Second Unit – Die Filmkolumne
Text: Michael Bohli
Es ist nicht so einfach, der Virus wütet und die Kinos sind geschlossen. Trotzdem sollte man nicht auf fordernde, andersartige und heimische Filme verzichten. Um dem Einheitsbrei und stupiden Machwerken Einhalt zu gebieten, haben sich diverse Plattformen im Internet etabliert, um hierzulande den Filmgenuss in der Stube auf ein neues Niveau zu bringen.
CINEFILE
Nicht nur bietet die Website eine klare Übersicht zum aktuellen Kinoprogramm der gesamten Schweiz (was aktuell eher uninteressant ausfällt), sondern beinhaltet eine grosse Streamingbibliothek des Gebietes „Greater Arthouse“. Indie-Filme tummeln sich neben spannenden Werken aus den USA, Dokumentationen begleiten Schweizerfilme. Verlinkte Kritiken, Essays und Interviews erleichtert die Auswahl, kuratierte Listen laden zu neuen Entdeckungen ein.
Aktuell gibt es das Flatrate-Abo Stream99 zum Testen, man darf sich durch acht Werke von Bong Joon-Ho (Parasite) bingen, oder viele weitere vorzügliche Werke der Kinogeschichte geniessen. Into The Wild (Sean Penn) direkt nach Bruno Manser – Stimme des Regenwaldes (Niklaus Hilber)? Das ist ebenso möglich wie die Begegnungen mit Nick Cave (20’000 Days On Earth von Iain Forsyth) und David Lynch (David Lynch: The Art Life von Jon Nguyen). Shoplifters (Hirokazu Koreeda) entführt nach Japan, Burning (Lee Chang-dong) nach Korea und Thelma (Joachim Trier) nach Norwegen. Eine Aufzählung, die man fast ewig fortführen könnte.
FILMINGO
Die Stiftung Trigon-Filme betreibt seit einiger Zeit das Portal Filmingo für den Arthouse-Genuss, und bietet viele noch eher unbekannte Werke, vor allem aus den asiatischen und lateinamerikanischen Räumen. Durch die aktuelle Schliessung der Kinos gibt es sogar brandneue Filme, welche eigentlich in den Lichtspielhäusern laufen sollten. Ema Y Gaston von Pablo Lerrain, You Will Die At 20 von Amjad Abu Alala oder fast neu, Portrait de la jeune fille en feu von Céline Sciamma.
Das Abo erlaubt mehrere Filme pro Monat, bevor man sich entscheidet kann man fünf Minuten in jeden Film reinschauen. Und dank den toll zusammengestellten Listen wird man immer wieder überrascht. Ausgewählte Filme von Regisseurinnen, Unterteilungen nach Ländern oder Vertriebe – die Möglichkeiten sind so vielseitig wie das Programm.
ARTFILM
Die Seite Artfilm kennen wohl nicht viele, wird hier eher das schwerere Programm von Filmen angeboten. Wer sich allerdings tiefer mit der Materie beschäftigen möchte, der findet mehr als genügend Chancen. Spielfilme, Dokumentationen, Kurzfilme und Zyklen – daneben ein Shop für günstige DVDs und Bücher, ein Fokus auf Produktionen von und mit Frauen.
Und das beste: Aktuell sind 100 Schweizer Filme bis am 30. April gratis zugänglich. Dies, um die Quarantäne angenehmer zu gestalten, um das heimische Schaffen in seiner aufregenden Vielfalt wieder an die Bevölkerung heranzubringen. Zum Angebot gelangt ihr hier.
MYFILM
Und dann ist da noch Myfilm: „Mit myfilm.ch unterstützen Sie ein Schweizer Kino! Das einzige Streamingportal, dass auch nach der Krise zu 100% einem lokalen schweizer Kino gehört – dem kult.kino.“ Was soll da noch angeführt werden? Ausser, dass dieses Vorhaben zu unterstützen ist.
Mare (Andrea Štaka) läuft hier statt in der Stadt, Glow (Gabriel Baur) lässt vergessene Zeiten leuchten, Ash Is Purest White von Toa Zhao bringt dir China auf neue Art näher. Bald ebenfalls hier: Volunteer (Anna Thommen und Lorenz Nufer), Love Me Tender (Klaudia Reynicke) und Shalom Allah (David Vogel).
KINO ON DEMAND
Kino On Demand ist eine Plattform, in der diverse Kinos gemeinsam Filme online verleihen, um so ihre Betriebe zu unterstützen. Das ist in der aktuellen Krise umso wichtiger geworden, darum findet ihr hier viele Perlen, die für weniger Geld als ein Eintrittsticket zu geniessen sind. Kinderfreundliche Filme, Oscar-Gewinner, sommerliche Bilder, Biografien – ein Weg neben den ausgetretenen Pfaden tut sich auf.
La La Land von Damien Chazelle existiert neben Under the Silver Lake von David Robert Mitchell, I, Daniel Blake von Ken Loach macht dich traurig, damit Paddington 2 von Paul King die Hoffnung zurückbringt.
NETFLIX
Der Hype um den Streamingriesen ist eindeutig vorüber, das aktuelle Programm gleicht sich einem Gemischtwarenladen an. Programminhalte lassen sich meist nicht mehr vom Gehirnwäscheprogramm der privaten TV-Sender unterscheiden, einzelne, reizvolle Ideen verpuffen in kruden Filmen und Serien. Trotzdem gibt es weiterhin ein paar Gründe, sich die Restlaufzeit des Abos angenehm zu gestalten.
Wer etwas tiefer gräbt, der stösst auf das Deutsche One-Take-Wunder Victoria (Sebastian Schipper), nicht nur technisch ein mitreissender Film. Und bei den Eigenproduktionen, den „Originals“, gibt es für Cineasten zurzeit einige Perlen: The Irishman (Martin Scorsese), Marriage Story (Noah Baumbach), Roma (Alfonso Cuarón), The Two Popes (Fernando Meirelles), Annihilation (Alex Garland) – und ganz neu: Uncut Gems von den Safdie Brothers. Ein atemloses Gangsterstück über Schmuck, Wetten und Macht.