Second Unit – Die Filmkolumne
Text: Michael Bohli
Wenn Superhelden, Jedi-Ritter und übermenschliche Verbrecherjäger zusammenprallen, dann gibt es eigentlich nur einen Verlierer, das intelligente Kino. Doch abseits des alles vernichtenden Konsum- und Kapitalverhaltens, fand man 2019 erneut wunderschöne, berührende und nachdenklich machende Filme in den Lichtspielhäusern.
Die kleineren Betreiber ginge Wagnisse ein, Filmfestivals holten verkannte Perlen ins Programm, die gesamte Welt war zu Gast. Zeit, die letzten Monate Revue passieren zu lassen.
Ohne Umschweife meine diesjährige Bestenliste, eine klare Empfehlung für alle zehn Filme:
- Le Daim, Regie Quentin Dupieux, Frankreich 2019
Nach diversen Verwirrstücken gab es von Dupieux es mit «Le Daim» eine kohärente Geschichte, voller Humor, perfekter Dialogzeilen und einer herrlichen Eskalation. Klein, überraschend, anders. - The Lighthouse, Regie Robert Eggers, Amerika 2019
Eine Tour-de-Force in jeder Hinsicht: Inhaltlich, spielerisch, technisch. Schwarz-weiss, 1:19-Format, Monstergeschichte und Märchen in einem. Eine körperliche Erfahrung. - Burning, Regie Lee Chang-dong, Südkorea 2018
Mysteriös, schon fast träumerisch, aber am Ende die harte Realität. Adaptiert nach einer Kurzgeschichte von Haruki Murakami. - Ash Is The Purest White, Regie Jia Zhangke, China 2018
Ein Epos über die gesellschaftlichen Veränderungen in China, ein Plädoyer für die Liebe, ein Film über persönliche Ermächtigung. - To thávma tis thálassas ton Sargassón, Regie Syllas Tzoumerkas, Griechenland 2019
Wenn das Leben in Griechenland zerbricht, dann liegt auch die Moral in Scherben. Und so wird aus einer Kriminalgeschichte ein Kaleidoskop der menschlichen Abgründe. - Parasite, Regie Bong Joon-ho, Südkorea 2019
- The Favourite, Regie Yorgos Lanthimos, England 2018
- Midsommar, Regie Ari Aster, Amerika 2019
- If Beale Street Could Talk, Regie Barry Jenkins, Amerika 2019
- Beautiful Boy, Regie Felix van Groeningen, Amerika 2019
Was sich herauslesen lässt: Die entrückten, verschrobenen Filme erhalten meine Zustimmung. „Le Daim“ und „The Lighthouse“ sind zwar in ihrer Machart und Atmosphäre diametral aufgestellt, zeigen aber beide ungeahnte Sonderheiten der Menschen. Mit abstrakten Mitteln, mit grossartigen Aufnahmen und noch besseren Schauspielern fesseln diese Filme ungeahnt.
Dass die asiatischen Länder wieder vermehrt im hiesigen Kinoprogramm vertreten waren, liess mich ebenso frohlocken. Gerade in Südkorea entstehen wieder grosse und gewichtige Produktionen, die mit intensiven Aufnahmen und grossen Emotionen glänzen. Niemals so künstlich wie in Hollywood, immer mit mehreren Ebenen versehen.
Mit 58 geschauten Filmen liegt das Jahr zwar nicht auf dem ersten Rang meiner Historie, der Schnitt von einem Kinobesuch pro Woche konnte aber übertroffen werden. Natürlich nur, da ich drei Festivals besucht und mich dort meiner Filmlust schamlos hingegeben habe, ein tolles Gefühl.
Was es 2019 sonst noch zu vermerken gab: Scarlett Johansson ist mir endlich ans Herz gewachsen (besonders dank ihrer Leistung in „Marriage Story“), Quentin Tarantino und Harmony Korine konnten meine Erwartungen nicht erfüllen, „Joker“ machte im Kleinen gut, was „Avengers: Endgame“ mit viel Krawall in den Sand setzte, die Schweizer Szene konnte mit „Der Büezer“, „Volunteer“ oder „Ceux Qui Travaillent“ mehr als überzeugen.
Zu guter Letzt noch ein paar ehrenvolle Erwähnungen:
„Gräns“, das abgedrehteste Märchen in diesem Jahr.
„Sorry We Missed You“, der schonungslose und harte Blick auf das Prekariat.
„The Irishman“, die für unmöglich gehaltene Rückkehr von Joe Pesci.
„Us“, der nächste Schritt im Siegeszug von Jordan Peele.
„Tel Aviv On Fire“, das humorvolle Spiel mit doppeltem Boden aus dem Nahen Osten.
Gespannt schaue ich nun in das kommende Jahr und hoffe, wieder viele, neue Geschichte erleben zu dürfen. Egal woher, egal wie.