Second Unit – Die Filmkolumne
Text: Michael Bohli
„Ich habe nur ein Wort für sie. Prätentiös.“
*Braaaawwwmmmnn*
Er soll nach dem Pandemiesommer Hollywood retten, die Kinos wieder füllen, unseren Glauben an das Spektakel wiederherstellen. Doch darin liegt bereits der erste Fehler, schlussendlich steht Christopher Nolan mit seinen riesigen Produktionen für ein System, das sich immer stärker selbst zerfleischt.
Wie sagte es Drehbuchautor Charlie Kaufmann einmal? Nolan macht intelligente Filme für dumme Leute – und gerade letztere will sich Hollywood nahe halten, deren Geld vielfach einsacken. Von mir aus dürfen diese Mechanismen gerne sterben, ich will weder „Fast & Furious“ Teil 100 noch „Bad Mom / Teacher / Broker“. Egal, wie gut die optischen Schauwerte sind, egal, welche Namen auf dem Plakat stehen.
Tenet
Regie: Christopher Nolan
Musik: Ludwig Göransson
Land, Jahr: UK und USA, 2020
Website: tenetfilm.com
Wo positioniert sich in dieser Situation Tenet? Zuoberst, mit stolz geschwellter Brust und stetem Selbstlob. Wie intelligent und durchdacht denn alles sei, wie komplex und facettenreich, gemäss Pressetexten und Aussagen der Beteiligten. Bloss: Das stimmt nicht. Wer aufmerksam dem Film folgt und trotz dem sehr lauten Soundtrack und den schnellen Szenenwechsel am Ball bleibt, der errät meist sofort, was sich hinter dem Mysterium einer Szene verbirgt. Christopher Nolan geht seinen typischen Weg, in dem er die Figuren vor allem darum miteinander sprechen lässt, um den Zuschauern zu erklären, was sie noch nicht begriffen haben können sollen. Doof nur, tut man dies auch ohne Exposition.
Oder die Szenen demontieren sich durch ihren Aufbau gleich selbst und verlieren somit jegliche Spannung.
Der folgende Abschnitt enthält mögliche Spoiler:
Wenn ich bei einer Verfolgungsjagd etwa sehe, dass der Rückspiegel eines BMW kaputt ist, bevor ein Unfall passiert war, dann weiß ich sofort: Das stammt aus der Zukunft. Und siehe da, ein invertiertes Fahrzeug reißt diesen ein paar Minuten später ab. Da der BMW allerdings keine weiteren Schäden aufweist, ist die Actionszene somit sofort unspannend, da ich weiß, dem Auto passiert nichts mehr. Gleiches gilt für die Figuren, welche keine Verletzungen aufweisen. Und wenn doch, dann sollte jeder Kinobesucher wissen, dass sich der Protagonist dies mehrere Szenen zuvor zugezogen hat. Invertierter Verlauf halt.
Spoilergefahr Ende
Eine Bindung findet somit nicht statt, die Emotionen bleiben, nebst dem Rausch, auf der Strecke. Dass Christopher Nolan als Regisseur es nicht versteht, differenzierte Emotionen darzustellen, oder die Zuschauer*innen mit Nuancen abzuholen, das ist schon lange klar. Selten aber fiel dies so markant auf wie hier. So existieren in diesem Film nur zwei Regungen: Verzweiflung und Hass. Und die erzählte Geschichte geht sogar so weit, dass pure Wut als zu erreichendes Ziel dargestellt wird. Da kann auch Elizabeth Debicki als eindimensional dargestellte Mutterfigur nicht viel auswirken. Einzelne Tränen und Lamentationen erreichen keine Empathie.
Dies vermag auch der Score von Ludwig Göransson nicht zu bewirken. Zu oft beschränkt sich die Musik auf bombastische Fanfaren und technoide Bassläufe. So wie es Nolan mag, so wie man es heutzutage als „krass und heftig“ im Kino empfindet. Der Komponist kann viel mehr, das hat er schon einige Male bewiesen, hier allerdings regiert klanglich der betäubende Bombast. Und überstrahl Dialoge und Geräusche.
Besonders erstaunlich ist an Tenet, dass der eigentliche Clou des Filmes, das Spiel mit der Zeit, bereits in den Trailern erklärend vorneweg genommen wurde und man beim Kinobesuch dies als gegeben anschaut – so fehlen die Überraschungen und Wendungen. Natürlich bleiben die Setpieces, die Aufnahmen, die Effekte und die Darsteller super. Man lässt sich vom Spektakel einlullen und genießt die Perfektion, welche hinter den Bildern liegt (abgesehen von den wirklich markanten Anschlussfehlern und falschen Schnittfolgen). Schlussendlich könnte man argumentieren, dass die Unterhaltung zählt und davon der Film in seinen 150 Minuten massig bietet. Könnte man. Mich jedoch beleidigt es, wenn diese Art von Film auf solch falsche und wichtigtuerische Art vorgelegt wird. Alles wirkt schal und übertrieben, ohne jemals ehrlich zu sich selbst oder den Zuschauern zu sein.
Was bleibt ist ein Möchtegern-James-Bond-Actioner, der nichts rettet und schon gar niemanden überfordern wird.