den USA. Herzallerliebst, einlullend und durch den Tag förmlich tragend war deren Auftritt. Popmusik, die an und für sich für Langeweile besorgt ist, war in diesem Fall alles andere als das. Ein Hoch auf die zwei Wohlgestalten und ihren Mitmusikern.
Kaum dunkelte es ein, waren die wilden Evastöchter aus Japan, Nisennemondai, für Hochgefühle besorgt. Bei diesen furiosen Notenschlüsselvirtuosen geben sich Rock und Jazz und Electronica und sogar New Wave die Klinke in die Hand. Der Mix ist das eine, deren Performance das andere. Mix und Performance zusammen formieren sich rasch zu einer Allmacht. Das Publikum reibt sich die Augen – und erobert danach deren Merchandise-Stand. Nisennemondai lächeln währenddessen verlegen-hübsch-herzig, reden gebrochen gebrochenes Englisch und nisten sich auch so in die Herzen aller anwesenden. Tag 2 hat sich schon lange von seinem Vorgänger abgehoben. Köstlichkeiten, Schmeicheleinheiten, Abnormalitäten und Kuriositäten klammerten sich angenehm um des Festivals Besuchenden. Dass dies so bleibt, dafür sorgen Alcoholic Faith Mission (experimental folktronica indie, indeed!), die Finnen KXP (paranoid, dark disco movements combined with outrageous dance appeal, indeed!) und zum Schluss Orka/Ben Osborne’s Noise of Art with The People Pile And Dec Shoes. Letztere bieten fürwahr den musikalischen Climax, eigens kreierte Instrumente, gefühlte 7000 miteinander verschmolzene Musikrichtung und bizarr anmutende Hintergrundtänzerinnen, die so gar nicht im Hintergrund sich bewegten sei Dank.
An dieser Stelle ein turmhohes Dankeschön an Dänemark, ans SPOTfestival und natürlich auch ans Jazzfestival Montreux. Ohne dieses „Triumvirat“ wäre es euch wie mir nicht immer möglich, mit Ausnahmekönnern der Musik zu frönen. Ach und ja, welche drei dänischen Bands es geschafft haben, dieses Jahr (9. Juli 2011) in Montreux spielen zu dürfen, das spielt wirklich keine Rolle. Denn die Musik aus dem hohen Norden ist sowieso – fast – über alle Zweifel erhaben und Jazzfestival Montreux ist einfach nur Pflicht. Apropos: Dasselbe gilt für SPOTfestival, lässt euch dieses einzigartige Festivalvergnügen nicht entgehen, lasst es in euren ach wie hübschen Köpfen einnisten und reserviert die Ende-Mai-Tage in eurer Agenda. Wohlan!
Addendum: Rumpistol, electronica-geschwängert, zeichnete ebenfalls dafür verantwortlich, dass das diesjährige Dänemark in Herz und Ohr hangen bleibt. Rumpistol sind aber nicht nur in Dänemark eine Wucht, sondern auch in der beschaulichen Schweiz. Genauer gesagt boten die dänischen Electronica-Jünger ihre Musik am diesjährigen Binz-Fest feil. Ein Fest, das bislang und hierzulande seinesgleichen sucht. Wer über die Landesgrenzen den Weg ans hiesige (Binz-)Fest findet, dem gebührt Anerkennung. Und zwar von Herzen!
Geschrieben von: Cyril Schicker